Zum Thema der Jahrestagung: Populismus und Invektivität
„Populismus“ ist eines der zentralen politischen Stich- und Schlagworte der vergangenen Jahre. Gleichwohl ist völlig unklar bzw. umstritten, ob es sich dabei um ein politisches Phänomen handelt (das sich von Pegida und AfD über Zeman und Le Pen bis zu Trump ausbuchstabieren lässt), um eine wissenschaftliche Diagnose oder um ein diffamierendes Etikett im öffentlichen Meinungskampf – oder um alles drei gleichzeitig. Einigkeit besteht allerdings darüber, dass es kein klar zu verortendes soziologisches Korrelat des Populismus gibt, etwa derart, dass er alle Deklassierten und Abgehängten der Gesellschaft versammle. Ebenso schwierig ist ein klare weltanschauliche Verortung: Weder kann der Populismus eindeutig dem rechten oder im linken Lager zugeordnet werden, noch existiert eine geschlossene Ideologie, auch wenn sich mit der Ablehnung von Pluralismus, der Geringschätzung von Gewaltenteilung und der Zurückweisung repräsentativer Demokratiemodelle einige grobe Bestimmungsmerkmale identifizieren lassen. Vor diesem Hintergrund gewinnen Beobachtungen zur Performanz populistischer Bewegungen in der politischen Arena zentrale Bedeutung: Es sind ganz zentral invektive Tabu- und Normbrüche, mittels derer die suggestive Entgegensetzung von Volk und Machteliten in unterschiedlichen Erscheinungsräumen – vom Parlament über den Demonstrationsplatz bis hin zu den Plattformen der sozialen Medien – inszeniert wird. Diese aggressive Adressierungslogik darf nicht als Oberflächenphänomen missverstanden werden, sondern macht zu einem ganz wesentlichen Teil die innere Kohäsion, den Erfolg und die Attraktivität des Populismus aus.
Mit dieser Beobachtung wird „Populismus“ zu einem zentralen Analysegegenstand des SFB 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“, der sich der systematischen Untersuchung von Schmähungen, Beleidigungen und verbal-symbolischen Verletzungen in historischer ebenso wie gegenwartsbezogener Hinsicht verschrieben hat.1 Gemeinsam mit internationalen Populismus-Forscher/innen wollen wir über Ausprägungen, Effekte und Ursachen jener „Politik der Schmähung“ sprechen, die momentan immer weitere Kreise zu ziehen scheint. Im Rahmen der ersten Jahrestagung vom 14.-16. November 2018 soll es darum gehen, das Verhältnis von Populismus und Invektivität aus unterschiedlichen Blickwinkeln genauer zu profilieren. Nach einigen grundsätzlichen konzeptuellen und theoretischen Beiträgen (Sektion I) werden die aufmerksamkeitsökonomischen Praktiken und Evidenzstrategien, die Dramaturgien und Inszenierungsformen des Populismus in den Fokus der Betrachtung rücken (Sektion II). Zu fragen wird z. B. sein, wie das Invektive von der populistischen Rede als kommunikative Ressource der Feindsetzung genutzt werden kann, um Affekte zu mobilisieren und emotionale Gemeinschaften zu organisieren. Im Dialog hierzu steht die Frage nach den Medien des Populismus, seinen variierenden medialen Ermöglichungszusammenhängen, semantischen Reservoirs und seinen Bildwelten (Sektion III). Nicht zuletzt interessiert sich die Jahrestagung des SFB 1285 auch für die historischen Ausprägungen und Protoformen des Populismus: Gewöhnlich setzt die Genealogie des Populismus mit dem späten 19. Jahrhundert ein. Handelt es sich mithin um eine moderne Erscheinung, oder besitzt der Populismus auch für die Vormoderne, für die Epochen der Antike, des Mittelalters und der Renaissance, Relevanz und Analysekraft? (Sektion IV). Schließlich sollen in einem abschließenden Diskussionspanel zum Laboratorium Dresden das Verhältnis von lokalen Besonderheiten und übergreifenden Gemeinsamkeiten thematisiert werden.