18.10.2022
Aufbruch in die ökologische Zukunft des Bauens
»Cube«: Weltweit erstes Carbonbetonhaus am Dresdner Uni-Campus eingeweiht
Heiko Weckbrodt
Professor Manfred Curbach hat sich und der Welt ein besonderes Geschenk gemacht und zu seinem Geburtstag Ende September den »Cube« eingeweiht: Nach zweieinhalbjähriger Bauzeit ist das weltweit erste Carbonbeton-Haus nun fertiggestellt und dürfte nichts weniger als eine Revolution in der Baubranche auslösen. Denn der zwei Millionen Euro teure Zweigeschosser im Karree zwischen Bergstraße, Zelleschem Weg und Einsteinstraße besteht aus Glas, Holz und einem an der TU Dresden entwickelten Leichtbau-Material, das mit Kohlenstoff-Fasern statt Stahl verstärkt ist.
»Da steht die Zukunft des Bauens«, sagte TUD-Rektorin Prof. Ursula M. Staudinger zur Einweihungsfeier. Wenn die globale Bauwirtschaft ihre Umweltbilanz nachhaltig verbessern wolle, dann werde sie künftig um den Dresdner Carbonbeton nicht mehr herumkommen. Denn diese Technologie halbiere den Betonverbrauch und die Bauzeit für viele Vorhaben, senke die Kohlendioxid-Bilanz bei der Betonherstellung sogar um 70 Prozent, während die effektive Nutzfläche in den damit errichteten Häusern um zwölf Prozent zulege. Der neue Leichtbaustoff schiebe »die Grenzen des Machbaren« hinaus und werde eine »Transformation hin zu einem ökologischen Bauen« auslösen.
Dies sieht der sächsische Regionalminister Thomas Schmidt (CDU) ganz ähnlich: »Das Carbonbetongebäude Cube ist ein großer Schritt in Richtung zukunftsfester Bausektor«, lobte er das von der TU Dresden als Bauherren vollbrachte Pionierwerk. »In großem Maßstab eingesetzt, kann er das Bauen energieeffizienter, materialschonender und kreislauffähiger machen. Das ist eine große Chance für das klimagerechte Bauen.«
Mit dem »Cube« verfolgen Carbonbeton-Erfinder Prof. Manfred Curbach von der TU Dresden und sein Team gleich mehrere Ziele: Einerseits bietet der Neubau zusätzliche Labore, Langzeit-Versuchsstände, Büros und Veranstaltungsflächen für die Bauingenieure der Zukunft. Andererseits hat die Uni die extravagant geformte Kombination aus »Cube« und »Twist«, also einem Würfel mit grazil verdrehter Dach-Wand-Konstruktion, nicht ganz zufällig an so prominenter Stelle an zwei großen Ausfallstraßen am Campus platziert: Das Carbonhaus soll abends als leuchtender Hingucker Dresden-Besucher begrüßen, die per Auto in die Stadt gelangen. Auf lange Sicht könnte sich der Cube-Twist womöglich gar zu einem ähnlichen Wahrzeichen für Dresden entwickeln wie Zwinger und Semperoper, orakelt der sächsische Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Kralinski.
Wird der Cube für Dresden ein Wahrzeichen wie Zwinger und Semperoper?
Zwar gab es zuvor schon Carbonbeton-Pilotprojekte der Dresdner Bauexperten: Mit dem neuen Leichtbaumaterial haben sie beispielsweise die Carolabrücke verbreitert und den Beyerbau der Uni saniert. Generell haben sich durch diese und weitere »Piloten« zwei vielversprechende Anwendungsfelder herauskristallisiert: Erstens können nachträglich aufgebrachte dünne Carbonbeton-Schichten die Lebensdauer und den Aufprallschutz von Brücken und Altbauten deutlich verbessern. Und zweitens ist das leichte Material oft die einzige Option, um besonders luftige Architekturen oder um Anbauten zu realisieren, die mit schwerem Stahlbeton aus statischen Gründen gar nicht möglich wären.
Durch den Cube hat Curbach nun aber auch den Beweis angetreten, dass sein Carbonbeton ebenfalls für komplette Hausneubauten taugt. Das Dresdner Pilotprojekt hat zwar durchaus auch einige Praxistücken der innovativen Technologie offenbart. Zum Beispiel ist die neue grazile Bauweise nichts für Grobmotoriker und braucht daher entsprechend nachqualifizierte Arbeiter. Dennoch ist jetzt der prinzipielle Nachweis erbracht, dass der Carbonbeton auf der Baustelle »funktioniert«.
Mit diesem anfassbaren Erfolg im Rücken will der Professor eine mittlere Revolution in der Branche auslösen: hin zu einem ressourcensparenden, ökologischen und leichteren Bauen. Das soll sich für die Bauherren auch finanziell lohnen. Denn beim Carbonbeton muss kein Bewehrungs-Stahl mit dicken Betonschichten und basischen Spezialstoffen vor Rissen und Langzeit-Rost geschützt werden. Bei gleicher Belastbarkeit sind Wände mit einer Bewehrung aus Kohlenstoff-Netzen oder -Stäben daher etwa ein Drittel schmaler, teils sogar noch dünner. Der gesamte Betonverbrauch sinkt stark und damit auch der immense Energie- und Ressourceneinsatz in der Zementproduktion. Zudem rechnen die Dresdner Bauingenieure damit, dass mit Carbonbeton errichtete Häuser und Brücken – auch wegen der wegfallenden Korrosionsprobleme – doppelt so lange halten wir bisher.
»Unterm Strich ist Carbonbeton schon heute nicht teurer als Stahlbeton«, betont der Chef des TUD-Instituts für Massivbau aus all diesen Gründen heraus. Angesichts der jüngsten Preissteigerungen und Lieferkettenprobleme bei den klassischen Baumaterialien verschiebe sich diese Kalkulation derzeit sogar zugunsten seines Leichtbaustoffes. »In zwei bis drei Jahren könnte Carbonbeton bereits billiger als Stahlbeton sein«, prognostiziert Curbach.
Curbach-Prognose: 2025 ist Carbonbeton billiger als Stahlbeton
Die nächsten Carbonprojekte sind bereits in der Pipeline: Der Dresdner Baubürgermeister Jan Donhauser (CDU) hat angekündigt, für zwölf Millionen Euro an der Bernhardstraße eine Turnhalle mit Carbonbeton sanieren und eine weitere neu bauen zu lassen. In Leipzig ist ein siebenstöckiges Wohnhaus aus dem Leichtbaubeton geplant. Außerdem möchte Rektorin Staudinger die geplante 60 Meter hohe Drohnen-Testflughalle für das »Smart Mobility Lab« der TUD in Hoyerswerda ebenfalls aus Carbonbeton hochziehen lassen. Und falls Curbach den beantragten Zuschlag für sein Großforschungszentrum in der Lausitz bekommt, will er auch in Görlitz ein größeres Gebäude in dieser Bauweise realisieren.
Parallel dazu forschen die Dresdner Bauingenieure und ihre Partner aus dem Verbund »Carbon Concrete Composite« (C3) an weiteren Verbesserungen in ihrer Technologiekette. So sollen beispielsweise Roboter die Carbonbeton-Plattenproduktion in Oschatz noch stärker automatisieren. In einem neuen Sonderforschungsbereich (SFB) feilt das Curbach-Team an der Aufgabe, die Materialersparnis bei Carbonbeton von derzeit 50 auf 80 Prozent hochzutreiben. Ein weiteres Projekt fokussiert sich darauf, Carbonabfälle aus der BMW-Autoproduktion für das neue Bauen wiederzuwerten.
Am Cube-Bau waren auf die eine oder andere Weise Dutzende Partner aus Wirtschaft und Forschung beteiligt. Die extravagante Architektur beispielsweise hat das Architekturbüro Henn entworfen. Um die Generalplanung kümmerten sich die »Architekten Ingenieure Bautzen« (AIB). Die Carbonmatten und -stäbe für die Bewehrung kamen von der Solidian GmbH, der Wilhelm Kneitz Solutions in Textile GmbH, der Thyssenkrupp Carbon Components GmbH (jetzt Action Composites) und SGL Carbon. Die Carbonbeton-Fertigplatten für den Würfel-Teil des Cubes fertigten Roboter im Betonwerk Oschatz. Die Bauarbeiten vor Ort realisierten die Hentschke Bau GmbH und die Bendl HTS Sebnitz.
Weitere Informationen unter: http://carbon-concrete.org/lets-get-cube/
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 16/2022 vom 18. Oktober 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.