02.02.2021
Mehr als Tools und Trends
Luise Anter
Stereotype, Missverständnisse, Vorurteile: Fanny Braun und Tanja Belchik haben davon genug. Sie wollen interkulturelle Trainings für junge Menschen aus der ganzen Welt anbieten, um sie zu bilden und zu vernetzen. Einen Businessplan haben die beiden auch schon. Dabei kannten sie sich bis vor ein paar Wochen gar nicht. Braun studiert an der Universität Münster einen Politik-Master, Belchik an der Belarussischen Staatlichen Universität für Informatik und Radioelektronik in Minsk ein IT-Diplom. Ihr Projekt haben sie mit zwei anderen in zahlreichen Zoom-Sessions entwickelt.
Braun und Belchik sind zwei von 25 Studierenden, die Ende 2020 an der Winterschule »Digitale Medienformate in Bildung und Unternehmertum« teilgenommen haben. Im Mittelpunkt des vierwöchigen Programms stand die Frage, welches Potenzial die Digitalisierung für studentische Initiativen, Bildungsprojekte und Sozialunternehmen hat. »Wir wollten zeigen, wie soziales Engagement in komplizierten Zeiten funktioniert und motivierte Leute vernetzen«, sagt Organisatorin Tatsiana Dashuk vom Medienzentrum der TU Dresden.
Wie entwickelt sich der Markt für Sozialunternehmen? Welche Tools und Ansätze gibt es zur Kommunikation mit der externen Welt, welche zur Organisation des Teams? Mit solchen Fragen beschäftigten sich die Dozenten, darunter Professor Eric Schoop vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Professor Thomas Köhler, Direktor des Medienzentrums. »Digitalisierung geht einher mit neuen Sozialformen«, sagt Prof. Köhler. »Wir brauchen organisationale Didaktik, die auf ein präzises Verständnis sozialer und kommunikativer Prozesse aufbaut.« Die Winterschule habe auch vom Projekt »The Third Way« profitiert. Unter Leitung des Medienzentrums wird hier ein Curriculum für Sozialunternehmer entwickelt.
Zwischen den Seminaren der Winterschule haben die Studierenden in Gruppen eigene soziale Projekte entwickelt, die sie beim Abschlussmeeting präsentiert haben. Auch wenn Braun und Belchik ihre Idee erst mal nicht realisieren werden, sind sie begeistert. »Das waren exklusive Vorlesungen, nur für uns«, sagt Braun. Sie hätten ihr gezeigt, wie viel online möglich ist, aber auch, wie viel Vorbereitung und Wissen man etwa in Online-Lehre stecken muss. Belchik pflichtet ihr bei. Sie sagt aber auch: »Die Winterschule war für mich auch eine Flucht aus dem belarussischen Alltag.«
Dieser belarussische Alltag war – neben Corona – der Grund, warum eine digitale Winterschule statt der ursprünglich geplanten analogen Sommerschule stattfand. Dazu hatte Dashuk Fördergelder vom DAAD-Programm »Sommerschulen im Ausland« eingeworben. Sie ist selbst aus Belarus, ihre Heimat war ein naheliegendes Partnerland. Politik und Proteste waren bei der Winterschule nicht explizit Thema, doch sie sollte sehr wohl einen Rahmen für informellen Austausch und neue Perspektiven bieten. »Ich habe Leute in meinem Alter kennengelernt, die in einer ganz anderen politischen Situation leben und studieren«, sagt Braun. Deren Optimismus sei »sehr inspirierend« gewesen.
Auch bei den Abschlussprojekten der Studierenden spielt die Situation in Belarus eine Rolle. »Media Literacy in Belarus« etwa hat zum Ziel, die Verbreitung von Desinformationen zu mildern. Die vier belarussischen Gründer und Gründerinnen wollen Flyer in die Briefkästen älterer Mitbürger verteilen, auf denen sie die Entstehung von Fake News erklären und Tipps zur reflektierten Mediennutzung geben. Die Organisatoren und Dozenten der Winterschule fanden das Projekt so gelungen, dass sie es weiter unterstützen wollen. »Die Flyer sind bereits erstellt«, sagt Dashuk. Jetzt müssen noch Juristen auf den Text schauen, damit die Flyer nicht missverstanden werden und ihre Macher ins Gefängnis bringen. »Das Projekt«, sagt Dashuk, »zeigt, dass in Belarus niemand mehr an der Seitenlinie steht.«