22.09.2020
Ein Bett aus Pappe
Umweltfreundliche Möbel aus nachwachsenden Rohstoffen für die humanitäre Hilfe
Luise Anter
Im Rahmen des Forschungsprojekts »AidBoards« haben TUD-Forscher umweltfreundliches Mobiliar für die humanitäre Hilfe entwickelt. Doch das ist nur der Auftakt.
Dürren, Flucht, Seuchen: Wenn in humanitären Katastrophen Notunterkünfte oder Krankenhäuser errichtet werden, brauchen Helfer schnell eine große Anzahl von Betten. Forscher der TU Dresden haben im Projekt »AidBoards« Einwegbetten aus Pappe entwickelt – die sind nicht nur nachhaltig herzustellen, sondern auch nachhaltig zu entsorgen.
Den Ursprung hat »AidBoards« an zwei Orten: im Erzgebirge und in Westafrika. Im Jahr 2014 wendet sich eine Tischlerei aus Crottendorf an den Lehrstuhl für Holztechnik und Faserwerkstofftechnik der TU Dresden, weil sie ihre Maschinen auslasten und Produktionsreste verwerten will. Sven Gille, Diplom-Ingenieur und Produktgestalter am Lehrstuhl, überlegt, wie er auf das Angebot reagieren könnte – und sieht dann Bilder der Ebola-Epidemie. »Ich fragte mich: Was passiert mit den Feldbetten nach der Seuchenepidemie?« Hilfsorganisationen müssen zurückgelassenes Material wie Betten meist entsorgen, so eine Vorgabe der UN. So wird Abfall in humanitären Notlagen zu einem großen Problem. Das Angebot der Tischlerei da, der Müll dort: Die Idee für medizinische Einwegbetten aus nachwachsenden Rohstoffen ist geboren.
Gille und seine Kollegen starten das Forschungsprojekt »AidBoards«, mit dem sie sich beim Ideenwettbewerb »Neue Produkte für die Bioökonomie« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bewerben. Drei Jahre erhält der Lehrstuhl finanzielle Förderung für die Entwicklung der Betten. Als Partner gewinnen die Forscher das Unternehmen THIMM Packaging Systems GmbH + Co. KG, das Pappverpackungen herstellt, einen Logistikberater für humanitäre Hilfe und einen sächsischen Medizinprodukte-Hersteller.
Zunächst experimentieren die TUD-Forscher mit Holz, dann erweist sich Pappe als das bessere Material: zwar weniger haltbar, dafür aber günstiger, leichter und noch nachhaltiger. »Wir haben uns sehr hohe Ansprüche gesetzt. Ein Jahr lang haben wir die Konstruktion immer wieder geändert«, erzählt Gille. Das Ergebnis: Ein zwei Meter langes und einen Meter breites Papp-Bett, das als Steckset geliefert und mit wenigen Handgriffen aufgebaut wird – ohne Werkzeuge. Die Auflage aus Baumwolle oder Jute kann für den nächsten Benutzer gewechselt werden, das spart Desinfektionsmittel. Nach dem Gebrauch können die Helfer das Papp-Bett recyceln oder fast CO2-neutral verbrennen.
Das Interesse an »AidBoards« ist von Anfang an groß. Als die globale Flucht- und Migrationsbewegung Europa erreicht, steigt es weiter. »Der Zuspruch aus humanitären Kreisen war überwältigend«, erinnert sich Gille.
Also wird im Oktober 2019 das Startup corrugAid gegründet, um die Kompetenzen für Herstellung, Vertrieb und Gestaltung zu bündeln. Auf Basis des Prototyps soll die Markteinführung noch 2020 erfolgen, jetzt unter alleiniger Führung von THIMM. »Wir sind im Gespräch unter anderem mit dem Roten Kreuz«, sagt Maurice Jedlicka von corrugAid. Man sei produktionsbereit. Die TUD-Forscher unterstützen das Startup mit ihrem Knowhow, aktuell bei der Anmeldung eines DIN-Standards für Mobiliar aus Wellpappe.
Damit geben sich die Mitarbeiter des Lehrstuhls aber nicht zufrieden. Sie forschen weiter an nachhaltigen Produkten aus Pappe. »Wir entwickeln gerade nachhaltige Stühle und Tische, bis hin zu OP-Tischen aus Pappe für den Katastrophenschutz«, sagt Gille. Er kann sich auch eine eigene Ausgründung vorstellen. Dafür ist er aktuell auf der Suche nach Investoren und Partnern. Denn die Forschung soll nicht in der Schublade landen – sondern dort, wo humanitäre Hilfe gebraucht wird.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 14/2020 vom 22. September 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im neuen Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.