A2 Sucht als Volitionsstörung: Beeinträchtigungen kognitiver Kontrollfunktionen bei Substanzstörungen bei Nikotinabhängigkeit und Pathologischem Glücksspielen
Hintergrund und Ziele: Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass dysfunktionale Veränderungen in Netzwerken die Bewertungen und kognitiver Kontrolle zu Grunde liegen wichtige Mechanismen von Substanzstörungen und abhängigen Verhaltensweisen (SRAD) sind. In Studie 1 adressierten wir die Frage 1) welche Muster von beeinträchtigtem Entscheidungsverhalten und kognitiver Kontrolle mit Nikotinabhängigkeit (ND) und dem Pathologischem Glücksspielen (PG) assoziiert sind. Um das Wissen bezüglich der Stabilität der Aufgaben zur Erfassung von Entscheidungsverhalten und kognitiver Kontrolle zu erweitern, haben wir weiterhin 2) die Retest-Reliabilität dieser Maße in Personen mit SRAD und Kontrollpersonen untersucht. In Studie 2 wollten wir herausfinden, 3) ob beeinträchtigtes Entscheidungsverhalten und kognitiver Kontrolle generelle Charakteristika von ND sind oder spezifisch in Nikotin-bezogenen Kontexten auftreten.
Methoden: Studie 1: Wir rekrutierten eine PG-Gruppe (n=26), eine ND-Gruppe (n=42), jeweils nach DSM-IV diagnostiziert, und eine gesunde Kontrollgruppe (n=52). Die Probanden führten 2 Testungen innerhalb von 3 bis 4 Wochen durch, welche je sechs Aufgaben zur Erfassung von Entscheidungsverhalten und kognitiver Kontrolle beinhalteten. Studie 2: In einer Stichprobe von 27 Rauchern mit ND nach DSM-IV und einer Kontrollgruppe von 33 Niemalsrauchern erfassten wir Entscheidungsverhalten und inhibitorische Kontrolle. Es wurde ein Priming mit Rauch-relevanten und neutralen Bildern vor jedem Trial der Aufgaben etabliert. Weiterhin testeten wir den Einfluss von Nikotindeprivation und Craving auf den Primingeffekt.
Ergebnisse: Studie 1 zeigte, dass 1) ND und PG mit vergleichbar verringerter inhibitorischer Kontrolle im Vergleich zu Kontrollpersonen assoziiert war. Defizite im Entscheidungsverhalten waren dagegen in PG mehr ausgeprägt als in ND im Vergleich zu Kontrollen. 2) Die Retest-Reliabilität schwankte stark zwischen den Aufgaben und Parametern, wobei die meisten eine gute Reliabilität aufwiesen. Es zeigte sich jedoch auch, dass die Retest-Reliabilitäten sich zwischen den Störungsgruppen unterschieden. In Studie 2 fanden wir, dass 3) Personen mit ND verglichen mit Kontrollpersonen erhöhte Abwertung zukünftiger Belohnungen und kürzere Reaktionszeiten nach rauch-relevanten im Vergleich zu neutralen Priming. Die schneller Reaktion nach rauch-relevanten Reizen war signifikant assoziiert mit positiveren Bewertungen der Bilder, einer längeren Zeit seit der letzten Zigarette und erhöhtem Craving in der ND-Gruppe.
Diskussion: 1) Während ND und PG durch Defizite in inhibitorischer Kontrolle charakterisiert sind, ist dysfunktionales Entscheidungsverhalten spezifisch für PG. Interventionen, die kognitive Kontrollfähigkeiten stärken könnten effektiv für ND und PG sein während die maladaptive Bewertung von Belohnungen spezifisch in PG gestärkt werden sollte. 2) Die Retest-Reliabilität von Maßen des Entscheidungsverhaltens und der kognitiven Kontrolle ist adäquat für Längsschnittstudien, wobei man die Aufgabenparameter sorgfältig auswählen sollte. Jedoch unterscheiden sich die Retest-Reliabilitäten zwischen verschiedenen SRAD-Gruppen, was zu falschen Gruppen- und Interventionseffekten führen kann. Um diesen Fehler zu verringern, sollten Längsschnittstudien latente Variablenmodelle nutzen. 3) Personen mit ND zeigen im Vergleich zu Niemalsrauchern dysfunktionaleres Entscheidungsverhalten und schnellere Reaktionen nach rauch-relevanten im Vergleich zu neutralen Reizen. Die schnelleren Reaktionszeiten in ND, besonders bei erhöhter Nikotindeprivation und Craving, könnten durch einen erhöhten Aufmerksamkeitsfokus erklärt werden. Reiz-indizierte Veränderungen in Entscheidungsverhalten und inhibitorischer Kontrolle in ND hängen sehr von der zeitlichen Reihenfolge der Reizpräsentation ab.
Projektleiter: Prof. Gerhard Bühringer, Prof. Thomas Goschke
Mitarbeiterin: Dr. Anja Kräplin
Förderung: DFG
Dauer: 04/2011 - 03/2014
Publikationen
Kräplin, A., Scherbaum, S., Bühringer, G. & Goschke, T. (2019). Decision-making and inhibitory control after smoking-related priming in nicotine dependent smokers and never-smokers. Addictive Behaviors, 88, 114-121. doi.org/10.1016/j.addbeh.2018.08.020
Kräplin, A., Scherbaum, S., Bühringer, G., & Goschke, T. (2016). Retest reliabilities of decision-making and cognitive control measures in addictive disorders. Sucht, 62(4), 191–202. doi.org/10.1024/0939-5911/a000430
Kräplin, A., Behrendt, S., Scherbaum, S., Dshemuchadse, M., Bühringer, G., & Goschke, T. (2015). Increased impulsivity in pathological gambling: Considering nicotine dependence. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology, 37(4), 367-378. doi.org/10.1080/13803395.2015.1018145
Kräplin, A., Bühringer, G., Oosterlaan, J., van den Brink, W., Goschke, T., & Goudriaan, A. E. (2014). Dimensions and disorder specificity of impulsivity in pathological gambling. Addictive Behaviors, 39(11), 1646-1651. doi.org/10.1016/j.addbeh.2014.05.021
Kräplin, A., Dshemuchadse, M., Behrendt, S., Scherbaum, S., Goschke, T., & Bühringer, G. (2014). Dysfunctional decision-making in pathological gambling: pattern specificity and the role of impulsivity. Psychiatry Research, 215(3), 675–682. doi.org/10.1016/j.psychres.2013.12.041