10.10.2025
Call for Papers - Agrammatikalität als kritische Ressource: Abweichung, Hegemonie, kulturelle Dominanz und Macht
Call for Papers
Agrammatikalität als kritische Ressource: Abweichung, Hegemonie, kulturelle Dominanz und Macht
Thema & Ausgangspunkt
„Agrammatikalität“ – die bewusste oder unbewusste Verletzung grammatischer Normen – ist mehr als ein poetisches Verfahren. Als aisthetisch-ästhetische Störung macht sie die Politik der Sprache sichtbar: Wer definiert „Korrektheit“? Welche Stimmen gelten als hörbar, übersetzbar, zitierfähig? Und wo entstehen Zonen des Dissens, in denen literarische und kulturelle Praktiken hegemoniale Ordnungen irritieren?
Aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive verschränkt Agrammatikalität Form und Macht. Sie ent-naturalisiert Standardsprachen, destabilisiert institutionell abgesicherte „Grammatiken“ des Sagbaren und öffnet Räume für Minorität, Polyphonie, Opazität und Gegendiskurs. Damit steht sie im Spannungsfeld von Hegemonie (Gramsci), symbolischer Macht (Bourdieu), sinnlicher Politik (Rancière), repräsentationaler Ordnung (Foucault), Defamiliarisierung/Entautomatisierung (Slovskij), Minor-Literatur (Deleuze/Guattari), Performativität (Butler) sowie post-/dekolonialen Sprachpolitiken (Spivak, Ngũgĩ, Glissant). Ziel der Publikation ist es, agrammatische Praktiken als kultur- und literaturtheoretische Scharnierphänomene zwischen Abweichung/Störung, kultureller Dominanz und Macht zu sichten, in einen theoretisierbaren Zusammenhang zu stellen und in Richtung von Ansätzen zu einer Literaturtheorie der Agrammatikalität auszuwerten.
Erste Perspektiven für entsprechende Themenvorschläge könnten sein:
- Grammatiken der Macht: Wie sichern Standardisierung, Schulkanon, Verlags- und Medienpraktiken die Hegemonie einer „offiziellen“ Sprache? Welche Strategien agrammatischer Störung (Parataxen, Morphologiebrüche, Code-Switching, Kreolisierung, Pidginisierung) machen diese Ordnung sichtbar?
- Poetik des Dissens: Inwiefern erzeugen agrammatische Verfahren (Ellipsen, syntaktische Verrückungen, Präfix-Spaltungen, Neologismen, Interferenz- und Fehlerpoetik) ästhetische Erkenntnis und politisch wirksame Fremdheitseffekte?
- Heteroglossie & Registerpolitik: Wie unterlaufen literarische Texte (Roman, Lyrik, Drama) die Dominanz der Hochsprache, etwa durch Mündlichkeit, Soziolekte, Dialektliteratur, Hip-Hop/Spoken Word, Fanfiction oder digitale Memetik?
- Performativität & Normpolicing: Welche Rolle spielen Pronomen, Genusmarkierung, Neopronomen, Neologismen und „Fehler“ in Kämpfen um Geschlecht, Körper, Zugehörigkeit? Wo verläuft die Grenze zwischen Verstummen und Verhörbarkeit?
- Post-/Dekoloniale Sprachpraxis: Agrammatikalität als Opazität und Selbstbehauptung – von Übersetzungsunwilligkeit über „unreine“ Mehrsprachigkeit bis zur strategischen Nicht-Übersetzbarkeit.
- Materialität & Medien: Wie verändern Medientechnologien (Setzerei, Rechtschreibreformen, Plattformmoderation, LLMs/AI-Grammatikchecker) die Ökonomien von Fehler, Abweichung und Korrektur?
- Methodenfragen: Close Reading vs. Korpusverfahren (z. B. Stilometrie), digitale Annotation agrammatischer Phänomene, relationale Theoriebildung zwischen Ästhetik, Soziolinguistik und Cultural Studies.
Mögliche Schwerpunktfelder
- Avantgarde, konkrete Poesie, Sprachkritik (z. B. Stein, Jelinek, Celan, Schmidt, Lispector, Kamau Brathwaite)
- Minoritäre Schreibweisen und „Minor Literature“ (z. B. Kafka, postmigrantische Literatur, Global South)
- Postkoloniale & diasporische Poetik (Ngũgĩ, Glissant, Edouard Louis, Warsan Shire, Ocean Vuong u. a.)
- Popkulturelle Grammatikbrüche (Rap/Trap, Memes, Netzkultur, Fanfic)
- Übersetzung, Unübersetzbarkeit, Creolen/Kreolenliteraturen
- Normierung/Policing von Sprache (Duden/Academies, Schul- und Verlagspolitiken, Redaktionen, Plattformen)
- Algorithmische Grammatik: KI-Schreibwerkzeuge, Autokorrektur, Moderationsregeln
Beitragsformat:
- Erwünscht werden Beiträge, die das Phänomen der Agrammatikalität hinsichtlich vorliegender literatur- und kulturtheoretischer Ansätze weiterdenken und/oder in close readings konkreter ästhetischer Artefakte danach fragen, wie sich die Politizität der agrammatikalischen Form genauer beschreiben lässt.
Einreichung
Bitte senden Sie einen passenden Vorschlag bis 15. November 2025 an Dr. habil. Julia Prager / Dr. Florian Scherübl. Dieser sollte beinhalten:
- Abstract (max. 500 Wörter)
- Kurzbiografie (max. 100 Wörter), Zugehörigkeit, Kontakt
Zeitplan
- 23. November 2025 – Frist für Einreichungen
- 10. Dezember 2025 – Benachrichtigung über Annahme
- 31. März 2026 – Einreichung der Beiträge
Der Aufruf kann als PDF unter CfP_Agrammatikalität_25 heruntergeladen werden.