Fallbesprechung & Kollegiale Fallberatung in der politischen Bildung
Für die Bearbeitung konkreter eigener Fälle bietet sich das Setting einer „kollegialen Fallberatung“ an. Mit dem Begriff der kollegialen Beratung wird ein systemisches Beratungsgespräch beschrieben, in dem Kolleg:innen sich nach einer vorgegebenen Gesprächsstruktur wechselseitig zu herausfordernden professionellen Fragen und Schlüsselthemen beraten und gemeinsam Lösungen entwickeln (vgl. Tietze 2015).
Die kollegiale Beratung kann ohne fremde Hilfe durchgeführt werden. Je nach Herausforderung und institutioneller Betroffenheit kann es aber auch hilfreich sein, diese durch eine externe Moderation zur Supervision auszubauen.
Im Folgenden stellen wir eine verkürzte Anleitung für den selbstbestimmten schnellen Praxisgebrauch vor. Die umsichtige Moderation und Durchführung bedarf dabei einer gewissen Übung. Zu den Grundsätzen der Methode gehört es, die eingebrachten Fälle vertraulich zu behandeln. Darüber hinaus geht es darum, Personen, die Fälle einbringen, neue hilfreiche Perspektiven auf die Problemstellung zu eröffnen, damit diese in ihrem Anliegen weiterkommen. Es geht also nicht um die eine, einzige richtige Lösung oder darum, die Sichtweise der beratenden Personen zu verordnen, sondern um einen möglichst konstruktiven Prozess, der für alle wichtige Einsichten bereithalten kann. Insofern sind auch alle Teilnehmenden in ihrer Mitarbeit an der kollegialen Beratung wert- zuschätzen.
Phasen kollegialer Fallberatung
Vorbereitung: Fallauswahl und Moderation
In der Gruppe wird die Rolle der Moderation vergeben. Sie hat die Aufgabe, durch die Phasen der kollegialen Fallberatung zu führen. In einem ersten Schritt haben die Teilnehmenden nun die Möglichkeit, einen eigenen Fall einzubringen. Sollten durch die Teilnehmenden mehrere Fälle eingebracht werden, muss unter Anleitung der Moderation zunächst eine Auswahl getroffen werden. Wir schlagen eine Teilnehmendenzahl von fünf bis zehn Personen vor.
Phase 1: Fallbeschreibung
In der ersten Phase geht es darum, den Fall für die Gruppe verständlich zu machen. Dazu beschreibt die fallgebende Person (Fallgeber:in) ihren Fall ausführlich. Dafür können Hilfsmittel wie beispielsweise Visualisierungen genutzt werden. Ziel ist es, dass die Gruppe den Fall und die damit verbundene Problemlage versteht. Die anderen Teilnehmenden hören den Ausführungen zu und dürfen die Schilderung nicht unterbrechen. Die fallgebende Person wendet sich abschließend mit einem Auftrag an die Gruppe, worin sie Unterstützung sucht.
Phase 2: Inhaltliche Fragen
Nach der Schilderung hat die Gruppe die Möglichkeit, Verständnisfragen zu stellen, um inhaltliche Unklarheiten zu beseitigen. Dabei müssen Wertungen, Andeutungen oder Vermutungen außen vor bleiben. Aufgabe der Moderation in dieser Phase ist es, darauf zu achten, dass nur Informationsfragen gestellt werden. Andere Fragen und Äußerungen dürfen und müssen von ihr unterbunden werden.
Phase 3: Reflexionsphase
Nun erhält die Gruppe die Möglichkeit, Gedanken zum Fall auszutauschen. Die Moderation achtet darauf, dass zunächst nur Erklärungen/Hypothesen für den Fall hervorgebracht werden. Im Anschluss soll die Gruppe verschiedene Lösungsansätze formulieren. Die Moderation achtet darauf, dass die eingebrachten Lösungsvorschläge keine Bewertungen in Bezug zur fallgebenden Person beinhalten. Die fallgebende Person zieht sich in der gesamten Phase aus dem Kreis zurück, hört dem Gespräch zu und darf sich nicht daran beteiligen. Sie notiert sich Erkenntnisse, Gefühle etc.
Phase 4: Rückmeldung
Die fallgebende Person kehrt in den Kreis zurück. Sie berichtet der Gruppe von ihren Eindrücken und was von dem Gehörten für sie brauchbar, interessant und neu ist. Die Gruppe hört zu.
Phase 5: Sharing
Eine fakultative Phase des Sharings kann die Fallberatung abschließen. Dabei dürfen alle an der Fallberatung Beteiligten kurz ihre eigene Betroffenheit mit dem Thema äußern bzw. was es bei ihnen ausgelöst hat.
ANGEPASSTER TEXTAUSZUG AUS:
Behrens, Rico/ Besand, Anja/ Breuer, Stefan (2021): Politische Bildung in reaktionären Zeiten. Plädoyer für eine standhafte Schule, Frankfurt/ M.: Wochenschau, S. 323-325.
VERTIEFUNGSLITERATUR:
Tietze, Kim-Oliver (2015): Kollegiale Beratung. Problemlösungen gemeinsam entwickeln, Reinbek/Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.