Feb 15, 2022
Eine Frage der Wahrnehmung
»die bühne« zeigt »Apophenia & Epiphany« vom TUD-Alumnus Mathias Kammerer
Vivian Herzog
Die Theater haben wieder geöffnet und auch das Theater der TUD »die bühne« brachte »FOODOLOGY«, die erste Inszenierung des Künstlerischen Leiters Max Schumacher, wieder auf die Bretter. Am 25. Februar folgt nun die Stückentwicklung »Apophenia & Epiphany« unter der Regie von Mathias Kammerer. Der Psychologe konnte bereits mit seinem Debüt »Seifenblasen & Apokalypse« in der Spielzeit 2016/17 Erfolge feiern. Später folgte die Inszenierung »Burning Walls and Urgent Calls«, eine Weiterentwicklung der Geschichte des Kaisers Romulus, die 2018 mit dem Deutschen Amateurtheaterpreis »amarena« ausgezeichnet wurde. Nach dreijähriger Abstinenz als Regisseur kehrt Kammerer nun zurück – mit einem Stück, das aktueller nicht sein könnte.
Mathias Kammerer hat Psychologie und Neurowissenschaften an der TU Dresden studiert und promoviert derzeit an der Universität Hamburg in Klinischer Psychologie. An »die bühne« in Dresden zurückzukehren, war für ihn eine Notwendigkeit: »Der Entschluss entstand vor allem dadurch, dass es in Hamburg nichts Vergleichbares wie »die bühne« gibt. Die semiprofessionellen, kleineren Theater, denen ich meine Ideen vorgeschlagen hatte, hatten entweder kein Interesse oder bereits Stücke zu ähnlichen Themen auf ihrem Spielplan.« Wieder an »die bühne« zu arbeiten, habe sich schließlich über die letzten Jahre angebahnt. »In mir reiften Gedanken zu Stimmungen, zum Bühnenbild, zu einzelnen Szenen. Es war ein Drang, wieder Theater zu machen«, erzählt er.
Diese Ideen verdichteten sich zu der Frage »Wie lässt sich unsere Gegenwart eigentlich ertragen und wie gehen Menschen damit um, dass sich gerade etwas gravierend in unserer unmittelbaren Realität verändert hat?«, formuliert Mathias Kammerer. »Wir waren vor 2020 etliche Freiheiten gewohnt, und wir haben uns an relativ viele Unfreiheiten gewöhnen müssen, im Dienst der allgemeinen Gesundheit. Und natürlich gibt es Menschen, die mit dem Ganzen teilweise anders umgehen. Die demonstrieren, protestieren und wenden sich möglicherweise anderen Erklärungen zu, wieso es dieses Virus gibt, oder warum bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Es geht in dem Stück aber nicht um Corona, sondern eher um die Frage, wie Menschen mit substanziellen Verunsicherungen umgehen, mit Zuständen, die sie als bedrohlich und belastend erleben.« Dabei wollte Kammerer ergründen, wie gesellschaftliche Umstände und psychologische Zustände beschaffen sein müssen, sodass Menschen sich zu alternativen Erklärungen hingezogen fühlen. Einen Grund dafür sieht der Regisseur: »Ich glaube, dass das ganz viel mit menschlichen Grundbedürfnissen zu tun hat. Dem Bedürfnis nach Sicherheit, nach Anerkennung, und auch nach Identität, Zugehörigkeit und Selbstwertgefühl. « Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, kann es zu Frust, Wut und Aggression kommen. Gemeinsam mit dem Ensemble hat Kammerer den Versuch unternommen, diesen Frust zu verstehen, mögliche Mechanismen zu untersuchen und Impulse zu ergründen.
Daher stand zu Beginn des Probenprozesses im November 2021 ein Treffen mit dem Ensemble an, bevor Kammerer zu Einzelgesprächen mit den Spielenden überging. Er berichtet: »Ich habe allen Reflexionsaufgaben gegeben, beispielsweise Fragen wie ›Wann hast du in deinem Leben Demütigung erlebt und wie hast du dich dabei gefühlt?‹. Ich habe die Antworten dann mitgeschrieben und passagenweise in den Text einfließen lassen. Von jeder Person aus dem Ensemble ist so etwas in dem Stück gelandet.«
Für Mathias Kammerer ist es das erste Stück, bei dem der Text während der Proben mit dem Ensemble entstanden ist. Eine weitere Vorgabe, die er sich selbst machte: Die Spielenden bestehen aus Bühnenmitgliedern, mit denen er zuvor nicht zusammengearbeitet hatte. Jedoch haben alle Erfahrungen auf den Theaterbrettern gesammelt: Maximilian Helm sah man erstmals 2013 in »Wie Licht schmeckt«, Maike Prüter war unter anderem Teil der »Amateur-Trilogie«, Karla Schröder inszenierte 2021 mit »Star to Paradise« selbst ein Stück. Für Mathias Kammerer war das ein Vorteil. Er erzählt: »Ich habe da ein sehr intelligentes, schnelles, kreatives, talentiertes Ensemble, und das nimmt mir einiges an Arbeit ab. Wenn ich in den Proben etwas vorgebe, dann wird das sehr schnell verstanden und umgesetzt.« Herausgekommen ist ein Stück, dessen Szenen karussellartig um viele Themen kreisen, die aber trotzdem alle ein roter Faden eint.
»Apophenia & Epiphany« läuft vom 25.-27. Februar und 4.-6. März jeweils 20.15 Uhr im Gebäude am Weberplatz. Karten müssen unter die-buehne.tu-dresden.de reserviert werden. Die aktuellen Coronabestimmungen müssen beachtet werden.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 3/2022 vom 15. Februar 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.