23.10.2017
Wie regeneriert der Zebrafisch sein Rückenmark? Neues Zellkultursystem soll bei Entschlüsselung helfen.
Dr. Michell M. Reimer, Forschungsgruppenleiter am DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD), Exzellenzcluster an der TU Dresden, und sein Team stellen eine neue, anwenderfreundliche und hoch-reproduzierbare Kulturplattform für die Analyse von OPC-Zellen (Oligodendrocyte Progenitor Cells) im erwachsenen Zebrafisch vor. Dieses System wird dabei helfen, die molekularen und zellulären Programme zu entschlüsseln, welche dem Zebrafisch die funktionelle Regeneration von Verletzungen des Rückenmarks ermöglichen. Die Ergebnisse dieser Studie wurden im wissenschaftlichen Journal Frontiers in Cellular Neuroscience veröffentlicht.
Rückenmarksverletzungen sind Folge eines Wirbelsäulentraumas, das z.B. durch Sport- und Verkehrsunfälle hervorgerufen werden kann. Die Verletzung des Rückenmarks führt zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität der Patienten. Betroffene Personen leiden nicht nur an Lähmungserscheinungen, sondern auch an chronischem Schmerz und Beeinträchtigungen von Körperfunktionen wie z.B. der Blasen- und Darmentleerung. Neben diesen physischen Aspekten sind die Betroffenen auch einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO)*, erleiden jährlich ca. 500.000 Menschen weltweit eine Rückenmarksverletzung. Wird das Rückenmark beim Menschen geschädigt, kann dieses nicht wiederhergestellt werden. Zebrafische besitzen jedoch die erstaunliche Fähigkeit zur funktionellen Erholung nach einer Verletzung des Rückenmarks. Sie reparieren verletzte Verbindungen, ersetzen zerstörte Motorneurone und Oligodendrozyten. Der Zebrafisch benötigt nur etwa sechs Wochen, um sich vollständig von seiner Verletzung zu erholen.
Die hier vorgestellte Studie konzentriert sich auf eine Population von Unterstützerzellen im Rückenmark, welche zum Schutz überlebender Nervenzellen (Neuronen) nach einer Verletzung beitragen: Oligodendrozyten und deren Vorläuferzellen. Oligodendrozyten sind für die Produktion von Myelinscheiden verantwortlich, welche eine sprunghafte Übertragung von Aktionspotenzialen entlang markhaltiger Axone ermöglichen. Oligodendrozyten fungieren außerdem als Regulator für die Signalübertragung entlang neuronaler Verbindungen (Axone) und unterstützen das neuronale Überleben indem sie die Neuronen metabolisch versorgen. Das Absterben von Oligodendrozyten als Folge einer Rückenmarksverletzung, leitet einen sogenannten De-Myelinisierungs-Prozess ein, der eine Beschädigung überlebender neuronalen Verbindungen und schließlich das Absterben der betroffenen Nervenzellen zur Folge hat. Obwohl verlorengegangene reife Oligodendrozyten grundsätzlich durch ansässige OPC-Zellen ersetzt werden können, geschieht dies unzureichend im Falle einer Rückenmarksverletzung beim Menschen. Daher wird angenommen, dass die Verbesserung der Aktivierung und Differenzierung von OPC-Zellen das funktionelle Ergebnis nach Rückenmarksverletzungen im Menschen verbessern kann.
Dr. Reimer und sein Team sind der Frage nachgegangen, was mit erwachsenen Oligodendrozyten nach einer Verletzung des Rückenmarks im Zebrafisch passiert. Dabei konnten sie zeigen, dass (wie beim Menschen) die Oligodendrozyten in der Nähe des Verletzungsortes am Rückenmark in nur einer Woche massiv verlorengehen. Doch sie konnten auch zeigen, dass die Population der Oligodendrozyten zwei Wochen nach der Verletzung zu großen Teilen bereits wieder aufgebaut war. Dies verdeutlicht z.B. die beachtliche Regenerationsfähigkeit des erwachsenen Zebrafisch-Rückenmarks. Diese Ergebnisse rücken die ansässige OPC-Population in den Mittelpunkt des Interesses. Welche Signale kontrollieren und ermöglichen die Aktivierung dieser Vorläuferzellen im erwachsenen Zebrafischrückenmark? Dr. Reimer und sein Team entschieden sich zur Entwicklung einer neuartigen Plattform zur Analyse der Zebrafisch-OPC-Zellen im Reagenzglas (in vitro), also außerhalb des Körpers. Damit können nicht nur Zellen besser kontrolliert werden, sondern es wird auch die Möglichkeit für die Anwendung neuer Methoden und Analysen geschaffen. Sie entwickelten eine optimierte und schnelle, und dennoch preiswerte Methode, welche einen direkten Zugang zu einer reinen und vitalen Population von Zebrafisch-OPC-Zellen in weniger als zwei Stunden ermöglicht. Dieses einfache System basiert auf einer automatisierten, fluoreszierenden Zellsortierung (FACS) der OPC-Zellen. Mit neuartigen Zellkulturbedingungen ist es nun möglich, die Zellen für 16 Tage in der Petrischale zu behalten. Außerdem konnte das Team um Dr. Reimer zeigen, dass sich die OPC-Zellen des Zebrafisches in ausgereifte Oligodendrozyten entwickeln, wenn sie mit menschlichen Motorneuronen (die aus induzierten pluripotenten Stammzellen differenziert wurden) zusammengebracht werden. Dies verdeutlicht, dass die grundlegenden Mechanismen der Differenzierung von Oligodendrozyten über Spezien hinweg konserviert wurden und dass ein Verständnis der regulativen Prozesse der OPC-Zellen im Zebrafisch entscheidend zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten für den Menschen beitragen kann.
In einem nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler die Wirkung verschiedener Medikamente auf OPC-Zellen testen, mit dem Ziel – vielleicht Wege für eine funktionale Reparatur beim Menschen zu finden.
Der Biologe Michell Reimer arbeitet seit 2014 als Forschungsgruppenleiter im Bereich „Regulierung von Entwicklungs- und Regenerationsprozessen im Rückenmark“ am CRTD, nachdem er fünf Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Neuroregeneration und am Centre for Cognitive and Neural Systems an der University of Edinburgh (UK) tätig war. Von 2005-2008 promovierte Michell Reimer im Bereich der Neurowissenschaften am Centre for Neuroregeneration, University of Edinburgh, UK. http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2013/spinal-cord-injury-20131202/en/
Publikation
Titel: Primary Spinal OPC Culture System from Adult Zebrafish to Study Oligodendrocyte Differentiation In Vitro
Kroehne V., Tsata V., Marrone L., Fröb C., Reinhardt S., Gompf A., Dahl A., Sterneckert J. Reimer M.M.
DOI: 10.3389/fncel.2017.00284
Informationen für Journalisten:
Franziska Clauß, M.A.
Pressesprecherin
Tel.: +49 (0) 351 458 82065
Am 2006 gegründeten Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität Dresden wird das Selbstheilungspotential des menschlichen Körpers erforscht, um völlig neuartige, regenerative Therapien für bisher unheilbare Krankheiten zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte des Zentrums konzentrieren sich auf Hämatologie und Immunologie, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen sowie Knochenregeneration. Das CRTD ist Teil des Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB). https://www.crt-dresden.de / https://www.tu-dresden.de/cmcb