Exzentrische Gelenke
Laufzeit: | 01/2009 - 04/2011 |
Finanzierung: | DFG |
Bearbeiter: | Dr.-Ing. Bernd Kauschinger Dipl.-Ing. Mirko Riedel |
Zielstellung
Projektziel war die Verbesserung der Anwendungseignung von Parallelkinematiken, deren Anwendungsbreite, trotz intensiver Erforschung und Entwicklung seit Mitte der 1990er Jahre, nach wie vor eingeschränkt ist. Als Ursachen dafür gelten die noch nicht wirtschaftliche Beherrschung der Bewegungsgenauigkeit sowie der begrenzte Arbeitsraum. In beiden Fällen bilden die eingesetzten Gelenke entscheidende Schwachstellen. Für Gelenke an Parallelkinematiken wird allgemein gefordert, dass sich die Gelenkdrehachsen in einem Punkt schneiden. Diese Forderung führt vorteilhaft zu einem vereinfachten kinematischen Modell für die Ansteuerung und Analyse. Darüber hinaus wird sie vielfach auch als relevante Grundlage für die Anwendbarkeit diverser Formalismen angesehen, wie zum Beispiel Entwurfs- und Auslegungsmethoden. Nachteilig werden dadurch allerdings die konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten im Gelenk stark eingeschränkt, so dass hohe Gelenksteifigkeit (d.h. hohe Genauigkeit) und große Schwenkwinkel (d.h. großer Arbeitsraum) gegensätzliche Forderungen darstellen, was Kompromisse bei der Gelenkgestaltung und -fertigung erfordert. Optimierte Lösungen führen zu sehr teuren Spezialgelenken, deren Einsatz nur begrenzt wirtschaftlich ist. Diese Forderung nach sich schneidenden Gelenkdrehachsen ist jedoch keine Voraussetzung für den Zwanglauf der kinematischen Struktur. Das eröffnet die Möglichkeit für eine alternative Gelenkbauform, die gelenkspezifische Begrenzungen beseitigt und Defizite konventioneller Gelenke umgeht.
Lösungsweg
Der im Vorhaben verfolgte Lösungsansatz besteht darin, die Forderung nach sich schneidenden Gelenkdrehachsen aufzulösen (Bild 1). Dadurch erweitern sich die konstruktiven Gestaltungsmöglichkeiten im - hier als exzentrisch bezeichneten - Gelenk. Der kollisionsfreie Bauraum für die Lagerung der Gelenkachsen wird größer, und es lassen sich große Schwenkwinkel in allen Gelenkachsen realisieren. Gleichzeitig kann vor allem das Kardankreuz kompakter gestaltet werden, so dass hohe Gelenksteifigkeiten und große Schwenkwinkel nicht mehr gegensätzlich sind. Konstruktive Vereinfachungen im Gelenk reduzieren zusätzlich Fertigungsaufwand und Herstellkosten und ermöglichen damit auch einfache und preiswerte Bauformen. Der Lösungsansatz folgt damit konsequent dem Konzept der einfachen Bauart, nach dem am IWM Dresden bereits der Hexapod FELIX entwickelt wurde.
Diese alternative Gelenkbauform erfordert allerdings eine komplexere kinematische Transformation, d.h. höheren Rechenaufwand bei der Ansteuerung und Analyse. Mit der Leistungsfähigkeit heutiger Rechentechnik stellt dieser Umstand aber mittlerweile kein Problem mehr dar. Die dem Vorhaben zu Grunde liegende Idee exzentrischer Gelenkdrehachsen ist prinzipiell nicht neu. Für den Einsatz solcher Gelenke in parallel-kinematischen Werkzeugmaschinen fehlten jedoch theoretische, konstruktive und anwendungsspezifische Grundlagen, die im Rahmen des Vorhabens erarbeitet und durch Untersuchungen am Einzelgelenk praktisch überprüft wurden.
Ergebnisse
Wesentliche Arbeitsinhalte waren die Erarbeitung berechnungs-seitiger Grundlagen für die erweiterte kinematische Transformation, die Analyse von Auswirkungen auf den Arbeitsraum sowie die Untersuchung konstruktiver Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere mit vorspannbaren Wälzlagern. Weiterhin erfolgte die Konstruktion und Fertigung ausgewählter exzentrischer Gelenkbauformen (Bild 1). Die Gestaltung orientierte sich dabei einerseits an der Baugröße und mechanischen Schnittstellen eines konventionellen Kardangelenkes, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen, und andererseits an der eingesetzten Lagerung (Schrägkugellager, Dünnring-Schrägkugellager, Kegelrollenlager).
Experimenteller Schwerpunkt war die Analyse der schwenk-winkelabhängigen Steifigkeit der gefertigten Gelenke. Hierfür wurde ein spezieller Prüfstand entwickelt und aufgebaut, der die Einstellung beliebiger Schwenkwinkelkombinationen bis +/- 90° sowie das Aufbringen von Gelenkbelastungen bis +/- 5kN ermög-licht (Bild 2). Die Messung der lastabhängigen räumlichen Verlagerung der Gelenkkomponenten erfolgte mit optischen Mitteln auf Basis der Nahbereichsphotogrammetrie. Auf dieser Grundlage ließen sich sehr aussagekräftige Messwerte gewinnen, was mit der ursprünglich geplanten Verlagerungsmessung mit Feinzeigern nicht möglich gewesen wäre. Bild 3 zeigt beispielhaft die dafür verwendete photogrammetrische Mess- und Auswertesoftware, die am IWM im Rahmen eines weiteren DFG-Projektes "Wirtschaftliche Posemessung an Werkzeugmaschinen mit einem photogrammetrischen Messsystem" entwickelt wurde und vorteilhaft für die Gelenkvermessung eingesetzt werden konnte.
Mit den drei gefertigten Gelenkbauformen sowie dem konventionellen Kardangelenk als Vergleichsbasis wurden umfangreiche Versuchsreihen für verschiedene Schwenkwinkelkombinationen und Gelenkbelastungen durchgeführt und ausgewertet. In Bild 4 sind die gemessenen schwenkwinkelabhängigen Gelenksteifigkeiten (in Stabrichtung) dargestellt. Dabei zeigen sich für die exzentrischen Gelenke fast durchgängig deutlich höhere Werte gegenüber dem konventionellen Vergleichsgelenk (bis zu 5fach). Darüber hinaus existiert noch gestalterisches Potential für weitere Steigerungen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mit Hilfe exzent-rischer Gelenke der Widerspruch zwischen hoher Gelenksteifigkeit und großem Schwenkbereich aufgelöst werden kann. Damit sind an Parallelkinematiken größere Arbeitsräume und höhere Bewegungsgenauigkeiten realisierbar. Mit Hilfe vorgespannter Wälzlager lassen sich steife und spielfreie Gelenke gestalten, die auch vergleichsweise preiswert herzustellen sind. Die kinematische Transformation ist zwar aufwändiger und komplexer, es wurden jedoch Lösungen gefunden, die eine echtzeitfähige und damit steuerungsnahe Berechnung ermöglichen. Damit sind wesentliche Voraussetzungen zur Verbesserung der Anwendungseignung von Parallelkinematiken geschaffen. Weiterführende Untersuchungen sollen nun zeigen, wie sich die verbesserten Gelenkeigenschaften auf das geometrisch-kinematische sowie das elastostatische Verhalten des Gesamtsystems der Parallelkinematik auswirken.
Kontakt

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
NameHerr Dr.-Ing. Bernd Kauschinger
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Professur für Werkzeugmaschinenentwicklung und adaptive Steuerungen
Professur für Werkzeugmaschinenentwicklung und adaptive Steuerungen
Besuchsadresse:
Kutzbach-Bau, Raum 106 Helmholtzstraße 7a
01069 Dresden