Echtzeitfähige Modellbibliothek für Werkzeugmaschinenbaugruppen mit integrierten Fehlermodellen (Model-Win-Time)
Laufzeit: |
05/2015 - 07/2017 |
Finanzierung: | |
Bearbeiter: |
Dipl.-Ing. Christian Friedrich (IMD) Dipl.-Ing. Salim Chaker (ITI) Dipl.-Ing. Christoph Schramm (ITI) |
Kooperation: |
ITI Gesellschaft für Ingenieurtechnische Informationsverarbeitung mbH |
Zielstellung und Lösungsansatz
Mit Hilfe multiphysikalischer Systemsimulationssoftware lassen sich komplexe technische Systeme modellieren, simulieren und analysieren. Durch die ganzheitliche virtuelle Betrachtung von Prozess, Maschine und ggf. Steuerung sind vielfältige Designentscheidungen und Variantenuntersuchungen in kurzer Zeit möglich, die an einer realen Anlage entweder nur mit hohem zeitlichen und finanziellen Aufwand, nur mit hohem technischen Risiko oder überhaupt nicht durchführbar wären. Die Systemsimulation ist damit ein wesentliches Werkzeug bei Auslegung, Entwurf und Charakterisierung technischer Systeme und bietet dem Anwender erhebliche Zeit- und Kostenvorteile bei der Entwicklung, Inbetriebnahme und späteren Optimierung seiner Produkte.
Dennoch werden Systemsimulation und virtuelle Inbetriebnahme insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) kaum eingesetzt. Das liegt vor allem am hohen erforderlichen Aufwand und Know-how, das zur Modellerstellung notwendig ist. Mit vorgefertigten Modellbibliotheken aus den Bereichen Mechanik, Mehrkörpersysteme, Hydraulik, Elektrotechnik, Thermodynamik usw. stehen dem Anwender zwar die zur Modellerstellung notwendigen Basisblöcke zur Verfügung, jedoch bilden diese, trotz ihrer Vielfalt, nur die physikalisch notwendigen Modellgrundelemente und einfache Teilsysteme ab. Genau diese Hürde des hohen Modellierungs- und Validierungsaufwands zur Abbildung selbst grundlegender, häufig verwendeter Maschinenbaukomponenten, wie Vorschubachsen, stellt das wesentliche Hindernis beim Einsatz von Systemsimulationssoftware für den Anwender dar, dem nur durch anwendungsgerechte Modellbibliotheken für häufig verwendete komplexere Baugruppen begegnet werden kann.
Ein wesentliches Ziel des Vorhabens ist daher, den Modellierungsprozess beim Anwender deutlich schneller und sicherer zu gestalten. Der Lösungsansatz dafür besteht in einer Modellbibliothek mit voreingestellten Konfigurationen und validierten Teilmodellen für komplexere Maschinenbaugruppen. Gegenstand des Vorhabens ist die Entwicklung einer solchen Modellbibliothek am Beispiel linearer Vorschubachsen.
Ein weiteres bedeutendes Einsatzfeld der Systemsimulation besteht in der frühzeitigen Steuerungsentwicklung für das technische System anhand des Simulationsmodells bis hin zur virtuellen Inbetriebnahme mit der Steuerungsprogrammierumgebung im Rahmen einer Software-in-the-Loop(SiL)-Simulation bzw. mit der realen Steuerungstechnik im Rahmen einer Hardware-in-the-Loop(HiL)-Simulation. Die virtuelle Inbetriebnahme kann die Entwicklungszeit und den tatsächlich benötigten Inbetriebnahmezeitraum erheblich verkürzen und das wirtschaftliche und technische Risiko bei der Inbetriebnahme beträchtlich senken. Voraussetzung dafür ist allerdings die SiL- und HiL-Fähigkeit des Simulationsmodells. Insbesondere bei komplexen Modellen ist die SiL-/HiL-Fähigkeit nicht automatisch gegeben, sondern es erfordert eingehende Analysen und Kenntnisse der Simulationstechnik beim Anwender, um das Modell durch entsprechende Modifikation von Eigenwerten, Modellinhalten oder Änderungen des Modellierungsansatzes in Teilmodellen echtzeitfähig zu machen, ohne den Modellierungsfehler relevant zu vergrößern.
Ein weiteres wesentliches Ziel des Vorhabens stellt aus diesem Grund die Herstellung der Echtzeitfähigkeit des zu entwickelnden Vorschubachsmodells dar - und zwar für alle praxisrelevanten Konfigurationen.
Schließlich besteht ein wesentlicher Teil der Steuerungsentwicklung in der Entwicklung von Sicherheitsfunktionen und Fehlerbehandlungsroutinen, welche i.d.R. durch sog. Testfälle im Rahmen von Softwaretests geprüft werden. Die Spezifikation der Testfälle ist zum Großteil anwendungsspezifisch und sehr aufwändig. Aufgrund der geringen Komplexität vorhandener Bibliothekselemente werden bisher keine Testfälle darin spezifiziert. Bei Modellbibliotheken für komplexere Maschinenbaugruppen sind wesentliche Anwendungsfelder und damit Funktions- und Fehlertestfälle jedoch bereits im Vorfeld bekannt und können direkt in die Bibliothek integriert werden, wodurch die Effizienz bei der Modellierung weiter steigert wird.
Das dritte Teilziel des Vorhabens besteht folglich in der Integration relevanter Funktions- und Fehlertestfälle in das Vorschubachsmodell - wie bspw. Sensorausfall, Fehlschmierung, Blockade usw. - sowie der Spezifikation und Umsetzung einer Software-Schnittstelle für Komponententests zur Erweiterung der SiL-/HiL-Simulation um die Möglichkeit des Test-driven Development (TDD).
Zusammengefasst besteht die technologische Entwicklung aus einer:
- Anwendungsgerechten konfigurierbaren Modellbibliothek komplexer Maschinenbaugruppen, am Beispiel der „linearen Vorschubachse“ inklusive der dafür notwendigen Teilmodelle, die
- für alle Konfigurationen echtzeitfähig ist und Schnittstellen für SiL-/HiL-Simulationen bereitstellt sowie
- relevante Funktions- und Fehlertestfälle inklusive der zugehörigen Schnittstellen beinhaltet.
Ergebnisse
Basierend auf Recherche und systematischer Einordnung praxisrelevanter Vorschubachstypen wurden Modellarchitektur und Schnittstellen abgeleitet, Teilmodelle implementiert und die generische Modellbibliothek umgesetzt. Alle in SimulationX-Bibliotheken vorhandenen Elemente für Antrieb, Übersetzung, Kupplung, Vortrieb, Führungen und Anschläge wurden angepasst, mit passenden Parameterdialogen und Ergebnisgrößen ausgestattet und in die Vorschubachsbibliothek in entsprechen Klassen abgelegt. Fehlende Modellteile wurden nachmodelliert, eine Kompatibilität zum Gesamtmodell wurde dabei hergestellt. Zusätzliche Anpassungen der Modellblöcke erfolgten für die physikalische Fehlermodellierung, zur Steuerungsanbindung und Variantenrechnung. Für den Austausch von Teilmodellen durch den übergeordneten Konfigurationsdialog erfolgte die Kapselung dieser in separaten Components. Die Modellteile wurden zu einem generischen Gesamtmodell zusammengefügt. Durch die gewählte Architektur werden über 1000 mögliche Konfigurationen abgebildet.
Das Modell ist über Dialogfenster konfigurierbar und parametrierbar, die Simulierbarkeit der Auswahl ist dabei stets gewährleistet (Kompatibilität der Teilmodelle). Die Bedienung ist durch den Konfigurationsdialog sehr einfach: Der Nutzer wählt zunächst die Art des Antriebsmotors aus - Lineardirektantrieb oder Servoantrieb - und anschließend gemäß seiner zu modellierenden Achse die Komponenten - Übersetzungsgetriebe, Kupplung, Vortrieb, Führung und Endlagen.
In umfangreichen experimentellen Untersuchungen wurde die Modellbibliothek gegenüber verschiedenen realen Maschinenachsen validiert. Die Ergebnisse der Experimente flossen dabei in die Bibliotheksentwicklung zurück. Basis der Bewertung sind die in der jeweiligen Maschinensteuerung messbaren Größen Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung sowie die externe Messung via Laserinterferometer. Alle dieser Größen sind auch im Modell messbar. Das Ziel einer schnellen und komfortablen Modellierung mit einer hohen Modellierungstiefe ist für das Projekt erreicht. Die Gültigkeit der Modelle konnte in experimentellen Untersuchungen nachgewiesen werden.
Für die Steuerungsanbindung der Bibliothek zur Erhöhung ihrer Nachnutzbarkeit in Form einer Eignung zur virtuellen Inbetriebnahme müssen Teile der Bibliothek echtzeitfähig sein. Dabei besteht ein anderes Nutzungsszenario als bei der offline-Simulation. Insbesondere sind deutlich weniger Details zu modellieren und simulieren. Aus diesen Gründen wurden zur Erreichung der Echtzeitfähigkeit abgerüstete Komponentenmodelle für alle Teilmodule des Vorschubachsmodells entwickelt. Dabei wurden für das Anwendungsszenario nicht relevante und echtzeitkritische Details entfernt - wie bspw. Zahnflankenspiel oder unstetiger Übergang zwischen Haft- und Gleitreibung. Mit der Verwendung der Echtzeitmodule kann die Echtzeitfähigkeit immer sichergestellt werden.
Basis für die Fehleranalyse und Testfallgenerierung ist die Analyse der Einzelfehlerfälle der Systemmodule. Da diese mit der Bibliothek im Vorfeld bekannt sind, können Fehlermodelle in die Bibliothek integriert werden. Dazu wurden für alle Teilmodule Fehler- und normale Events definiert und in die Bibliothek implementiert. Auf Basis der Einzelfehler werden Fehlerklassen abgeleitet, die übergreifend gelten und eine Fehlerfortpflanzung ermöglichen. Für jede Komponente wird dann entsprechend der eigenen Fehler und der eingehenden Fehler eine Ausgangsabweichung bestimmt. Dabei gehen auch normale Systemzustände mit ein. Mit diesen Informationen werden Fehlerbäume und Cutsets für einen globalen Fehler berechnet. In diese gehen die Fehlerzustände aller Komponenten in Kombination ein. Jede mögliche Kombination, die zum globalen Fehler führt, ist ein Cutset und damit ein zu testender Fehlerfall.
Neben der Erstellung von separaten Modellen für einzelne Testfälle ist insbesondere die Funktionalität der Variantenrechnung für alle oder ausgewählte Testfälle interessant. Der Anwender wählt dafür alle oder ausgewählte der aufgelisteten Cutsets aus und erstellt daraus eine Testvariante.
Schließlich wurde ein Interface zur Steuerung der CNC aus dem Simulationsmodell heraus entwickelt, auf dessen Basis der Variantenassistent vollautomatisch die Fehlertestfälle abarbeiten kann. Dieses Interface erlaubt es, Modi und Zustände der CNC anzusteuern und auf diese Weise CNC-Programme aus der Simulation heraus zu laden und abzuarbeiten. Weiterhin wird eine Rückmeldung aus der CNC empfangen, die Modus, Zustand und Fehler beinhaltet. Meldet die CNC-Steuerung beispielsweise einen Fehlercode, kann dann auch die Simulation beendet werden. Durch das Zusammenspiel aller Tools und Funktionalitäten konnte ein nahezu vollständig automatisierter Test von Fehlerszenarien einer virtuellen Vorschubachse mit angeschlossener CNC-Steuerung realisiert werden.
Die im Rahmen dieses Projektes erarbeiteten Methoden zur Testfallermittlung, -verarbeitung und physikalischen Umsetzung der Fehlertestfälle in virtuellen Modellen sind nicht auf das Anwendungsgebiet der Vorschubachsen begrenzt. Durch vergleichbare und ggf. weiter verbesserte Implementierungen in Modellen beliebiger anderer physikalischer Systeme kann ein genereller Mehrwert beim automatisierten Testen erreicht werden.
Veröffentlichungen
Friedrich, C. ; Schramm, C. : Ganzheitliche Systemsimulation linearer Vorschubachsen mit SimulationX. ESI Forum in Deutschland, Weimar, 11/2017
Schramm, C. ; Friedrich, C. ; Ihlenfeldt, S. : Virtuelle Tools im Maschinenbau – Modellierung und Simulation von Vorschubachsen aus dem Baukasten. In: antriebstechnik, 10/2017, S. 66-68
Schramm, C. ; Friedrich, C. : Ganzheitliche Modellierung und Simulation von Vorschubachsen. 2. VDI Fachkonferenz – Schwingungen in Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinen, Dresden, 2017
Friedrich, C. ; Chaker, S. ; Schramm, C. ; Ihlenfeldt, S. : Generic feed-axis library for machine tools. In: Simulation X User Forum 2016, Dresden, 2016, S. 134-143
Chaker, S. ; Friedrich, C. : Generische Modellbibliothek zur effizienten SiL-/HiL-Simulation von Vorschubachsen. 17. Dresdner WZM-Fachseminar Intelligenz und Vernetzung in der Entwicklung und beim Betrieb von Werkzeugmaschinen, Dresden, 2015
Kontakt
Research associate
NameMr Dr.-Ing. Christian Friedrich
Employee of the department CPPS at Fraunhofer IWU Dresden