27.09.2023
Maschinengeister: Kulturelle Narrative und das Sozia-materielle Unbewußte von KI | Moritz Ingwersen
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ ALS FAKTOR UND FOLGE GESELLSCHAFTLICHEN UND KULTURELLEN WANDELS
Abschlusstagung des TUD Schaufler Labs, 28.-30. September, 2023
Görges-Bau, TU Dresden
Maschinengeister: Kulturelle Narrative und das Sozia-materielle Unbewußte von KI
Moritz Ingwersen
Der Begriff der “künstlichen Intelligenz” liefert ein wunderbares und zuweilen wunderliches Beispiel für die Überlagerungen zwischen Metaphorik, Spekulation, und Realität, in denen sich Technologiegeschichte als gesellschaftlicher Diskurs ereignet. Eng verzahnt mit Mythologien des künstlich erschaffenen Menschen—von Ovids Pygmalion bis zu den Figuren des Golems und Frankensteins Kreatur—sind Imaginationen von denkenden Maschinen tief im kollektiven Bewusstsein der Moderne verankert. Bereits seit der Frühmoderne changieren Repräsentationen von KI hierbei zwischen Wunschvorstellungen einer gefügigen Dienstkraft und Szenarien eines Maschinenaufstands, der die evolutionäre Ablösung des Menschen einzuleiten droht. Aufgespannt durch ein Spektrum von anthropomorphen Robotern bis zum immateriellen Maschinenbewusstsein, artikuliert sich nicht erst seit der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts ein kulturelles Unbehagen gegenüber dem vermeintlichen Geist in der Maschine, durch das die Grenzen zwischen Science-Fiction und Science-Fact zusehends zu verschwimmen scheinen. Im Zeitalter von Google Duplex, LaMDA und ChatGPT ist es angebracht sich an Alan Turing zu erinnern, der im Jahr 1950 die Frage nach der maschinellen Fähigkeit zum Denken verwarf und stattdessen in seinem berühmten Imitation Game auf die menschliche Anfälligkeit für die Täuschung durch maschinelle Textproduktion verwies.
Anhand ausgewählter Beispiele aus der englischsprachigen Science-Fiction-Literatur soll es in diesem Beitrag um dieses Paradigma der Selbsttäuschung gehen, d.h. um die Arten und Weisen wie der populäre Diskurs um KI von stereotypen kulturellen Denkmustern und Darstellungsweisen geleitet ist, die die sozio-materielle Materialität von sogenannten KI-Systemen verschleiern. Vorherrschende Vorstellungen von KI werden hierbei kritisch in technologischgeschichtliche Entwicklungen eingeordnet und aktuelle literarische Interventionen und kulturtheoretische Ansätze vorgestellt, in denen gewohnte Deutungsmuster und Narrative unter Rückbezug auf dekoloniale, feministische, und indigene Perspektiven aufgebrochen und entfremdet werden.