Wie riecht das Frühjahr? - Invektive Dynamiken digitaler Bildkommunikation als Herausforderung für die qualitative Sozialforschung
Ein Workshop mit Ruth Ayaß (Bielefeld) und Jannis Androutsopoulos (Hamburg).
Der Workshop findet am 24.02.2020 von 9 - 16 Uhr im FAL 232, Bürogebäude Chemnitzer Straße 46, 01187 Dresden, statt.
Um Anmeldung wird gebeten! mei-chen.spiegelberg@tu-dresden.de
Drei weiße, ältere Männer bei der Gartenarbeit, untermalt von sinnlicher Musik. Kamerazoom auf erdige Hände und schweißnasses Brusthaar. Nach der Gartenarbeit ziehen die Männer ihre verschwitzten Kleidungsstücke aus, die unter den Augen zweier Männer in weißen Kitteln gesammelt werden. Anschließend ist ein Fließband zu sehen, die einzelnen Wäscheartikel werden vakuumverpackt und in einem Automaten in einer grauen Fabrikstadt verkäuflich zur Verfügung gestellt. Eine asiatisch aussehende Frau nimmt eine solche Packung aus dem Automaten; sie öffnet die Packung, riecht genussvoll daran und verfällt in Ekstase. Ihr Gesichtsaus-druck wird mit der Einblendung von vier Worten kommentiert: "So riecht das Frühjahr".
Mit dem Werbevideo "So riecht das Frühjahr" hat die Baumarkt-Kette Hornbach im März 2019 eine transnationale Empörungswelle ausgelöst, die sich transmedial zu einem Tsunami steigerte und das Unternehmen schließlich zwang, das Werbevideo abzusetzen. Was nach Selbstauskunft des Unternehmens als humorvolles Spiel mit dem Tabuthema Olfaktophilie und der Umkehrung von Geschlechterstereotypen gemeint war, hat sich über die Kommentarspalten von YouTube, den Twitter Hashtag #Ich_wurde_geHORNBACHt, Online-Präsenzen von Massenmedi-en und NGOs und anderer Online-Plattformen in ein rassistisches und sexistisches Skandalon verwandelt. Hornbach hatte sich auf einen schmalen Grat zwischen Humor und Invektivität begeben und schien darauf ausgerutscht zu sein. Über mangelnde Aufmerksamkeit konnte sich das Unternehmen indes nicht beklagen.
Wie lassen sich komplexe Kommunikationsprozesse an der Grenze zwischen Humor und Beleidigung/Verletzung und ihre Eskalationsdynamiken invektivitätstheoretisch einordnen und mit den Methoden der qualitativen Sozialforschung rekonstruieren? Der Workshop nimmt sich der Tendenz zu negativer Emotionalisierung in digitalen Kommunikationen anhand eines exemplarischen Medienereignisses an und nähert sich seinem Ver-ständnis mit unterschiedlichen methodischen Verfahren, die am Gegenstand miteinander ins Gespräch kommen wollen. Welche Methoden hat die qualitative Sozialforschung zu bieten bzw. was fehlt ihr, um den Eigensinn von Bildern in transnationalen Kontexten, die Eigenlogik transmedialer Vollzugswirklichkeiten bzw. die Eigendynamik mediatisierter Eskalationen zu verstehen?
Diese Fragen diskutiert der Workshop mit Expert*innen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (Ruth Ayaß) und der sozio-linguistischen Mediendiskursanalyse (Jannis Androutsopoulos).