Motivation
In den Grundkursen der Festkörperphysik wird das Konzept eines idealen Kristalls eingeführt, in dem jedes Atom einen bestimmten Platz einnimmt. Dies ist jedoch eine Idealisierung, die sehr weit von der Realität entfernt ist. Es gibt keine idealen Kristalle.
Bereits in den frühen Studien der Festkörperforschung wurde festgestellt, dass Defekte häufig tiefgreifende Auswirkungen auf deren physikalische Eigenschaften haben. Die eindrucksvollsten Beispiele dieser Art finden sich in der Halbleiterphysik. Die Existenz der Halbleiterelektronik basiert auf der Fähigkeit, sowohl die Größe als auch die Art der elektrischen Leitfähigkeit durch die Einführung kleiner Zusätze chemischer Verunreinigungen zu steuern, die die Eigenschaften kleiner Donatoren oder Akzeptoren haben.
Die Untersuchung von Defekten in Halbleitern wurde daher zu einem Bereich aktiver Forschung, unmittelbar nachdem Halbleiter zu wichtigen technologischen Materialien wurden. Darüber hinaus hat die Entwicklung der Nanoelektronik dazu geführt, dass die Anfälligkeit von Geräten für unerwünschte Defekte, die bei der Materialverarbeitung entstehen, deutlich zugenommen hat. Gleichzeitig sind durch die Entwicklung neuer Geräte und technologischer Verfahren die Anforderungen an eine präzise Steuerung der Materialeigenschaften durch das Einbringen gewünschter Defekte gestiegen.
Unsere Gruppe untersucht seit langem die Eigenschaften von Defekten in Halbleitern vom „klassischen“ Si, Ge und GaAs bis hin zu transparenten leitenden Oxiden wie ZnO, SnO2, TiO2 usw. Die wichtigste Forschungsmethode ist die optische Spektroskopie, einschließlich Photolumineszenz , IR-Absorption, Raman-Streuung und Photoleitfähigkeit. Weitere Methoden umfassen verschiedene Arten der Kapazitätsspektroskopie (DLTS, Minoritätsträgerspektroskopie usw.) und den Hall-Effekt. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit verschiedenen Theoriegruppen zusammen. Durch die Kombination verschiedener experimenteller Methoden und eingehender theoretischer Analyse können erhebliche Fortschritte beim Verständnis der Eigenschaften von Defekten in Halbleitern und damit bei der Entwicklung neuer Halbleitertechnologien erzielt werden.
Aktuelle Projekte
Wasserstoff in Zinn(mon)oxid (2021-2024, Deutsche Forschungsgemeinschaft, LA 1397/20-1)
Zinnoxid (SnO2) ist ein wichtiger Halbleiter, der vielfältig in transparenter Elektronik, Solarzellen, Gassensoren, Touchscreens, Katalyseprozessen und Spintronik eingesetzt wird. SnO2 zeigt nur n-Typ-Leitfähigkeit, wodurch die Reichweite der Anwendungen stark limitiert ist. Zinnmonoxid (SnO) hingegen hat kürzlich Bekanntheit erlangt auf Grund des Nachweises von ambipolaren Dotierverhalten. Wasserstoff ist eine bedeutende Verunreinigung in Metalloxiden, einschließlich SnO2 und SnO, und sehr schwer während des Kristallwachstums und der Nachbehandlung auszuschließen. Um die Leitfähigkeit von Zinn(mon)oxid zu kontrollieren ist daher eine genaue Kontrolle der Wasserstoffzufuhr während und nach des Wachstums nötig. Das Verständnis der Eigenschaften von Wasserstoff in SnO2 und besonders SnO auf einem mikrostrukturellen Level ist derzeitig noch sehr begrenzt. Das Projekt zielt darauf ab, diese Wissenslücke zu schließen. Spektroskopische Methoden werden angewandt um Einblick in die strukturellen und elektrischen Eigenschaften von Wasserstoff zu erhalten - mit besonderem Schwerpunkt auf interstitielle Defekte, Wasserstoff gebunden an Sauerstoff-Vakanzen, dem Wasserstoff-Molekül und Wasserstoff-Akteptor-Komplexen wie z.B. die Sn-Vakanz passiviert mit Wasserstoff.
Flache Dotierungen und Kompensationszentren in Antimonchalkogeniden (2023-2026, Deutsche Forschungsgemeinschaft, LA 1397/21-1)
Der dringende Bedarf an hocheffizienten, kostengünstigen Solarzellen motiviert Forscher, nach neuen Absorbermaterialien für die Dünnschicht-Photovoltaik zu suchen. Antimontriselenid (Sb2Se3) und Antimontrisulfid (Sb2S3) haben ein immenses Forschungsinteresse als neue Absorber für hocheffiziente, umweltfreundliche, stabile und kostengünstige Dünnschicht-Solarzellen erhalten. Defekte und Verunreinigungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit aller Halbleiterbauelemente. Derzeit ist die Physik von Defekten in Sb2Se3 und Sb2S3 noch unerforscht und es ist nicht eindeutig klar, welche der intrinsischen Defekte, Verunreinigungen oder Defektkomplexe und in welchem Umfang freie Ladungsträger induzieren oder als schädliche Haftstellen oder Rekombinationszentren wirken. Unser Projekt zielt darauf ab, diese Lücke zu schließen. Zentrales Ziel des Projektes ist die Untersuchung grundlegender Eigenschaften von flachen Dotierungen und Kompensationszentren in einkristallinen Sb2Se3 und Sb2S3. Dabei konzentrieren wir uns auf technologisch wichtige Verunreinigungen wie z.B. Chlor, Sauerstoff und Wasserstoff. Optische und elektrische Spektroskopie werden eingesetzt, um Einblicke in die mikroskopische Struktur, elektrische Aktivität, thermische Stabilität, Diffusionsmechanismen, die Evolutionskinetik und die Bildung von Komplexen zwischen extrinsischen Dotierelementen und intrinsischen Defekten zu erhalten. Das Projekt wird zu einem besseren Verständnis von Defekten in Sb2Se3 und Sb2S3 beitragen und somit die Bemühungen unterstützen, diese Materialien zu einer breiteren technologischen Nutzung in der Photovoltaik, photoelektrochemischen Zellen oder anderen solarbetriebenen Anwendungen zu bringen.