Queere Politische Bildung (in Sachsen)
JoDDiD-Forschungsdossier zu Queerer (politischer) Bildung
von Johanne Gröning
In diesem Forschungsdossier werden zentrale Begriffe und Zugänge entlang aktueller und spezifischer Quellen und Studien rund um queere Bildung von Johanne Gröning zusammen getragen, die ihre univseritäre Abschlussarbeit zu queerer Bildung in Sachsen geschrieben hat. (Für eine vertiefte Auseinandersetzung stellen wir hier auch die komplette Abschlussarbeit im Forschungsdossier zum Download zur Verfügung .)
Wer sich also rund um queere Bildung informieren möchte, eigene Veranstaltungen oder auch Projektanträge dazu plant, ist in diesem Bereich des Forschungsdossiers genau richtig.
Umfassende thematische Betrachtung queerer Bildung (zum kostenfreien Download).
Gröning, Johanne (2024). Queere (politische) Bildung – (Fach-)Didaktische Anregungen für eine erfolgreiche Praxis im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Eine Erhebung zu Erfahrungen von Akteur:innen der politischen Bildung an sächsischen Schulen. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-954293
Begrifflicher Zugang
Immer wieder sind queere Menschen sowohl in ihrem Alltag als auch in Bildungskontexten mit Herausforderungen konfrontiert, denen sich politische Bildung annehmen sollte und in der Verantwortung steht, diese zu benennen. Der Begriff queer kann dabei facettenreich definiert werden – vom grundlegenden Sammelbegriff jeglicher sexueller und romantischer Orientierungen sowie geschlechtlichen Identitäten, bin hin zu komplexen, heteronormativitätskritischen Theorieansätzen der Queer Studies gibt es eine Vielzahl an Annäherungen.
Literaturempfehlung:
Einblicke in Begriffsbestimmungen und Annäherungen an den Begriff queer in verschiedenen Kontexten geben unter anderem diese Autor:innen:
Paul, Barbara, und Lüder Tietz (2016). Queer as …: Verhandlungen von Praxen, Wissen und Politiken. In: Dies. (Hrsg.), Queer as … - Kritische Heteronormativitätsforschung aus interdisziplinärer Perspektive, 7-24.
Hartmann, Jutta, Astrid Messerschmidt, und Christine Thon (2017). Queering Bildung. In: Dies. (Hrsg.), Queertheoretische Perspektiven auf Bildung. Pädagogische Kritik der Heteronormati-vität. Leverkusen/Opladen: Barbara Budrich, 15-28.
Klenk, Florian Cristóbal (2023). Post-Heteronormativität und Schule. Opladen/Berlin/ Toronto: Barbara Budrich.
Inklusion und queere Bildung
Eine Einordnung queerer (politischer) Bildung kann über verschiedene Zugänge gelingen. Da sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Theorie der inklusiven politischen Bildung als mögliche Ausschlusslinien erkannt werden, nähert sich dieses Dossier queerer politischer Bildung als eine Art thematische Subkategorie der inklusiven politischen Bildung mit dem Ziel von „Zugang, Teilhabe und Selbstbestimmung“ an (vgl. Besand et al. 2018, 20). Das Forschungsdossier zu inklusiver politischer Bildung finden Sie hier.
Eine explizite Verbindung queerer Bildung und der Einordnung queerer politischer Bildung steht noch am Anfang. Jüngst veröffentlichten Inga Nüthen und Christine Klapeer Beiträge zur begrifflichen Einordnung. Ein ausgeschriebenes Ziel queerer politischer Bildung sei dabei „konsequent Fragen der Identität, des Geschlechts, des Begehrens in den politischen Diskurs […]“ einzubinden (Nüthen/Klapeer 2023). Wichtig dabei ist, dass Ausschlüsse stets intersektional betrachtet werden sollten. In a nutshell: Man kann sich zwar in der Bildungsarbeit auf einzelne Ausschlusslinien fokussieren, muss dabei aber stets weitere Differenzkategorien mitdenken. Inklusive Bildungsprozesse stehen dabei jedoch auch vor dem Trilemma der Inklusion (nach Boger 2019), in welchem die zeitgleiche Erfüllung der Ansprüche von Empowerment, Normalisierung und Dekonstruktion nicht wahr werden können.
Literaturempfehlung:
Für einen Zugang zur Perspektive der inklusiven politischen Bildung bieten vor allem Besand, Jugel und Hölzel einen Einblick in Bildungsprozesse – Nüthen/Klapeer fokussieren sich wiederum auf besondere Anhaltspunkte queerer Lebensweisen in der politischen Bildung:
Besand, Anja, und David Jugel (2015). Inklusion und politische Bildung – gemeinsam denken! In: Christoph Dönges, Wolfram Hilpert, und Bettina Zurstrassen (Hrsg.), Didaktik der inklusi-ven politischen Bildung. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 45-59. 88
Besand, Anja, Tina Hölzel, und David Jugel (2018). Inklusives politisches Lernen im Stadion. Politische Bildung mit unbekanntem Team und offenem Spielverlauf. Dresden: Adelmann.
Nüthen, Inga, und Christine M. Klapeer (2023). Zwischen LGBTI*Q-Akzeptanzförderung, He-teronormativitätskritik und Vielfaltsdiskursen. Varianten und Herausforderungen queere (poli-tischer) Bildung/sarbeit in Deutschland. In: Meike Sophia Baader, Tatjana Freytag, Karolina Kempa (Hrsg.), Politische Bildung in Transformation – Transdisziplinäre Perspektiven. Wies-baden: Springer, 237-259.
Boger, Mai-Anh (2019). Theorien der Inklusion. Die Theorie der trilemmatischen Inklusion zum Mitdenken. Münster: edition assemblage.
Ausgangslage in Sachsen
In Sachsen, wo konservative und rechte Gruppierungen queerfeindliche Einstellungen propagieren, sind die Lebenslagen für LGBTQIA+-Personen besonders kritisch. Eine Studie des sächsischen Ministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (folgend SMJusDEG) erhob 2021/2022 Zahlen zu den Lebenslagen lesbischer, schwuler, bisexueller, trans*geschlechtlicher, intergeschlechtlicher, nicht-binärer sowie queerer Menschen und deren Erfahrungen in Sachsen, und verdeutlichte, dass Negativerfahrungen in verschiedenen Lebenslagen keine Einzelfälle sind (vgl. Rauh et al. 2022). Ein großer Anhaltspunkt sind dabei Negativerfahrungen im schulischen Kontext. Unter anderem können durch diese und weitere Studien besonders die Problemlagen fehlender Sichtbarkeit in Sprache oder Lehrplänen, struktureller Diskriminierung (durch heteronormative bzw. binäre Leistungs- und Bewertungsstrukturen), aber auch fehlende Aufklärung und queerfeindliche Einstellungen durch Mitwirkende erkannt werden. Es lässt sich vermuten, dass einige dieser Problemlagen auch in außerschulischen Kontexten relevant sind.
Hieraus ergeben sich nun mögliche Anschlussfragen für den schulischen und außerschulischen Bildungskontext und den Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt für Bildner:innen. Wie können wir queere Lebensweisen unterstützt, normalisiert und sichtbar(er) gemacht werden? Wie kann queersensible Bildung gelingen? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die außerschulische politische Bildung? Welche Orte, Themen und Räume sind von besonderer Relevanz?
Literaturempfehlung:
Die 2023 veröffentlichte Studie des SMJusDEG mit Erhebungen aus 2021/2022 zeigt einen Einblick in die Lebenslagen queerer Menschen in Sachsen und führt zeitgleich eine Palette an Handlungsbedarfen auf:
Rauh, Christina, Elin Werner, Hendrik Thesing, und Markus Hofmann (2022). Lebenslagen von lsbtiq* Personen in Sachsen. Ergebnisse und Handlungsbedarfe. Sächsisches Staatsmi- nisterium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (Hrsg.), Online verfügbar unter https://www.vielfalt.sachsen.de/download/Lebenslagen_von_Isbtiq_Personen_in_ Sachsen.pdf. Abgerufen am 20.11.2023.
Herausforderungen und Problemlagen
Die besonderen Herausforderungen und Problemlagen in schulischen Kontexten werden u.a. in folgenden Beiträgen beleuchtet – einige davon können auch auf außerschulische Bildung übertragen werden.
Yildiz, Miriam und Raphael Bak (2017). Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – k(ein) Thema in Schule und LehrerInnenausbildung? In: Sebastian Barsch, Nina Glutsch, und Mona Massumi (Hrsg.), Diversity in der LehrerInnenbildung. Internationale Dimensionen der Vielfalt in For-schung und Praxis. Münster/New York: Waxmann, 291-307.
Schmidt, Friederike, und Anne-Christin Schondelmayer (2015). Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – (k)ein pädagogisches Thema? Pädagogische Perspektiven und Erfahrungen mit LSBTI. In: Friederike Schmidt, Anne-Christin Schondelmeyer, und Ute B. Schröder (Hrsg.), Selbstbestimmung und Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Lebenswirklichkeiten, Forschungsergebnisse und Bildungsbausteine. Wiesbaden: Springer, 223-240.
Gerade weil die queere politische Bildung sich noch in ihren Anfängen befinden und ihr theoretisches sowie praktisches Potenzial noch nicht vollständig ausgeschöpft hat, fehlen explizite Konzepte und wissenschaftliche Auseinandersetzungen in der Politikdidaktik, was zu einer unzureichenden Integration queerer Perspektiven in den Bildungskontexten führt, sofern diese nicht explizit als Schlüsselthema ausgeschrieben sind.
Die Ausgangslage für queere Bildungsarbeit deutschlandweit bilden dabei Lebensräume, in denen heteronormative und geschlechterbinäre Strukturen vorherrschen, und LGBTQIA+ Personen häufig unsichtbar bleiben und diskriminiert oder benachteiligt werden. Hieraus ergibt sich die Frage, welche Rolle außerschulische politische Bildung einnehmen kann, um etwaige Aufklärungs- und Bildungsarbeit erfolgreich zu gestalten und bestehende Bildungsprojekte zu unterstützen.
In Sachsen gibt es hierfür eine Vielzahl an Vereinen und Organisationen, die Bildungs- und Aufklärungsarbeit rund um queere Lebensweisen leisten und dabei gleichzeitig als Anlaufstellen für u.a. Beratungen dienen. Die seit 2016 bestehende Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen vertritt dabei deren Mitglieder, genauer deren Interessen, Ziele und Bedarfe vor Politik, Verwaltung und der Zivilgesellschaft auf Landesebene.
Im Rahmen einer studentischen Abschlussarbeit ( https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-954293 ) wurden mittels eines qualitativen, leitfadengestützten Gruppeninterviews mit Vertreter:innen dreier sächsischer Vereine für queere Bildungsarbeit an sächsischen Schulen Handlungsbedarfe für Bildner:innen entwickelt, die im Allgemeinen in den Schulalltag eingebunden werden sollen. Einige hiervon lassen sich zugleich auf jegliche Bildungskontexte übertragen.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Workshops und Angebote etwaiger Vereine immer punktuelle Anregungen geben können, welche jedoch im Anschluss dauerhaft in Bildungseinrichtungen übernommen werden sollten.
Ein großes Stichwort lautet dabei Sichtbarkeit! Zum einen sprachliche Sichtbarkeit, besonders durch Gendern mit Sonderzeichen, oder geschlechterneutralen Formulierungen, sowie das Einbinden queerrelevanter Sichtweisen in die jeweiligen Bildungsarbeit. Wie genau dies aussehen kann, hängt natürlich vom jeweiligen Kontext der Bildungsarbeit ab. Im Allgemeinen bedeutet queersensible Bildungsarbeit zu leisten aber auch, sich niemals neutral zu verhalten, sondern im Falle queerfeindlicher Aussagen und Handlungen Haltung zu zeigen. Dies kann nicht nur reaktiv nach „Vorfällen“, sondern schon präventiv durch ein Bewusstsein vorherrschend heteronormativer Strukturen, sowie dem Bewusstsein für intersektionale Differenzlinien passieren. Auch die Sichtbarkeit von queeren Lebensweisen in genutzten Materialien etwa kann queersensible Bildung bedeuten. Sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden ist dabei unabdingbar.
Für die politische Bildung bedeutet dies vor allem die Möglichkeit Räume, Themen und Orte zu schaffen und zu verknüpfen, in denen queeres Leben sichtbar wird. Dies kann zum einen gelingen indem politische Bildung derzeitige Desiderata schließt und in etwa bestehende Theorieansätze der queeren Bildung aus politikdidaktischer Perspektive aufgreift und überarbeitet. Auch wären mehr Studien und Forschungstätigkeiten in den Zusammenhängen von Politik, Politikdidaktik und Queerness denkbar.
Letztlich zeigt sich, dass queere Lebensweisen sowohl in schulischen als auch außerschulischen Kontexten noch häufig übersehen werden und sowohl Verständnis als auch Sensibilität fehlt. Die Aufgabe diese Themen zu benennen, wird dabei häufig an eigens “betroffene” Bildner:innen abgegeben. Ein kollektives Handeln auf verschiedenen Ebenen ist allerdings unabdingbar. Das Bewusstsein jegliche Lebensrealitäten von Bildungsteilnehmer:innen aus intersektionaler Perspektive in Bildungsprozesse einzubeziehen ist dabei der erste Schritt, um Sichtbarkeit zu ermöglichen. Für die außerschulische politische Bildung bedeutet dies jedoch auch neben den bereits vorhandenen Angeboten expliziter Einrichtungen, die Desiderata politischer Bildung zu schließen. Die Zusammenarbeit mit u.a. den oben genannten Vereinen kann zwar als Impuls gelten, ein Mitdenken aller Lebensweisen muss jedoch dauerhaft in der politischen Bildungsarbeit geschehen.
Gröning, Johanne (2024). Queere (politische) Bildung – (Fach-)Didaktische Anregungen für eine erfolgreiche Praxis im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Eine Erhebung zu Erfahrungen von Akteur:innen der politischen Bildung an sächsischen Schulen. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-954293