06.04.2021
Gerd Schwerhoff: „Der Sturm auf das Kapitol – politische Blasphemie?"
Mit Blick auf die Ereignisse in Washington am 6. Januar 2021 stellt sich SFB 1285-Sprecher Gerd Schwerhoff im literarischen Online-Magazin des S. Fischer Verlags die Frage, inwieweit Blasphemie auch heutzutage eine Rolle spielt und welche Aspekte es dabei zu beachten gilt:
"Entsprechende Gesetze gibt es ja nach wie vor auch in westlichen Ländern: Sie bewahren nicht mehr einen Schöpfergott vor menschlichem Spott, sondern sie sollen die Anhänger einer Religionsgemeinschaft vor der Verletzung ihrer Gefühle schützen. Oder sie sollen – wie in der Bundesrepublik – den öffentlichen Frieden bewahren, der durch eine Lästerung bedroht sein könnte.
Blasphemie im modernen Sinn lässt sich daher definieren als eine Handlung, mit der Werte und Symbole herabgewürdigt werden, die einer Gesellschaft bzw. bestimmten Teilgruppen dieser Gesellschaft als besonders schützenswert, eben als »heilig« gelten – weshalb sie besondere Empörung auslöst. »Heilig« beschränkt sich dabei keineswegs auf den Bereich des Religiösen im engeren Sinn. Auch und gerade in der Gegenwart gibt es viele »Heiligtümer«, deren Schmähung starke Empörung und heftige Reaktionen hervorrufen kann. »Volk« und »Nation« gehören sicher dazu. Stark umkämpft ist oftmals die Verspottung von Symbolen, die mit diesen Begriffen verbunden sind. [...]
Was »heilig« ist, liegt bis zu einem gewissen Grad im Auge der Betroffenen. Die Blasphemie oder das Begehen eines Sakrilegs (die Schändung »heiliger« Räume) zeigen sich auch dort, wo man sie zunächst nicht vermutet.
Die Ereignisse am 6. Januar 2021, als das Kapitol in Washington D.C. vorübergehend von einem aufgewühlten Mob okkupiert wurde, sind dafür ein eindrückliches Beispiel." (Textauszug)
Leitung Teilprojekt G
NameProf. Dr. Gerd Schwerhoff
Sprecher des SFB 1285
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Sonderforschungsbereich 1285: "Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung"
Sonderforschungsbereich 1285: "Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung"