Bewahren der Erinnerung
Zur Fragilität des Gedenkens an die Shoah in Mitteleuropa: Zeugnisse der Überlebenden aus Sachsen, Schlesien und der Bukowina
Internationales Kolloquium
(10. - 12. Januar 2003)
Veranstalter:
MeZ
in Zusammenarbeit mit
dem Schlesischen Museum zu Görlitz,
der Stadt Görlitz
sowie der Stiftung "Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft"
Leitung:
Prof. Dr. Walter Schmitz
Organisation:
Annette Teufel
Finanzierung:
Gefördert durch
das Sächsische Staatsministerium des Innern
den DAAD
die Stiftung Schlesisches Museum zu Görlitz
die Stiftung Sächsische Gedenkstätten zu Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft
sowie die Alexander von Humboldt-Stiftung
Inhalt:
Mit dem Umbruch von 1989/90 waren die neuen Bundesländer auch vor die Notwendigkeit einer Überprüfung des gesellschaftlichen und kulturellen Gedächtnisses gestellt. Die Gedächtnisnormierungen der DDR, gerade auch im Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit, erforderten eine Korrektur. Dies gilt vielleicht im Freistaat Sachsen im besonderen Maß, hat sich dieses neue Bundesland doch seit seiner Neugründung immer besonders intensiv um die Stiftung einer Landesidentität bei seinen Bürgern bemüht.
Im Blick auf die Verfolgung und Vertreibung der Juden, also auf die Shoah, zeigt sich, daß manche Möglichkeiten des Erinnerns schon unwiederbringlich verloren sind. Um so dringlicher ist die Frage danach, wie gesellschaftlich-kulturelle Erinnerung heute zu bewahren ist - und zwar gerade die Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung der Juden in Deutschland und Mittel-/Osteuropa; denn sie gehört zu den Prämissen einer staatlichen Ethik Deutschlands.
Fast unwiederbringlich verloren ist in Sachsen die Möglichkeit des Gesprächs mit den Zeitzeugen (‚oral history') und hier vor allem mit den wenigen Überlebenden der Shoah selbst. Um so bedeutungsvoller ist es, daß durch eine frühere persönliche Initiative von Herrn Prof. Hermann Zabel (Dortmund) einige solche Gespräche mit Überlebenden in Israel geführt werden konnten. Diese Dokumente werden im Rahmen der Podiumsdiskussion der Stiftung "Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft" übergeben. Durch die Auswahl dreier benachbarter Regionen - Sachsen, Schlesien und die fast verschollene Bukowina - entsteht die Möglichkeit vergleichender Untersuchungen. Gleichzeitig wird auch ein prägender Teil der Geschichte Mitteleuropas exemplarisch sichtbar.
Eine Podiumsdiskussion wird den Höhepunkt des Kolloquiums bilden. Hier ist der Fragenkreis von Schuld und Verantwortung, von den Aufgaben und Möglichkeiten staatlicher Erinnerungspolitik abzuschreiten. Daß der Freistaat Sachsen hier immer wieder exemplarisch in internationalen Kontexten betrachtet werden kann, verbürgt die Zusammensetzung des Podiums. Die Aktualität dieser Fragen wird bis in die jüngste Zeit durch immer neue Debatten bestätigt.
Insgesamt wird dieses Kolloquium belegen, wie der Freistaat Sachsen seine Zukunft gestaltet, in dem er sich der Verantwortung für die Vergangenheit stellt. Die Wahl der heutigen Grenzstadt Görlitz als Tagungsort mit ihrer zerstörten, aber in der Rekonstruktion befindlichen ehemaligen Synagoge bezeugt diese Bindungen eine Vergangenheit, von der aus sich trotz Schuld und Zerstörung doch Wege in die Zukunft öffnen.
Programm:
Freitag, 10. Januar 2003
I. Sachsen - Schlesien - Bukowina: Zum Verlauf der Shoah in Mitteleuropa (Hotel Tuchmacher)
15: 30 Clemens Vollnhals: Jüdisches Leben in Sachsen: Von der Emanzipation zur Deportation
16:15 Gideon Greif: Schlesien während der Shoah
17:00 Andrei Corbea-Hoise: Verfolgung - Verschleppung - Ermordung: Die Shoah in der Bukowina
19:30 Podium: Gedächtnis und Verantwortung - Gesellschaftliche Erinnerung als politische Aufgabe (Kleiner Rathaussaal)
Teilnehmer:
Peter Ambros; Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Chemnitz
Prof. Dr. Andrei Corbea-Hoisie, Universität Jassy
Dr. Norbert Haase, Direktor der Stiftung Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der politischen Gewaltherrschaft in Sachsen
Michael Kretschmer, Mitglied des Deutschen Bundestages
Dr. Matthias Rößler, Staatsminister für Kunst und Wissenschaft des Freistaates Sachsen
Prof. Dr. Walter Schmitz, Direktor des MeZ
Prof. Dr. Hermann Zabel, Universität Dortmund
Samstag, 11. Januar 2003
Der Vormittag wird einem ‚workshop' gewidmet sein, das sich der intensiven Analyse der Videoaufzeichnungen jener Interviews widmet, die Prof. Hermann Zabel mit Überlebenden der Shoah geführt hat. Die Leitfragen richten sich auf die Themen "Sprache im Alter", "Sprache und Traumatisierung", "Muster der Narrativik in Lebenserzählungen", "Sprache und nonverbale Botschaften", "Vergleich der Vergegenwärtigungsprofile bei Opfern und Tätern". Teilnehmer des workshops sind Wissenschaftler und Studierende; die Resultate werden protokolliert und für die Veröffentlichung bearbeitet. (Hotel Tuchmacher)
II Die Rede der Überlebenden - Ein ‚workshop'
9:30 Sandra Wellinghoff / Hermann Zabel: Einführung - Gespräche mit Überlebenden aus Sachsen, Schlesien und der Bukowina
9:45 Harald Weilnböck: Trauma und Narration. Biographieforschung im Lichte der Psychotraumatologie
10:00 Walter Schmitz: Erzähltes Leben: Zur Narrativik der Selbstaussprache und Selbstinszenierung
10:15 Martina Pietsch: Wanderungen durch das Gedächtnis. Bericht über ein Erzählrunden- und Ausstellungsprojekt zur Vertreibung von Deutschen und Polen 1939-1949.
TeilnehmerInnen: Peter Ambros; stud. phil. Oliver Geisler; Dr. Gideon Greif; Prof. Dr. Heiko Hausendorf; Prof. Dr. Walter Schmitz; Annette Teufel; Dr. Harald Weilnböck (Ph.D.), Prof. Dr. Hermann Zabel.
III Medien der Erinnerung
14:30 Walter Schmitz: ‚Kulturelle Amnesie'? Vom Verlust der Erinnerung in der Mitteilung
15:15 Michael Neumann: Bilder der Erinnerung
16:30 Annette Teufel: Hybridisierung der Erinnerung - Dramaturgie und Authentizität in Spielfilmen über die ‚Shoah'
17:15 Tobias Weger: Die Darstellung der jüdischen Gemeinden und der Shoah in den Heimatbüchern deutscher Heimatvertriebener aus Schlesien
Sonntag, 12. Januar 2003
9:30 Kurt Rudolf Fischer: Wissenschaft - Gedächtnis - Gedenken: Biographische Anmerkungen
10:15 Kaffeepause
10:30 Sibylle Kussmaul: Zur Auseinandersetzung um die Darstellung der Shoah in Museen
11:15 Norbert Haase: Gedenkstätten und Gedenken