Entfremdung und deren Bewältigung (Rico Becher & Teresa Kaßner)
Abstract zur Seminararbeit von Rico Becher und Teresa Kaßner. Der Volltext der Studie kann hier heruntergeladen werden, ebenso das Plakat.
Die Studie untersucht Kommunikationsprozesse bei Personen mit einer verschwörungsideologischen Wirklichkeitskonstruktion. Zur Untersuchung der Forschungsfrage wurden von den Forschenden Primärdaten mit der Grounded Theory Methodology erhoben und analysiert. Die induktive Herangehensweise der Methodologie führte zur sukzessiven Entwicklung und Untersuchung folgender Fragestellung: Wie wird Entfremdung über Legitimations- und Informationsselektionsprozesse in Kommunikation von Personen mit Verschwörungsmentalität bewältigt? Im Zuge der Studie wurde ein Interview mit einer Proband*in geführt. Des Weiteren wurden elf Beiträge, sowie deren Kommentare von Facebook, Twitter und einem Forum erhoben. Bei der Stichprobe handelt es sich um eine bewusste Auswahl von Personen mit verschiedenen verschwörungsideologischen Wirklichkeitskonstruktionen.
Die Auswertung des Untersuchungsmaterials führte zu folgenden Ergebnissen: Es konnten zwei aufeinander wirkende Konstrukte – der Entfremdungs- und Bewältigungsprozess – festgestellt werden, die zur Entstehung und Festigung einer Verschwörungsmentalität führen. Demnach kann eine erfahrene Verletzung innerhalb eines von Institutionalisierung geprägten Systems zu Misstrauen führen. Der Prozess der Entfremdung von Institutionen wurde anhand der Daten als auslösender Faktor der Entwicklung einer Verschwörungsmentalität betrachtet. Die Verschwörungsideologie als neues System des Vertrauens dient der Bewältigung dieses Entfremdungsprozesses. Die Bewältigung emergiert aus einer in sich geschlossenen Informationsselektion – in Form der sich gegenseitig verstärkenden Kategorien selective exposure, socialization und trust and intimacy – und der Legitimierung des Weltbildes durch Kommunikationsstrategien wie Derailing und Moralisierung. Infolgedessen führt die daraus resultierende Bestätigungsverstärkung zur Verfestigung der Verschwörungsmentalität. Die vorliegende Studie generiert eine reflexive Theorie mittlerer Reichweite über die Konstruktionen von Personen mit verschwörungsideologischen Wirklichkeitskonstruktionen. Besonders präzise ist sie in der qualitativen Betrachtung der sozialen Phänomene mit Fokus auf den Relevanzstrukturen der Akteur*innen. Der Begriff der Bestätigungsverstärkung ermöglicht dabei die Betrachtung der Entfremdung und des Bewältigungsprozesses. Die Forschenden vermuten folglich Anschlussmöglichkeiten an die Untersuchung von Radikalisierung.