PROTECT-AD
Zusammenfassung der ersten Ergebnisse der Therapiestudie PROTECT-AD
Zunächst möchten wir uns bei allen Patientinnen und Patienten unserer BMBF-geförderten Multi-Center-Studie PROTECT-AD für die Teilnahme bedanken, insbesondere auch für Ihre Bereitschaft, die Fragebögen der Nacherhebung auszufüllen. Sie haben damit einen wichtigen Beitrag geleistet, uns Informationen darüber zu geben, wie genau die Therapie gewirkt hat und noch nachwirkt. Mit Ihrer Hilfe können wir nun die Versorgung von Menschen, die unter Angststörungen leiden, langfristig deutlich verbessern. Vielen Dank dafür!
Nachfolgend fassen wir unsere wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie zusammen. In den kommenden Monaten (und Jahren) werden wir unsere Analysen weiter vertiefen und diese Erkenntnisse noch ausbauen.
Die nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich auf unsere Studie zur Behandlung von Angststörungen im Erwachsenenalter, in der die Wirksamkeit einer neuen Form der Expositionstherapie überprüft wurde. Diese wurde entweder in einem zeitlich regulären Rahmen oder zeitlich intensiviert durchgeführt. Mit den ersten Ergebnissen wollen wir zunächst die folgenden Fragen beantworten:
1. Wie gut wirkt unsere Form der Therapie?
2. Wirkt eine zeitlich intensivierte Therapie besser?
3. Welche Nebenwirkungen gibt es bei den beiden Therapieformen?
1. Wie gut wirkt unsere Form der Therapie?
Die expositionsbasierte kognitive Verhaltenstherapie gilt als das Mittel erster Wahl für die Behandlung von Angststörungen, deren Wirksamkeit bereits in zahlreichen Studien gezeigt wurde. Dabei sind Expositionsübungen der Kern dieser Therapieform, bei denen sich Betroffene in die Situationen begeben, die starke Angst auslösen und deswegen oft lange vermieden wurden. Diese „Exposition“ hat das Ziel, die angstauslösenden Befürchtungen (Bedrohungserwartungen) widerlegen zu können. Obwohl die grundsätzliche Wirksamkeit der Exposition bestätigt ist, bemüht sich unsere Forschung, diese Methode weiter zu optimieren und Behandlungserfolge zu erhöhen. Bislang war unklar, ob spezifische Strategien in der Art der Expositionsdurchführung die Behandlungsergebnisse verbessern können. In unserer Studie haben wir hierfür zwei Aspekte untersucht. Wie Sie sich vielleicht erinnern, zielten die Übungen innerhalb der Therapie darauf ab, angstbezogene Erwartungen bzw. Befürchtungen vor diesen Übungen zu überprüfen. Beispielsweise, ob man aufgrund von starker Angst im Bus in Ohnmacht fällt oder man von den Zuhörenden beim Halten eines Vortrags ausgelacht oder abgelehnt wird. Dieser starke Fokus auf die Widerlegung von Befürchtungen wird in der traditionellen Expositionstherapie nicht gelegt. Daher haben wir untersucht, ob diese Art der Behandlung gut oder sogar wirksamer ist.
2. Wirkt eine zeitlich intensivierte Therapie besser?
Der zweite Aspekt unserer Studie war die zeitliche Verdichtung der Expositionsübungen: Um dies zu untersuchen, bildeten wir zwei Gruppen, auf die die 726 Teilnehmenden mit unterschiedlichen Angststörungen zufällig verteilt wurden. Hierbei haben wir untersucht, ob eine intensivierte Exposition (3 Sitzungen pro Woche) im Vergleich zu einer nicht-intensivierten Standard-Exposition (1 Sitzung pro Woche) einen besseren und schnelleren Therapieerfolg erzielen kann. Der Aufbau der Studie in Abbildung 1 skizziert. Die Gruppen haben wir PeEx-S (für Standard, d.h. nicht intensiviert) und PeEx-I (für Intensiviert) benannt (PeEx steht hierbei für prediction-error [Vorhersagefehler] exposure, was den Fokus auf die Widerlegung angstbezogener Erwartungen berücksichtigt). Beide Gruppen durchliefen 12 Expositionssitzungen mit jeweils 100 Minuten sowie 2 Booster-Sitzungen 2 und 4 Monate nach der 12. Sitzung.
Um den Erfolg beider Behandlungen zu vergleichen, füllten alle Teilnehmende vor Beginn (BL = Baseline), direkt nach Abschluss (Post) und 6 Monate (FU = Follow-Up) nach der Behandlung eine Reihe an Fragebögen aus. Erhoben wurden dabei, neben demographischen Angaben, Angstsymptome (HAM-A), die allgemeine Schwere der Symptomatik, die Lebensqualität (EQ5-D), die Anzahl der Tage mit Beeinträchtigungen in Aktivitäten im letzten Monat (WHODAS) sowie gleichzeitig bestehende Depressionssymptome (BDI-II).
3. Welche Nebenwirkungen gibt es bei den beiden Therapieformen?
Wie bei jeder Behandlungsform kann auch eine Psychotherapie Nebenwirkungen haben. In Bezug auf die Expositionstherapie wird des Öfteren vermutet, sie verursache teils starke Nebenwirkungen wie Angstanfälle oder schwere Depression. Um solche Nebenwirkungen zu vermeiden, werden in der Routineversorgung oft nur „leichte“ Formen von Exposition eingesetzt, die weniger erfolgversprechend sein könnten (z.B. sollen sich Betroffene die Angstsituationen nur vorstellen, aber nicht wirklich aufsuchen). Wir haben darum untersucht, welche Nebenwirkungen Patient:innen in der zeitlich intensivierten Form von Exposition tatsächlich erleben. Dazu haben wir einen bewährten Fragebogen zur Erfassung von Nebenwirkungen in der Psychotherapie eingesetzt.
ERGEBNISSE
Zu 1: Wie gut wirkt unsere Form der Therapie?
Wie erwartet zeigten sich in beiden Untersuchungsgruppen nach Abschluss der Therapie sehr große Verbesserungen in allen untersuchten Bereichen: Die Symptome der Angst, die Beeinträchtigung hierdurch und auch die Lebensqualität konnten deutlich verbessert werden. weitere Verbesserungen in der 6-monatigen Follow-Up-Phase. Die Abnahme der Angstsymptome ist in Abbildung 2 veranschaulicht.
In der Forschung wird die Wirksamkeit einer Therapie in sogenannten Effektstärken berechnet, die eine Aussage erlauben, ob die Veränderungen leicht, mittel, hoch oder sehr hoch ausfallen. Für alle Maße, die Angstsymptome messen, haben wir eine sehr hohe Wirksamkeit nachweisen können. Über alle teilnehmenden Patienten und Patientinnen zeigte unsere Therapie also eine sehr hohe Wirksamkeit. Die Verbesserung hielt im Durchschnitt bis zur Befragung nach 6 Monaten an bzw. stieg sogar leicht an.
Zu 2: Wirkt eine zeitlich intensivierte Exposition besser?
Beim Vergleich der beiden Gruppen hinsichtlich des Ausmaßes und der Dauer bis zu Verbesserungen haben sich gemischte Ergebnisse gezeigt. Beim Ausmaß der Verbesserung der Angstsymptome konnten wir keinen Unterschied zwischen intensivierter und nicht-intensivierter Therapie feststellen. Wie in Abbildung 2 zu sehen ist, nimmt das Ausmaß der Angstsymptome zwar über die Zeit ab, aber unterscheidet sich an den einzelnen Messpunkten nicht zwischen den beiden Therapiearten. Allerdings traten aufgrund der zeitlichen Intensivierung die Verbesserungen in der intensivierten Gruppe wesentlich schneller ein, im Durchschnitt 32% schneller (siehe Abbildung 3).
Auch in anderen Aspekten zeigten sich leichte Vorteile der intensivierten Exposition. So brachen in der Übungsphase weniger Patienten und Patientinnen die Therapie ab und 6 Monate nach der Therapie berichteten die Patienten und Patientinnen aus der intensivierten Expositionsgruppe eine etwas höhere Lebensqualität und etwas weniger Tage mit Beeinträchtigungen.
Praktische Konsequenzen unserer Ergebnisse: Diese Ergebnisse der Studie zeigen, dass durch beide Formen der Expositionstherapie die Symptomschwere und Beeinträchtigungen, die mit Angststörungen einhergehen, substanziell verringert werden können. Durch das schnellere Ansprechen in der zeitlich intensivierten Exposition ergeben sich einige Vorteile für das Gesundheitswesen. Während Behandlungen in der Routineversorgung oft mehrere Monate bis Jahre andauern, konnte durch unsere Studie gezeigt werden, dass die Therapie schwerer Angststörungen durch intensivierte Expositionssitzungen bessere oder zumindest gleichwertige Ergebnisse erzielen kann. Damit ergibt sich ein wertvoller Ansatz, das Wohlbefinden von Betroffenen wiederherzustellen, Arbeitsunfähigkeitstage zu reduzieren sowie die individuelle und gesellschaftliche Herausforderung zu verringern.
Wissenschaftlicher Artikel zu den Ergebnissen (englisch, frei verfügbar):
Pittig, A., Heinig, I., Goerigk, S., Thiel, F., Hummel, K., Scholl, L., Deckert, J., Pauli, P., Domschke, K., Lueken, U., Fydrich, T., Fehm, L., Plag, J., Ströhle, A., Kircher, T., Straube, B., Rief, W., Koelkebeck, K., Arolt, V., ... Wittchen, H.‐U. (2021). Efficacy of temporally intensified exposure for anxiety disorders: A multicenter randomized clinical trial. Depression and Anxiety, 1–13. https://doi.org/10.1002/da.23204
Zu 3: Welche Nebenwirkungen gibt es bei den beiden Therapieformen?
Häufigkeit, Intensität und Dauer von negativen Nebenwirkungen: 42% der Behandelten gaben an, in der Therapie mindestens eine Nebenwirkung erlebt zu haben, unabhängig von deren Intensität. Am häufigsten waren die Angst, dass andere von der Therapie erfahren (17%), Phasen mit Niedergeschlagenheit (15%) und das Gefühl von der Therapeut:in abhängig zu sein (11%, siehe Abbildung 4). Die einzelnen Nebenwirkungen waren allerdings nur schwach in ihrer Intensität ausgeprägt. Diese Intensität nahm 6 Monate nach Ende der Therapie noch signifikant ab. In der intensivierten Therapie wurden etwas mehr Nebenwirkungen berichtet. Beide Therapieformen wurden jedoch als gleich sinnvoll, zufriedenstellend und erfolgreich beurteilt (8-9 Punkte auf einer Skala von 0 bis 10). Interessant war auch, dass die GLaubwürdigkeit und Zufriedenheit mit beiden Therapieformen nach Beginn der Expositionsübungen noch zunahm. Wir schließen daraus, dass intensivierte Therapien durchaus mit einer etwas höheren Belastung verbunden sein können, die aber von den Patient:innen in der Regel gut zu bewältigen ist. Therapeut:innen sollten am Anfang über die zu erwartenden Belastungen aufklären, damit Patient:innen selbst entscheiden können, ob sie dazu bereit sind.
Häufigkeit, Intensität und Dauer von positiven Nebenwirkungen: Im Nebenwirkungsfragenbogen haben wir auch Informationen über „positive Nebenwirkungen" erhoben, das heißt positive Ergebnisse der Therapie, die nicht direkt mit den Angstproblemen zu tun haben. 94% der Patient:innen, das heißt fast alle, erlebten positive Nebenwirkungen. Am häufigsten waren ein allgemein besserer seelischer Zustand (88%), weniger Leiden unter der Vergangenheit (58%). Positive Nebenwirkungen waren im Durchschnitt auch viel stärker ausgeprägt als die negativen Nebenwirkungen (etwa 40-mal so stark) und nahmen bis zum Follow-Up nicht ab. Insgesamt sind die positiven Nebenwirkungen einer Expositionstherapie offenbar sehr viel stärker als die negativen Effekte.
Wissenschaftlicher Artikel zu Nebenwirkungen und Akzeptanz der Therapie:
Heinig, I., Knappe, S., Hoyer, J., Wittchen, H.-U., Arolt, V., Deckert, J., Domschke, K., Hamm, A., Kircher, T., Lueken, U., Margraf, J., Neudeck, P., Rief, W., Straube, B., Ströhle, A., Pauli, P., & Pittig, A. (accepted). Effective – and tolerable: Acceptance and side effects of intensified exposure for anxiety disorders. Behavior Therapy. https://doi.org/10.1016/j.beth.2022.11.001