28.06.2019
Volkskrankheit Diabetes im Fokus: Warum verweigern Betazellen die Freigabe von Insulin?
Jeder elfte Erwachsene weltweit leidet an Diabetes, Tendenz stark steigend. Diabetes ist weltweit eine der am weitest verbreiteten Krankheiten. Bei der häufigsten Diabetesform, dem Typ-2-Diabetes, reagieren die Körperzellen zunehmend unempfindlich auf das Hormon Insulin, das von Betazellen in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird und die Aufnahme von Zucker aus dem Blut in die Zellen fördern soll. Patienten leiden infolge der zunehmenden Insulinresistenz der Zellen an einem erhöhten Blutzuckerspiegel mit weitreichenden Folgen. Nach langjähriger Krankheit versiegt die Insulinproduktion, und Patienten mit Typ-2-Diabetes müssen Insulin spritzen.
Was ist die Ursache hierfür? Forscher des Paul Langerhans Instituts Dresden des Helmholtz Zentrums München am Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden (PLID) haben gemeinsam mit Kollegen des Imperial College London und weiteren Forschungsinstituten aus Großbritannien, Kanada und Italien erstaunliche Zell-Interaktionen nachgewiesen: Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse arbeiten in hochvernetzten Verbünden, sogenannten Inselzellen, und ihre Reaktionen auf steigenden Blutzuckerspiegel werden von gewissen „Chef“-Zellen (Leader-Zellen) koordiniert. Zum Nachweis dessen hat das Forscherteam eine innovative Bildgebungstechnik entwickelt, mit der erstmals die hierarchische Beziehung von Betazellen bei lebenden Tieren wie Zebrafischen und Mäusen beobachtet werden konnten.
„In diesen Modellorganismen sahen wir, dass bei einem Anstieg des Blutzuckerspiegels die Reaktion der Betazellen von zeitlich begrenzt existierenden Leader-Zellen gesteuert wurde. Haben wir die Leader-Zellen dann gezielt deaktiviert, waren die Reaktionen auf Zucker auf einmal gestört“, erklärt Promotionsstudent Luis Delgadillo Silva, einer der zwei Hauptautoren der Studie.
Mathematische Analysen belegten, dass die Leader-Zellen eine Kontrollfunktion für die Inselzellen innehaben. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass einige Betazellen eine einzigartige molekulare Signatur haben. Diese erlaubt es ihnen offenbar, eine aktive Rolle im Stoffwechsel zu spielen und stattet sie mit einer höheren Zucker-Sensibilität aus.
Die Wissenschaftler werden auf Basis dieser Erkenntnisse nun untersuchen, ob die Leader-Zellen von Geburt an vorhanden sind oder diese Rolle im Laufe der Zeit erst annehmen. Sie wollen auch erforschen, ob diese Zellen anfälliger für Schäden sind, wenn sich Diabetes entwickelt, und ob neue Leader-Zellen durch genetische oder pharmakologische Umprogrammierung von Zellen kreiert werden können.
"Um die Rolle der Leader-Zellen in den Inselzellen besser zu verstehen, haben wir eine Reihe neuer Methoden für unsere Arbeit mit Zebrafischen entwickelt. Wir wollen Betazellen aktivieren oder zum Schweigen zu bringen, indem wir sie dem Licht aussetzen. Außerdem werden wir einzelne Zellen über längere Zeit beobachten. Mit diesen Tools können wir genau feststellen, wie viele Zellen von einer Leader-Zelle kontrolliert werden und welche Gene die Identität einer Leader-Zelle bestimmen", erklärt Luis Delgadillo Silva.
Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature Metabolism veröffentlicht und zieren das aktuelle Cover des Wissenschaftsjournals. Ihre Studie wurde u.a. finanziert durch die TUD/CRTD, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Freistaat Sachsen, das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung sowie die Europäische Stiftung für Diabetesforschung.
Veröffentlichung:
Leader β-cells coordinate Ca2+ dynamics across pancreatic islets in vivo. Salem V, Delgadillo Silva L, Suba K, Georgiadou E, Gharavy SNM, Akhtar N, Martin-Alonso A, Gaboriau DCA, Rothery SM, Stylianides T, Carrat G, Pullen TJ, Pal Singh S, Hodson DJ, Leclerc I, Shapiro AMJ, Marchetti P, Briant LJB, Distaso W, Ninov N & Rutter GA. Nature Metabolism. volume 1, pages615–629 (2019)
https://www.nature.com/articles/s42255-019-0075-2
Weitere Informationen:
Dr. Nikolay Ninov
Tel: +49 (0) 351 463 82104
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