Feb 21, 2023
Nachruf auf Prof. Dr. Jürgen Fabian (1936 – 2023)
Mit Trauer hat die Fakultät Chemie und Lebensmittelchemie vom Tode ihres langjährigen Kollegen und Angehörigen des Lehrkörpers der Organischen Chemie, Herrn Prof. Dr. rer. nat. habil. Jürgen Fabian, erfahren.
Jürgen Fabian wurde 1936 in Sohland/Spree geboren und studierte Chemie an der TH Dresden. Er diplomierte bei Friedrich Asinger und wurde 1961 vom neu berufenen Direktor des Instituts für Organische Chemie, Roland Mayer, als Doktorand übernommen. Dieser schickte ihn 1963 zum Zusatzstudium in die Arbeitsgruppe von Rudolf Zahradnik an die Tschechoslowakische Akademie der Wissenschaften nach Prag. Dort sollte er halbempirische Methoden der organischen Quantenchemie samt ihrer rechentechnischen Umsetzung für die Dresdner Arbeitsgruppe für schwefelorganische Verbindungen nutzbar machen.
Dieser Studienaufenthalt, dem in den nächsten 20 Jahren weitere folgten, bestimmte nachhaltig sein wissenschaftliches Profil: Als organischer Chemiker, der bereits präparativ seine ersten Erfolge hatte und angehender optischer Spektroskopiker, der strukturelle Besonderheiten von Molekülen aus deren IR- und UV- Spektren lesen konnte, kam nunmehr eine Kompetenz in halbempirischer organischer Quantenchemie hinzu. Mit diesem damals noch sehr seltenen Profil, das Physikalische und Organische Chemie sowie die Quantenphysik gleichermaßen einbezog, war er einer der ersten Vertreter der Theoretischen Organischen Chemie in Deutschland. Seine wissenschaftlichen Fragestellungen gingen immer von Struktur- und Eigenschaftsproblemen organischer Moleküle aus. Die Zahlenflut der Quantenchemie blieb ebenso wie spektroskopische Untersuchungen immer nur Mittel zum Zweck, um das Verhalten organischer Moleküle zu verstehen.
Die Kontakte nach Prag hielt er während seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn aufrecht. Von seinen nahezu 200 Publikationen und Monographien ist ein erheblicher Teil nach Zusammenarbeit mit Rudolf Zahradnik und Mitgliedern seiner Arbeitsgruppe entstanden.
Auf andere Art wichtig wurden für ihn die Kontakte zu Nikolay Tyutyulkov, der eine stärker theoretisch orientierte Arbeitsgruppe an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia leitete. Seine Kooperation mit den Kollegen in Sofia waren ebenfalls Grundlage einer größeren Zahl gemeinsamer Publikationen.
In Dresden behandelten seine ersten quantenchemischen Arbeiten die physikalischen und chemischen Eigenschaften konjugierter schwefelhaltiger Verbindungen, die in der Arbeitsgruppe Mayer vielfach erstmalig hergestellt wurden. Viele dieser Arbeiten entstanden gemeinsam mit seinem Fachkollegen Achim Mehlhorn, mit dem er auch alle Studienaufenthalte in Prag und Sofia gemeinsam absolviert hatte. Später wandte er sich stärker dem Studium von Farbstoffmolekülen zu, wobei die Gruppe der Streptopolymethine als grundlegende organische Strukturen neben den Polyenen und den benzoiden Kohlenwasserstoffen im Mittelpunkt standen. Dabei erreichte er in Zusammenarbeit mit Horst Hartmann grundlegende Ergebnisse, die auch durch die Arbeiten von Siegfried Dähne in Berlin inspiriert wurden.
Erst in der 2. Hälfte der 80er Jahre begann er mit nicht-empirischen quantenchemischen Untersuchungen, wobei er auch hier wieder auf Farbstoffmoleküle zusteuerte, deren Molekülgröße am Anfang den Einsatz dieser Methoden verbot. Aber dies änderte sich mit der Zeit. Als Höhepunkt muss eine seiner letzten Arbeiten aus dem Jahre 2010 gelten, in der er die UV-S-NIR-Spektren von 130 Farbstoffstrukturen mit Hilfe einer Time Dependent Dichtefunktional-Theorie untersucht (TD-DFT) und systematisiert hat.
Jürgen Fabian war ein überaus produktiver und kreativer Wissenschaftler, der seine wissenschaftlichen Fragestellungen an jeden Ort und in jede Lebenssituation mitnahm. Er war ein zutiefst selbst-reflektierter und selbstkritischer wissenschaftlicher Denker, ein Vorbild für alle seine Mitarbeiter, die er in den Jahren seines wissenschaftlichen Wirkens geführt und qualifiziert hat. Er musste seine zahlreichen wissenschaftlichen Beiträge zur organischen Quantenchemie weitgehend aus sich selbst heraus konzipieren und durchführen. Reisen zu Tagungen und Aufenthalte in einschlägigen Arbeitsgruppen im Westen blieben ihm ebenso verwehrt, wie die rechtzeitige Berufung auf eine Professur, für die er bereits 1970 nach seiner Habilitation alle akademischen Voraussetzungen besaß. Auch seine Hochachtung, die er in der Fachwelt genoss, änderte daran nichts. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung, mit 56 Jahren, erhielt er den Ruf auf eine Professur für Physikalische Organische Chemie und Quantenchemie an seiner Heimatuniversität.
So entwickelte er sich zu einem „Meister der kleinen Form“: Er gründete eine virtuelle Arbeitsgruppe mit strukturell unterschiedlich zugeordneten Mitgliedern und diskutierte mit ihnen jede Woche freitags über Aspekte der theoretischen Chemie. Bedingung für eine Mitgliedschaft dieser Gruppe waren regelmäßige eigene Fachbeiträge. Er war auch stets bemüht, sein umfassendes Fachwissen an Studierende, Doktoranden und Kollegen weiterzugeben. Er organisierte Quantenchemieschulen für die Kollegen der damaligen Sektion Chemie und erhielt 1970 die Möglichkeit, einen solchen Qualifizierungslehrgang für kubanische Wissenschaftler in Habana durchzuführen. Auch daraus resultierten Verbindungen, die über Jahre hinweg junge kubanische Wissenschaftler nach Dresden führten. Für seine Tätigkeit in Kuba wurde ihm 2001 der Ehrentitel „Professor Invitado“ der Universität Habana verliehen.
Mit Jürgen Fabian, der am 29. Januar 2023 im 87. Lebensjahr verstorben ist, verliert die Fakultät Chemie und Lebensmittelchemie einen geschätzten Kollegen und international renommierten Forscher, dem alle, die ihm begegnet sind und das Privileg hatten, mit ihm zusammenarbeiten zu können, ein ehrendes Andenken bewahren werden.
verfasst von Achim Mehlhorn und Horst Hartmann, zusammen mit den aktuellen und ehemaligen Dozenten des Lehrbereichs Organische Chemie: Bernd Plietker, Hans-Joachim Knölker, Thomas Straßner, Peter Metz und Wolf Habicher