Oct 20, 2020
Jede kleine Geste bewegt etwas
TUD-Physik-Professor Michael Kobel engagiert sich bei »Willkommen in Löbtau«
TUD-Professor Michael Kobel ist nicht nur Dekan der Fakultät Physik – er ist auch Pate von acht Geflüchteten, Projektorganisator und Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. Ein Gespräch über Engagement, Rückschläge und Optimismus.
Professor Kobel, am 29. Oktober startet die Veranstaltungsreihe »Vielfalt im Dialog«, die eine breite sächsische Öffentlichkeit zur Diskussion über Migration und Integration anregen soll. Die Veranstaltungen finden nicht etwa in Dresden, sondern in Mittweida oder Dippoldiswalde statt. Sie haben die Reihe mit-organisiert – warum?
Prof. Michael Kobel: Wir wollen als TU Dresden ja raus in die Gesellschaft, gerade zu den kritischen Menschen. Es gibt natürlich die Hardcore-Rassisten mit geschlossenem Weltbild, die sind nicht erreichbar. Aber man muss sich klarmachen, dass es nicht um die 1000 Menschen bei Pegida geht, sondern es geht um 600 000 Leute, die in Sachsen AfD wählen. Wenn man mit ihnen nicht mehr redet, wird man sie nicht zu demokratischen Parteien zurückkriegen. Wir haben bei »Willkommen in Löbtau« auch schon Gesprächsrunden mit Geflüchteten, Engagierten und AfD-Wählern geführt. Mit einem davon habe ich immer noch Kontakt, auch wenn ich ihn noch nicht vom Rechtspopulismus abgebracht habe. Ich will den Menschen zeigen, dass ihnen Geflüchtete nichts wegnehmen, sondern sie etwas dazubekommen.
Sie engagieren sich seit Anfang 2015 bei »Willkommen in Löbtau« in der Flüchtlingshilfe und haben ein Patenschaftsprogramm initiiert: Dresdner begleiten Geflüchtete auf ihrem Weg in Ausbildung oder Arbeit. Ist das Programm erfolgreich?
Ja. Wir haben bisher insgesamt über 200 Geflüchtete begleitet, bei Bewerbungen, bei Behördengängen, beim Start in der Berufsschule. Mehr als 100 davon sind inzwischen in Ausbildung oder Arbeit. Das gilt auch für alle acht Menschen, die ich selber unterstützt habe. Wir sind konstant bei 30 bis 40 Patinnen und Paten, die im Durchschnitt 2,5 Geflüchtete betreuen. Noch mehr ehrenamtliche Aktive zu finden, wird aber immer schwieriger, denn eine Patenschaft kann sehr zeitaufwändig sein. Manche Begleitungen laufen über mehrere Jahre, gerade während der Berufsausbildung.
Als niederschwelligeres Angebot gibt es seit Anfang 2020 das Projekt »Berufstandem«.
Genau, für dieses Projekt haben wir eine finanzielle Förderung von der Fachkräfteallianz Sachsen eingeworben. Ein halbes Jahr lang werden Menschen mit Migrationshintergrund und guten Deutschkenntnissen von Dresdnerinnen und Dresdnern gefördert, die den gleichen Beruf haben. Die Scouts wissen, worauf es zum Beispiel für einen Architekten ankommt und müssen sich nicht in einen fremden Beruf reindenken. Sie sollen, neben der Dankbarkeit, die sie zurückbekommen, auch selber was vom Projekt haben: Wir bieten ihnen im November eine Schulung für interkulturelle Kompetenzen an, für die sie auch ein Zertifikat bekommen.
Das Berufstandem gibt es seit Anfang 2020. Wie läuft es bisher?
Allein im ersten Halbjahr 2020 haben wir 18 Tandems gebildet, acht mehr als wir uns als Ziel gesetzt hatten. Das Berufstandem ist sehr professionalisiert, wir haben ein Büro und zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit. Die schicken mir fast jeden Tag enthusiastische Nachrichten.
Wie sehr hat die Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten gebremst?
Wir hatten drei Fälle, wo Geflüchteten wegen Corona gekündigt wurde oder sie ihren Ausbildungsplatz verloren haben. Glücklicherweise haben wir unser Netzwerk in der Wirtschaft nutzen können und sie alle wieder untergebracht.
Wie offen erleben Sie denn die Dresdner Unternehmer?
Einige wenige preisen es als positives Merkmal ihres Betriebes, wenn Geflüchtete Teil ihrer Belegschaft sind. Abgesehen davon gibt es immer noch Berührungsängste. Viele weltoffene Betriebe hängen es ungern an die große Glocke, wenn sie Geflüchtete anstellen. Die haben Angst vor der Ausländerfeindlichkeit in der Kundschaft. Schlimmer sind natürlich die Betriebe, die aufgrund der eigenen Ausländerfeindlichkeit keine Geflüchteten beschäftigen wollen. Auch das erlebe ich immer wieder.
Stoßen Sie auch anderswo auf ablehnende Haltungen?
Insgesamt empfinde ich Dresden und die hiesige Gesellschaft als Vorbild, gerade auch für den ländlichen Raum. Ich würde mir aber wünschen, dass Behördenmitarbeiter wohlwollender sind, wenn ein Mensch auf gutem Weg ist und etwa einen Ausbildungsplatz in Aussicht hat. Gesetze bieten Ermessensspielräume. Wir hatten zum Beispiel mal den Fall eines Geflüchteten, der aus der Berufsschule abgeholt und direkt abgeschoben werden sollte. Nur mit viel Engagement auch des Arbeitgebers konnten wir ihn zurückholen. Ich bin nicht frustriert, aber es gibt immer wieder Rückschläge.
Ein Rückschlag ist sicher auch, was gerade auf europäischer Ebene passiert – Stichwort Moria.
Ich hatte tatsächlich die völlig illusionäre Hoffnung, dass die EU was Sinnvolles auf die Beine stellen wird. Der Streit um die Verteilung ist für mich der Hinweis: jetzt erst recht, jetzt umso mehr, was denn sonst?! Wir müssen doch was für die Menschen tun. Wir haben alle Ressourcen und wir haben auch den Bedarf an Einwanderung. Diese Abschottung ist so unklug, aber auch unmenschlich. Aber ich bleibe Optimist und glaube, dass wir als Gesellschaft irgendwann ein Miteinander in Vielfalt leben. Nur wird das nicht von heute auf morgen gehen.
Sind Sie ungeduldig?
Ich bin von der Physikforschung geprägt: Da wird zehn Jahre geplant, dann wird das Experiment zehn Jahre aufgebaut, dann messen wir 20 Jahre und dann haben wir vielleicht mal das Higgs-Boson gefunden. Oder ich muss nach 30 Jahren feststellen: Das Ding gibt’s nicht. Bei meinem Engagement für Geflüchtete hingegen habe ich jede Woche ein Erfolgserlebnis.
Trotzdem könnte man ja sagen: Gerade bei so langwierigen, komplexen Prozessen, da kann man als Einzelner eigentlich wenig bewegen.
Man kann unheimlich viel bewegen, wenn man für einen Menschen da ist, ihm Halt gibt, ihm den Weg zu einem Experten weist. Jede kleine Geste bewegt irgendwas. Wir sind ja alle die Gesellschaft. Wie besagt es das Zitat von Hans Scholl, das vor dem Hörsaalzentrum hängt: »Nicht: Es muss etwas geschehen ...
… sondern: Ich muss etwas tun.«
Und ich glaube, die TUD ist da gut unterwegs; das war sie mit dem letzten Rektor und ist sie mit der neuen Rektorin.
Die Fragen stellte Luise Anter.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 16/2020 vom 20. Oktober 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.