Urteilskompetenz für Künstliche Intelligenz? Politische Bildung und KI
Was sich für die eine oder den anderen noch nach futuristischen Fantasien anhört, ist längst reale Gegenwart: Roboter, die Patient:innen in Pflegeeinrichtungen medizinisch versorgen und einsamen Bewohner:innen Gesellschaft leisten. Strafprozesse, bei denen Algorithmen die Verteidigung übernehmen. Software, die Sozialhilfeanträge liest und genehmigt oder zurückweist. Schulen, in denen Lernende von Kameras mit Gesichtserkennung gefilmt werden und bei Unterrichtsstörungen Tipps und Feedback zum Weiterarbeiten bekommen.
Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Sie verändert, wie wir leben, wie wir arbeiten und wie wir lernen. Wozu eine Ausbildung absolvieren, wenn ein Algorithmus meinen Beruf besser und effektiver ausübt als ich es je könnte? Welche Funktion soll schulische Bildung überhaupt noch erfüllen, wenn weder Wissen noch Problemlösefähigkeiten notwendige Tools zur Orientierung in der Gesellschaft sind? Welche Bedeutung haben Urteils- und Handlungskompetenzen als Ziele politischer Bildung, wenn keine Menschen, sondern Algorithmen soziale und politische Urteile fällen und Entscheidungen über gesellschaftliche Teilhabe treffen?
Die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz betreffen politische Bildung im Kern des Faches. Die Politikdidaktik steht vor der Aufgabe, Künstliche Intelligenz als ein komplexes Handlungsfeld politischer Bildung völlig neu zu erschließen und zu etablieren. Die in diesem Dossier zusammengestellte Auswahl an sozialwissenschaftlichen und politikdidaktischen Veröffentlichungen kann als Anregung verstanden werden, erste Zugänge zum Thema „Künstliche Intelligenz“ zu finden und Forschungslücken in der bisherigen politikdidaktischen Diskussion zu KI und Algorithmen zu identifizieren.
Literaturempfehlungen:
Besand, Anja/ Sander, Wolfgang (Hrsg.) (2010): Handbuch Medien in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts.
Obwohl das bereits 2010 erschienene Handbuch weder KI noch Algorithmen als Themenfelder politischer Bildung abdeckt, zeigen die Beiträge anschaulich, was es bedeutet, die Relevanz von Medien und Technik für Politik und Gesellschaft nicht nur als Unterrichtsthema zu formulieren, sondern Verflechtungen zwischen Politik bzw. politischer Bildung und Technologien ernst zu nehmen und sie als elementares Arbeitsfeld politikdidaktischer Forschung zu begreifen.
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2018): Aus Politik und Zeitgeschichte: Künstliche Intelligenz, Jg. 68, Bonn, S. 6-8. online verfügbar
Die APuZ-Ausgabe zu Künstlicher Intelligenz greift in den einzelnen Beiträgen zentrale Fragen der gesellschaftlichen Debatte um KI auf: Wo liegen Nutzen und Vorteile für den Menschen? Wie verändern sich Wirtschaft, Arbeit und Alltag? Wie lassen sich Entwicklungen gesellschaftlich und politisch steuern?
Gapski, Harald/ Oberle, Monika/ Staufer, Walter (Hrsg.) (2017): Medienkompetenz. Herausforderungen für Politik, politische Bildung und Medienbildung, Bonn. online verfügbar
Der Sammelband widmet sich dem Konzept der Medienkompetenz als Schlüsselkompetenz für politische Urteils- und Handlungsfähigkeit, als Aufgabe für Politik und Gesellschaft und als allgemeines Ziel politischer Bildung. Künstliche Intelligenz wird im Kontext von Überwachung, Datenschutz und Selbstbestimmung diskutiert.
Hausner, Niko/ Wendlandt, Katharina/ Wendlandt, Matthias (2019): Informatikunterricht – Ein Muss zur politischen Mündigkeit. In: Pasternak, Arno (Hrsg.): Informatik für alle, Bonn. online verfügbar
Der Beitrag erörtert, welcher Zusammenhang zwischen dem Ziel politischer Mündigkeit und der Notwendigkeit informatischer Grundkenntnisse und Kernkompetenzen besteht und in welcher Form informatische Bildung zur Förderung politischer Urteilskompetenz beitragen kann.
Mosene, Katharina. (2020): KI und Intersektionalität: Feministische Netzpolitik und Künstliche Intelligenz in der politischen Bildung. In: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Politische Medienkompetenz, Hannover. online verfügbar
Der Artikel beschreibt intersektionale Diskriminierung im Kontext von KI-Technologie und diskutiert das Potenzial politischer Bildung im Umgang mit diskriminierenden Algorithmen und Machtstrukturen.
Schieren, Stefan/ Pohl, Kerstin (Hrsg.) (2016): Politik: Big Data. 1/2016, Schwalbach/Ts. Leseprobe online verfügbar
Mit Beiträgen zum Thema „die Macht der Algorithmen“, „Algorithmen und Big Data als Politikum“ oder „Das Politische der Großdatenforschung“ widmen sich die Beiträge der Politikum-Ausgabe Fragen nach veränderten Machtverhältnissen, gesellschaftlicher Verantwortung, rechtlicher Regelung und neuen Formen von Governance im Zeitalter der „vierten industriellen (R)evolution“.
Zweig, Katharina (2017): Hat ein Algorithmus immer recht? online verfügbar
Im Rahmen eines Interviews mit der Medienpädagogin Claudia Mikat für die Bundeszentrale für politische Bildung spricht die Sozio-Informatikerin Katharina Zweig über Chancen und Risiken von Big Data und KI für Sozialwissenschaften und Medienpädagogik.