Feb 16, 2021
Hilfe für das Herz aus der Webmaschine
Wissenschaftler der TU Dresden haben eine Technik entwickelt, mit der man passgenaue Implantate weben kann
Luise Anter
Vielen Menschen retten sie das Leben: Biologische Herzklappen oder Stentgrafts, die Patienten mit einer krankhaften Erweiterung von Blutgefäßen eingesetzt werden. Doch die Herstellung der Implantate ist aufwändig und teuer. Sie werden fast vollständig von Hand gefertigt. Eine Herzklappe aus dem Gewebe von Schweinen oder Rindern etwa muss mit 1200 Stichen genäht werden. Jeder einzelne wird minutenlang unter der Lupe oder gar dem Mikroskop geplant.
Ronny Brünler und Philipp Schegner schaffen Abhilfe. Die beiden Wissenschaftler vom Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) haben textile Implantate entwickelt, die schnell und maßgeschneidert mit einer Webmaschine hergestellt werden können. Das Projekt lief im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) des Forschungsnetzwerkes Mittelstand. Im Herbst 2020 wurden die beiden für den mit 10 000 Euro dotierten Otto-von-Guericke-Preis nominiert, den das Netzwerk vergibt. Sogar die ARD war in den Hallen des ITM, um sich die Technik zeigen zu lassen.
Bevor die Maschinen im ITM rattern, macht der Arzt von dem Patienten eine Computer-Tomografie. »Deren Ergebnis übertragen wir in ein 3-D-Modell, das wir in mehreren Schritten zu einem Code weiterentwickeln, den eine Webmaschine lesen kann«, erklärt Schegner. Hat sie den Code einmal bekommen, dauert es nur wenige Minuten, bis das Implantat fertig ist. Genau eins, genau passend.
Die Implantate bestehen aus Polyestergarn. Das ist biokompatibel, übt also keinen negativen Einfluss auf den menschlichen Stoffwechsel aus. Zudem ist es deutlich langlebiger als die tierischen Produkte. Die müssen oft nach zehn oder 15 Jahren gewechselt werden. »Unsere Implantate können die Patienten den Rest ihres Lebens tragen«, sagt Brünler. Und sie müssen keine Blutverdünner einnehmen – anders als Träger herkömmlicher Implantate.
Dank der IGF waren die TUD-Forscher stets im Austausch mit Unternehmen, die die Implantate einmal produzieren sollen, etwa Hersteller von Webmaschinen und Medizinprodukten. Auch Mediziner waren involviert. »Deren Expertise war sehr hilfreich«, sagt Brünler. Einmal, erzählt er, haben sie den Einsatz ihrer Herzklappe simuliert und gesehen, »wie die flattert, wenn das Blut durchrauscht«. Aber der Mediziner konnte beruhigen: Genau so soll das aussehen.
Wie kommen zwei Maschinenbauer überhaupt zur Medizin? »Natürlich ist es schön, so eine sinnstiftende Forschung zu machen, die Leben retten kann«, sagt Brünler. Doch es gibt noch einen anderen Grund: Der menschliche Körper besteht vor allem aus Fasern. »Das fasziniert mich«. Denn Fasern, die könne man am ITM in jede erdenkliche Form bringen.
Die Methode von Brünler und Schegner ist dafür das beste Beispiel: Mit der kann man nicht nur Herzklappen und Gefäßprothesen herstellen, sondern zum Beispiel auch Fahrradrahmen aus Carbon. Die sind ebenso schlauchförmig wie die Blutbahnen des menschlichen Körpers. Und für die Herzklappen haben die beiden Forscher eine Technologie entwickelt, die auch für Ventile in Chemieanlagen und anderen technischen Anwendungen verwendet werden kann.
Bis die gewebten Implantate im menschlichen Körper landen, wird es noch dauern. »Was wir in den letzten Jahren gemacht haben«, sagt Schegner, »war nur der erste Schritt.« Als nächstes stehen empirische Studien mit Zellkulturen und danach mit Kleintieren an, um die Verträglichkeit zu testen. Dafür schreiben die Forscher gerade den nächsten Projektantrag.
Den Otto-von-Guericke-Preis haben letztlich zwei Krebsforscher aus Ulm gewonnen. »Natürlich ist man da ein bisschen enttäuscht«, sagt Brünler. »Aber die Entwicklung unserer Technik hindert das überhaupt nicht.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 03/2021 vom 16. Februar 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.