02.03.2021
Fahrrad fahrend das Klima verändern
Die TUD-Verkehrsforscherin Prof. Regine Gerike ist an Oxford-Studie beteiligt
Anke Richter-Baxendale
Eine internationale Studie unter der Leitung von Forschern der Transport Studies Unit an der Universität Oxford hat herausgefunden, dass der Umstieg auf das Fahrrad, E-Bike oder aufs Zu- Fuß-Gehen für die tägliche Fortbewegung einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten kann. Prof. Regine Gerike, Leiterin der Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik an der Fakultät Verkehrswissenschaften »Friedrich List« der TU Dresden, war als Autorin an dem Projekt beteiligt.
Die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Global Environmental Change veröffentlicht wurden, zeigen, dass eine Steigerung der aktiven Mobilität (das heißt zu Fuß gehen sowie Rad- und E-Bike fahren) den CO2-Fußabdruck signifikant senkt – selbst in europäischen Städten mit bereits hohem Fuß- und Radverkehrsanteil.
»Die Studie ist die erste ihrer Art, die die Auswirkungen von Veränderungen der aktiven Mobilität in Städten auf die CO2-Emissionen im Lebenszyklus untersucht«, so Regine Gerike. »Aktive Mobilität gilt als die nachhaltigste und kohlenstoffärmste Form, um von A nach B zu kommen. Jedoch sind die Nettoauswirkungen von Veränderungen bei der aktiven Mobilität auf Veränderungen bei den mobilitätsbedingten CO2-Emissionen komplex und bisher wenig erforscht. Die Methodik, die Metriken und die Ergebnisse der Studie sind auf viele Städte in ganz Europa anwendbar und liefern dringend benötigte empirische Erkenntnisse für die Erforschung der Verkehrs- und Klimazukunft auf globaler, nationaler und lokaler Ebene«, so die Verkehrswissenschaftlerin zur Bedeutung der Studie.
»Wir haben fast 2000 Stadtbewohner über einen längeren Zeitraum hinweg begleitet. Dabei zeigte sich, dass eine Umstellung von nur einer Fahrt pro Tag vom Auto auf das Fahrrad den jährlichen CO2-Fußabdruck pro Person um etwa 0,5 Tonnen reduzieren würde – was einen beträchtlichen Anteil der durchschnittlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen ausmacht«, erklärt Dr. Christian Brand, leitender Forscher der Transport Studies Unit in Oxford. »Wenn nur zehn Prozent der Bevölkerung ihr Reiseverhalten auf diese Weise ändern würden, lägen die Emissionseinsparungen bei etwa vier Prozent der Lebenszyklus-CO2-Emissionen des gesamten Autoverkehrs.«
Die Bedeutung zeigt sich in folgendem Kontext: Für die sieben in der Studie untersuchten europäischen Städte (Antwerpen, Barcelona, London, Orebro/ Schweden, Rom, Wien, Zürich) lagen die durchschnittlichen Pro-Kopf-CO2- Emissionen aus dem Verkehr (ohne internationalen Flug- und Schiffsverkehr) zwischen 1,8 Tonnen CO2 pro Person und Jahr in London und 2,7 Tonnen CO2 pro Person und Jahr in Wien.
Die Studie sammelte Primärdaten zum täglichen Mobilitätsverhalten, zu Wegezwecken sowie zu persönlichen und räumlichen Einflussfaktoren in den sieben europäischen Städten und leitete mobilitätsbezogene Lebenszyklus- CO2-Emissionen über Zeit und Raum ab. Um zu bewerten, welchen Einfluss Veränderungen in der aktiven Mobilität, beim »Hauptverkehrsmittel« der täglichen Wege- und bei der Radfahrhäufigkeit auf die mobilitätsbezogenen Lebenszyklus-CO2-Emissionen haben, wurde eine statistische Modellierung von Längsschnitt-Paneldaten von 1849 Studienteilnehmenden durchgeführt.
In Ableitung ihrer Studienergebnisse formuliert das internationale Autorenteam einen Handlungsappell an Städte weltweit: Diese müssten bei ihren stadtplanerischen Konzepten radikal umdenken, beispielsweise durch die Stärkung dichter Strukturen und gemischter Landnutzungen. Seitens des Verkehrsangebots wird die Bedeutung von »Carrot-and-Stick«-Ansätzen als Kombination von Maßnahmen zur Attraktivierung aktiver Mobilität (Carrot) und zur De-Attraktivierung von Wegen mit dem Pkw oder motorisierten Zweirädern (Stick) unterstrichen. Durchgängige und qualitativ hochwertige Infrastrukturen für Fußgänger und Radfahrer sind ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor für die gezielte Förderung aktiver Mobilität.
Die Studie ist innerhalb des EU-finanzierten Projektes PASTA entstanden, der Begriff steht für »Physical Activity Through Sustainable Transport Approaches «. Das Projekt zielt darauf ab, Verkehr und Gesundheit miteinander zu verbinden, indem aktive Mobilität in Städten (d. h. zu Fuß gehen, Rad fahren oder E-Biken, auch in Kombination mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel) als innovativer Weg zur Integration von körperlicher Aktivität in unseren Alltag gefördert wird (Study Protocol).
Prof. Regine Gerike ist von Beginn an am PASTA-Projekt beteiligt – von der Erarbeitung der Antragskizze über Koordinierungsaufgaben bis hin zu inhaltlichen Ausarbeitungen wie der Erarbeitung eines Forschungs- und Erhebungskonzeptes und der Umsetzung der großen empirischen Erhebung an den verschiedenen Standorten.
Wichtige Ergebnisse des internationalen PASTA-Projekts seit seinem Start 2013 sind unter anderem:
• Empirisch breit abgestützte Argumente für eine Stärkung der aktiven Mobilität, indem z. B. positive Wirkungen auf die Gesundheit, das individuelle Wohlbefinden oder auch auf mobilitätsbezogene Treibhausgasemissionen gezeigt werden
• Hinweise zur Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung aktiver Mobilität
• Weiterentwicklung des HEAT-Tools der Weltgesundheitsorganisation, das eine monetäre Bewertung des Nutzens von Maßnahmen zur Förderung aktiver Mobilität erlaubt.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 04/2021 vom 2. März 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.