20.10.2020
Die technische Bildung hat die Städte auch optisch geprägt
Die Ausstellung »Dem Ingenieur ist nichts zu schwer« ist in der SLUB zu sehen
Beate Diederichs
Die Ausstellung »Dem Ingenieur ist nichts zu schwer« in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) zeigt, wie Industrialisierung und technische Bildung in Sachsen miteinander verknüpft sind. »Dabei soll zum Jahr der Indus-triekultur mit der technischen Bildung ein wichtiger immaterieller Aspekt des sächsischen industriellen Erbes gezeigt werden«, sagt SLUB-Mitarbeiter und Ausstellungskurator Martin Munke.
Die Schätze liegen dort, wo sie hingehören: im Buchmuseum der SLUB und in der Schatzkammer. Verborgen bleiben sollen sie aber nicht, ganz im Gegenteil: Das Team um den Ausstellungskurator Martin Munke wünscht sich, dass sich möglichst viele Besucher diese Schätze anschauen. »Bis jetzt sind wir sehr zufrieden mit der Resonanz: Wir können leider nicht zählen, wie viele Leute kommen, aber die regulären Führungen, die wir für die Ausstellung anbieten, sind gut nachgefragt, und uns erreichen auch viele Anfragen für Sonderführungen, zum Beispiel von Abteilungen der Universität selbst oder von Berufsschulklassen«, berichtet der Kurator.
Marie Frommer promovierte als erste in der Architektur
Er zeigt auf eine dezent beleuchtete Vitrine. Darin liegt ein aufgeschlagenes Buch: die Dissertation von Marie Frommer. »Marie Frommer erhielt 1922 in Dresden als erste Frau in Deutschland einen Doktortitel für Architektur«, erläutert Martin Munke. Die Dissertation ist eins seiner Lieblingsexemplare, weil sie einen bisher weniger beachteten Aspekt der technischen Bildung in Sachsen zeigt, nämlich wie einige Frauen sich nach und nach diese Disziplinen eroberten, die bis dato als Männerdomäne gegolten hatten. »Man kann an Marie Frommers Geschichte auch gut sehen, dass die technische Bildung damals ideologiegeprägt war: Als Jüdin musste die Architektin später aus Deutschland in die USA fliehen, wo sie sehr erfolgreich war. In Deutschland dagegen ist sie fast vergessen.«
Die Ausstellung »Dem Ingenieur ist nichts zu schwer« demonstriert mit ihren Exponaten, wie Industrialisierung und technische Bildung in Sachsen miteinander verbunden sind. Sie öffnete am 30. Juli und wird noch bis zum 20. Januar 2021 zu sehen sein. »Wir haben 2017 entschieden, dass wir einen Beitrag zum Jahr der Industriekultur 2020 leisten wollen. Dabei wollten wir vor allem unsere eigenen Bestände zeigen und eine Ausstellung entwerfen, die die große Bedeutung der TU Dresden und ihrer Vorgängerinstitutionen und auch unsere Geschichte als Landes- und Universitätsbibliothek einschließt«, erklärt Martin Munke. »Wir« sind dabei neben ihm selbst Jana Kocourek, die Abteilungsleiterin für Handschriften, Alte Drucke und Landeskunde, sowie Katrin Nitzschke, die Leiterin des Buchmuseums. Ab Ende 2018 setzten sie ihre Idee um. »Wir mussten uns dabei genau überlegen, welche Geschichte wir erzählen wollen. Sollte es nur die Erfolgsgeschichte der technischen Bildung innerhalb der Industrialisierung sein? Da die Forschung gezeigt hat, dass es dabei auch viele Rückschläge gab, wollten wir ein differenzierteres Bild zeichnen«, so Martin Munke. Denn manche schriftlichen Zeugnisse beweisen, dass viele Absolventen und Absolventinnen der technischen Bildungseinrichtungen nicht bei den großen Firmen landeten, die bahnbrechend für die Industrialisierung waren, sondern dass ihre Karriere oft auch durch die Amtsstuben des Staatsdienstes führte. Munke und sein Team entschlossen sich auch, zusätzlich zu den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz Mittel- und Kleinstädte wie Mittweida und Breitenbrunn mit ihren technischen Bildungseinrichtungen einzubeziehen. »Am Ende wählten wir dann die Exponate danach aus, wie gut sie passten und welchen Schauwert sie besaßen«, berichtet Martin Munke weiter. Die Umsetzung erarbeitete das SLUB-Team gemeinsam mit dem Designbüro »PingundPong«. Die Infografiken vor allem an den Wänden zeugen von der Arbeit des Designbüros.
Eigentlich wollte man im Mai 2020 eröffnen – was aus bekannten Gründen auf Juli verschoben wurde. Statt der geplanten Eröffnungsveranstaltung mit einem Vortrag von Thomas Hänseroth, Professor für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte an der TUD, gab es zum Start der Ausstellung ein Interview zweier Filmschaffender, die sich mit dem Thema Industriekultur beschäftigen, und eines Ingenieurs als Online-Video.
Die Ausstellung soll nicht nur zeigen, wie die Entwicklung der wichtigen Wirtschaftszweige in Sachsen während der Industrialisierung mit der technischen Bildung verknüpft war, sondern auch, wie die technische Bildung in die Stadtentwicklung hineingewirkt hat. Ein Aspekt, der dem Historiker Martin Munke sehr am Herzen liegt: »Die technische Bildung hat die Städte auch optisch geprägt: Dafür muss man sich nur die Dresdner Südvorstadt anschauen – mit dem Georg-Schumann-Bau, dem Potthoff-Bau oder dem Beyer-Bau mit dem charakteristischen Observatorium.« Hier ist es die Universität und waren es früher ihre Vorgängereinrichtungen wie Technische Bildungsanstalt oder Polytechnikum, in anderen Stadtteilen sind es einstige Gewerbe- oder Ingenieurschulen, deren Gebäude noch heute zu sehen sind.
Ansicht der Göltzschtalbrücke als echter »Klassiker«
Am Ein- und Ausgang des Buchmuseums weist Martin Munke noch auf ein Exponat, das er als »Klassiker« bezeichnet und das eine weitere spannende Verbindung illustriert: Es ist eine Planungsansicht der Göltzschtalbrücke, die damals Bestandteil der Sächsischen Eisenbahn war. Projektiert hatten sie unter anderem Absolventen des Ingenieurkorps der sächsischen Armee. »Das Militärische diente hier zivilen Zwecken. Dieses Ingenieurkorps war übrigens die erste dauerhafte technische Bildungseinrichtung in Sachsen, lange vor der Industrialisierung. Später verschwand es einfach von der Bildfläche. Warum dies passierte, könnte ein interessantes Forschungsthema sein«, sagt der Kurator.
Die Ausstellung wird von einem kleinen, aber feinen Begleitprogramm umrahmt. Am 3. November findet ein Vortrag mit Diskussion im Klemperer-Saal statt: »Industrialisierung, bürgerliche Gesellschaft und Anfänge der Frauenbewegung« mit der Professorin Susanne Schötz von der TU Dresden. Hier soll unter anderem gezeigt werden, wie der Kampf gegen schlechte Arbeitsbedingungen im weiblichen Teil der Belegschaft auch zum Kampf für die Emanzipation geführt hat. Am 9. Dezember folgt dann ein Podiumsgespräch zum Jahr der Industriekultur und am 19. Januar der eigentlich als Eröffnung geplante Vortrag Thomas Hänseroths zu den höheren technischen Bildungseinrichtungen in Sachsen im 19. Jahrhundert, der mit einer Diskussion abgerundet wird. Nach dem derzeitigen Stand ist eine Anmeldung zu den Veranstaltungen erforderlich, da die Platzkapazität auf 50 begrenzt sein wird.
»Dem Ingenieur ist nichts zu schwer« – Ausstellung im
Buchmuseum (täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet) und in der Schatzkammer der SLUB (Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr). Der Eintritt ist frei.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 16/2020 vom 20. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.