14.03.2025
Projekt "Erinnerungs_reich" der Medizinischen Fakultät der TUD: Museen als Medizin für Menschen mit Demenz bieten hohen Nutzen bei geringen Kosten

Teilnehmende der Studie beim Museumsbesuch in den Staatslichen Kunstsammlungen.
Knapp zwei Millionen Menschen sind laut Deutscher Alzheimer-Gesellschaft in Deutschland von einer Demenzerkrankung betroffen. Aktuell ist es nicht möglich die Krankheit aufzuhalten oder gar zu heilen. Zudem bringen Medikamente zur Symptomlinderung kaum Erfolge. Forschende des Bereichs Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden (TUD) haben deshalb nach einem neuen Ansatz gesucht, um die Lebensqualität von Betroffenen und ihren Angehörigen zu verbessern. Über einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren untersuchten sie mit dem Projekt „Erinnerungs_reich“ in Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ob und wenn ja wie regelmäßige Museumsbesuche den Allgemeinzustand von Demenzerkrankten verbessern können. Am 14. März 2025 stellten sie auf einem Symposium in Dresden die Ergebnisse vor.
Etwa 80 Prozent der knapp zwei Millionen an Demenz Erkrankten in Deutschland werden zu Hause gepflegt. Da es derzeit keine Aussicht auf Heilung gibt, steht bei der Behandlung die Minderung von psychischen und somatischen Belastungen, die mit der Krankheit einhergehen, im Mittelpunkt. Darüber hinaus ist es essentiell, die pflegenden Angehörigen zu unterstützen.
„Mit dieser Studie ging es uns in erster Linie um die Stärkung des Präventionsgedankens. Wir wollten prüfen, wie Betroffene mit niedrigschwelligen und einfach umzusetzenden Maßnahmen möglichst lange aktiv und innerhalb der Möglichkeiten gesund bleiben können“, erklären die Studienleiter Dr. Karen Voigt, Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin sowie Forschungskoordinatorin im Bereich Allgemeinmedizin der TUD, und Dr. Michael Wächter, Arzt, Theologe, Kunsthistoriker und Projektleiter von „Erinnerungs_reich“.
Andere Länder sind hier weiter als Deutschland. Das Museum of Modern Art in New York untersuchte bereits Anfang des Jahrtausends die Wirkung von Museen auf Demenzkranke. In Großbritannien können sich chronisch kranke Menschen den Museumsbesuch vom Hausarzt verschreiben lassen. Als einzige deutsche Studie existierte bis jetzt „Artemis“, ein Projekt mit dem Städel Museum in Frankfurt/Main, das die Wirkung von Museumsbesuchen mit anschließenden Kunstworkshops untersuchte. „Dieser Ansatz erschien uns mit Blick auf die knappen Ressourcen der Museen gerade im ländlichen Raum nicht zielführend“, erklärt Wächter. Die Dresdner Studie fokussierte sich auf die vergleichende Untersuchung von geführten und nicht-geführten Museumsbesuchen über einen Zeitraum von zehn Wochen in zwölf Gruppen.
Nach dem Ende der Studie können Voigt und Wächter ein positives Fazit ziehen. „Zum einen haben wir in ganz Sachsen – sowohl in den kreisfreien Städten als auch in fast allen Landkreisen – 33 Museen demenzsensibel geschult und mit ihnen gemeinsam einen Leitfaden für Museumsbesuche von Menschen mit Demenz entwickeln können“, sagt Voigt. Zum anderen zeigen die Ergebnisse der Studie mit 102 Teilnehmenden, dass der präventive Ansatz erfolgreich ist. „Die Ziele, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu erhöhen und die seelische Gesundheit zu verbessern, haben wir durch die Museumsbesuche erreicht. Die Kunstwerke ermöglichten es ihnen, an individuelle Erfahrungs- und Erinnerungswelten anknüpfen und so ins Gespräch kommen“, ergab laut Voigt und Wächter die Auswertung der Studie. Allein bei der sogenannten „caregiver burden“, der Belastung der Angehörigen durch die Pflege konnten keine Veränderungen festgestellt werden.
„Diese Deutlichkeit der Ergebnisse haben wir so nicht erwartet“, erklärt Wächter. „Unsere Empfehlung ist daher ganz klar, Museumsbesuche in die Regelversorgung zu übernehmen.“ Das mag ungewöhnlich klingen, gibt Voigt zu: „Eine Jahreskarte fürs Museum ist insbesondere mit Blick auf die Linderung depressiver Symptome bei Menschen mit Demenz offenbar jedoch deutlich wirksamer als Medikamente. Diese sind teuer, helfen aber laut aktuellen Studien Betroffenen nicht, ihre Lebensqualität zu verbessern.“
Prof. Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, unterstreicht die Bedeutung von präventiven Maßnahmen im Gesundheitswesen: „Angesichts hoher Kosten im Gesundheitswesen muss in Deutschland dringend mehr in Prävention und Gesundheitsförderung investiert werden. Als Hochschulmedizin Dresden können wir mit evidenzbasierten Untersuchungen einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Das Projekt ‚Erinnerungs_reich‘ zeigt, welchen großen Nutzen präventive Maßnahmen haben können.“
Die Studie „Erinnerungs_reich“ – Museen als Medizin für Menschen mit Demenz
Es handelt sich um eine randomisiert-kontrollierte interventionsbezogene Studie im Freistaat Sachsen mit 102 Teilnehmenden bestehend aus 51 Tandem-Paaren aus einem Demenzerkrankten und einem Angehörigen. Entwickelt wurden im Verlauf der Studie ein Schulungskonzept für Museumspersonal, Schulungsmaterialien und der auf dem Abschluss-Symposium vorgestellte öffentlich zugängliche Leitfaden. Teilgenommen haben 51 Kunstvermittler:innen aus 33 Museen in ganz Sachsen. Anschließend wurde das partizipativ entwickelte Präventionsangebot für Menschen mit Demenz und deren Angehörige in zwei Gruppen getestet: einer Interventionsgruppe mit demenzsensiblen Museumsführungen und einer Kontrollgruppe ohne Führung.
Die Ergebnisse wurden mittels Befragung vor und nach der Intervention (T0 und T1) sowie sechs Monate nach den Besuchen (T2) erhoben. Ermittelt wurden „caregiver burden“, Lebensqualität, Wohlbefinden sowie körperlicher und psychischer Gesamtzustand.
Schirmherrin des Projekts ist Staatsministerin Petra Köpping. Die Projektförderung von rund 250.000 Euro erfolgte durch das Sächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und mit Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des GKV-Bündnisses für Gesundheit in Sachsen (Landesrahmenvereinbarung / P. Sachsen).
Kontakt:
Dr. med. Dr. phil. Michael Wächter, M.A.
Dr. rer. medic. Karen Voigt MPH
Leitung Projekt: Erinnerungs_reich - Museen als Medizin für Menschen mit Demenz
Bereich Allgemeinmedizin
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
Tel.: +49 (0)351 458 89230
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