Nov 03, 2020
Den Menschen die Angst vor der Künstlichen Intelligenz nehmen
Bei der KI-Entwicklung hat Sachsen, auch dank des Verbunds DRESDEN-concept, eine Vorreiterrolle inne. Doch längst nicht jeder ist begeistert
Jana Mundus
Einstudierte Emotionen. Der Roboter reißt die Arme in die Höhe. Zielsicher platzierte er kurz vorher seine schwarze Figur auf dem Spielbrett. Schachmatt. Während sich der menschliche Gegner ärgert, lernt die Maschine. Jeden Spielzug, jede Reaktion ihres Gegenübers während der Partie hat sie genau studiert, analysiert und gespeichert. »Unser Roboter gewinnt aber längst nicht jedes Spiel«, sagt Dirk Reichelt, Professor für Informationsmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden. Als Schach-Superhirn ist er auch gar nicht programmiert. Seine Mission ist größer. Er soll Menschen die Angst vor dem nehmen, was kommt – vor KI, Künstlicher Intelligenz.
Mit dem Fahrstuhl in die Zukunft. In der neunten Etage der HTW Dresden hat das Morgen schon begonnen. Seit drei Jahren steht hier eine Modellfabrik. In der Anlage läuft alles automatisch. Eine Maschine bringt Material aus dem Lager, ein Roboter versieht es am Beginn der Produktionslinie mit zwei Sicherungen. Eine Leiterplatte entsteht. Ohne menschliches Zutun fährt diese von Maschine zu Maschine. Alles ist vernetzt, alles kommuniziert. Ist der Mensch bald überflüssig?
Wenn Fachkräfte fehlen, springt der Roboter ein
Eine kritische Frage, die Dirk Reichelt kennt. Knapp 1000 Gäste pro Jahr führt er durch die Anlage. Viele kommen aus kleinen und mittleren Unternehmen, die sich anschauen wollen, wie die Industrie 4.0 künftig funktionieren wird. »Ich glaube nicht, dass Roboter dem Menschen Arbeit wegnehmen werden, vielmehr werden sie uns Arbeit abnehmen.« Den Fachkräftemangel würden viele Firmen bereits deutlich spüren.
Eine Umfrage des Dresdner Institutsteils Entwicklung Adaptiver Systeme EAS des Fraunhofer-Instituts für integrierte Schaltungen IIS unter sächsischen Unternehmen unterstreicht das Bild. 80 Firmen gaben Ende 2019 an, bereits mit KI zu arbeiten. Allerdings befanden diese sich vor allem in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz. In den Regionen rundherum sieht es anders aus.
Matthias Lütkemeier wollte nicht warten. Der Geschäftsführer beim Dresdner Tuben-Hersteller Essel interessiert sich schon länger für das Thema KI. In Zusammenarbeit mit der HTW Dresden wurde nun mithilfe einer Kamera-Lösung ein Verpackungsproblem gelöst. Heute kontrolliert ein Computer anhand der eingehenden Bilder, ob die Versandkartons korrekt in die Anlage eingelegt wurden, damit die Tuben auch fehlerfrei verpackt werden. »Automation ist die Zukunft«, sagt Lütkemeier. Damit das gelinge, brauche es in Firmen aber Menschen, die für das Thema brennen. »Außerdem ist es wichtig, auch alle diejenigen in der Belegschaft mitzunehmen, die vielleicht skeptisch sind.«
Die Maschine kocht und schickt einen zum Arzt
Es sind nicht nur gestandene Unternehmen, die nun neue Schritte gehen. Gerade in der sächsischen Start-up-Szene spielt KI eine große Rolle. Die Neugründungen werden damit auch zum Treiber für die Technologie von Morgen, die an immer mehr Stellen Teil des Lebens wird.
Der Roboter von DaVinci Kitchen aus Leipzig zum Beispiel kocht in seinem kleinen Kiosk ganz allein Pasta für die Kundschaft. Seine Entwickler wollen mit ihm die Systemgastronomie revolutionieren. Der handliche air-Q der Chemnitzer Firma Corant misst mit seinen Sensoren Luftschadstoffe wie Feinstaub, Kohlenmonoxid oder Ozon und analysiert die Luftqualität. Anschließend gibt die dazugehörige Software Tipps für Verbesserungen. Innovative Medizin-Start-ups aus Sachsen, wie etwa Docyet, helfen Patienten. Die Leipziger entwickelten einen digitalen Gesundheitslotsen, der durch gezielte Fragen in einer App feststellt, ob der Nutzer medizinische Hilfe braucht. Ist das der Fall, gibt das System Ratschläge, wo diese zu finden ist.
Die Technik lernt, sie wird intelligenter. An die Leistung des menschlichen Gehirns kommt sie jedoch nicht heran – noch nicht. Seit 2013 läuft ein europäisches Großprojekt, das ein unglaublich klingendes Ziel verfolgt. Im »Human Brain Project« soll der erste Supercomputer weltweit entstehen, der wie das menschliche Gehirn arbeitet. Er soll denken können, nicht nur rechnen. Stehen wird er in Dresden.
Christian Mayr und sein Team arbeiten an den Bauteilen dafür. Der Professor für Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik an der TU Dresden erklärt es einfach: »Sie ahmen die Arbeit des menschlichen Gehirns nach.« Dafür werden tausende kleine Prozessoren gekoppelt. Die Neuronen des Gehirns, die einzelnen lebenden Zellen, werden durch Computerprogramme auf diesen Chips simuliert. 70 000 Chips in zehn großen Serverschränken werden es am Ende sein. Wenn der Supercomputer fertig ist, ermöglicht er Neues. Er wird schneller, effizienter und nach einer völlig neuen Logik arbeiten – und damit auch Antworten auf Fragen finden, für die es bisher keine Antworten gibt.
Angst vor der Weltherrschaft?
Für manchen mag das wie Science- Fiction klingen, wie eine Folge aus Star Trek. Übernehmen bald die Maschinen die Herrschaft, wie es uns Hollywood- Filme gern erzählen? »Das Thema Künstliche Intelligenz spielt eine immer größere Rolle«, beschreibt es Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Für manche Menschen komme dieser Fortschritt zu schnell, Skepsis und Angst sind die Folge. »Deshalb ist es wichtig zu erklären, was da gerade passiert.« Die Landeszentrale und die TU Dresden wollen sich dem Thema deshalb in diesem Wintersemester in einer Veranstaltungsreihe stellen. Unter der Überschrift »Mensch & Technik« widmet sie sich Fragen der Digitalisierung und des technologischen Fortschritts. Los geht es am 4. November um 18.30 Uhr mit einer Diskussionsrunde in der Dresdner Zentralbibliothek im Kulturpalast. Eine Expertenrunde beantwortet dann die Fragen: R2D2 oder Terminator? Wohin führt uns die künstliche Intelligenz?
Dirk Reichelt lässt seinen Roboter unter dem Dach der HTW auch weiterhin Schach spielen. Manchmal gewinnt die Maschine, manchmal der Mensch. »Das ist das Schönste für unsere Gäste: Wenn sie merken, sie können gegen den Roboter gewinnen.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 17/2020 vom 3. November 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.