01.02.2022
Mit Victor Klemperer im Kino
Neue Reihe zeigt Filmklassiker, die der berühmte Romanist einst selbst im Kino sah
Beate Diederichs
Die Filmreihe »Mit Victor Klemperer im Kino« präsentiert dem Publikum Tonfilme aus den 20er- und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, die Victor Klemperer und seine Frau Eva im Kino sahen, bevor Kinobesuche den Juden verboten wurden. Die Veranstalter der Reihe, das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) und die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), zeigen nicht nur die Filme selbst, sondern auch die Sicht des Literaturwissenschaftlers Klemperer darauf – durch Zitate aus seinen Tagebüchern.
»Metropolis«, »Nosferatu« oder »Modern Times« – Filmklassiker. Und Stummfilme. Ein Genre, das das heutige, an schnelle Schnitte, grelle Farben und Spezialeffekte gewöhnte Publikum einerseits als angenehm puristisch, andererseits als unvollständig empfinden mag. Fehlt doch ein wichtiges Element: der Ton, also die Sprache derjenigen, die miteinander agieren. Victor Klemperer, 1881 geboren, betrachtete es dagegen keinerseits als Fortschritt, als in den 1920er- und 1930er-Jahren der Tonfilm aufkam und allmählich den Stummfilm ersetzte: »Er sah im Stummfilm eine eigene Kunstform, die nicht mit dem Sprechtheater konkurrieren sollte. Erst allmählich freundete er sich mit dem Tonfilm an, als die Qualität der technischen Reproduktion von menschlichen Stimmen besser wurde«, sagt Andreas Rutz, Direktor des ISGV. Klemperer selbst, der Literaturwissenschaftler, Romanist und Politiker, formuliert es in seinen Tagebüchern einmal so: »Die Sprache an sich klang gut. Aber unnütz! Wozu diese wenigen (notgedrungen wenigen!) langsamen Sätze? Hier kann man nicht mit der Bühne wetteifern. Stummer Film ist Kunst für sich, Tonfilm ist schlechter Ersatz des Theaters.« Das Werk, zu dem sich Klemperer so äußert, ist »Der Hauptmann von Köpenick «. Den Film, der auf dem gleichnamigen Theaterstuck von Carl Zuckmayer basiert, sah Victor Klemperer im Jahr 1932 im Kino. Im Jahr zuvor hatte er bereits das Bühnenstück erlebt und konnte daher beides vergleichen. Dies bot sich umso mehr an, da der Autor des Bühnenstückes am Drehbuch mitgeschrieben hatte und Schauspieler und Schauspielerinnen in Stuck und Film weitgehend identisch waren. »Er baut anderes aus als das Stück, bringt durch Bild und Bewegung – Marsch auf Köpenick!, im Rathaus! – ein, was er an Worten verliert«, ist Klemperers Beobachtung. Doch beide Kunstwerke – Film und Theaterstück – finden am Ende seinen Beifall.
»Der Hauptmann von Köpenick« ist einer der beiden Filme aus der Reihe »Mit Victor Klemperer im Kino«, die im Spätherbst tatsachlich gezeigt wurden, natürlich im Klemperer-Saal der SLUB. Ansonsten stottert der Projektor der Filmreihe aufgrund der aktuellen Situation leider ein wenig: Die Veranstaltung wurde zunächst vom Frühjahr in den Herbst 2021 verschoben und musste dann im Dezember unterbrochen werden. Nach aktuellem Stand soll es nun am 6. April weitergehen. »Bis Juli werden dann insgesamt fünf Filme zu sehen sein«, kündigt Andreas Rutz an. Dann erwarten das Publikum weitere Tonfilme aus den 20er- und 30er-Jahren, die Victor Klemperer und seine Frau Eva besuchten und zu denen der Wissenschaftler sich in seinen Tagebüchern teilweise recht umfangreich äußert. »Klemperer war ein überaus aufmerksamer Beobachter und Chronist, der neben seinem Privat- und Innenleben stets das Zeitgeschehen reflektierte«, sagt Andreas Rutz. So beschreibt der Schriftsteller oft nicht nur den Film, sondern auch den Kinobesuch als solchen – den Weg zum Kino, die Ticketpreise, den Kinosaal, das Publikum, das Programmheft, die Wochenschau und Ähnliches. »Das sind interessante Einblicke in die Praxis des Kinogehens in Dresden, die wir ansonsten nur selten in den Quellen finden«, lobt Historiker Rutz. Jede Veranstaltung wird von einem wissenschaftlichen Vorspann von einer halben Stunde eingeleitet, auf den dann der Film selbst folgt. Der Vorspann beginnt mit einem kurzen Vortrag zur Kinokultur der jeweiligen Zeit. Dann stellt man den Film vor und diskutiert Klemperers Bemerkungen dazu und zu seinem Kinobesuch. Dies wird auch bei den folgenden Werken der Fall sein, unter anderem »Der blaue Engel« von 1930, der am 6. April zu sehen sein wird, »Ich liebe alle Frauen« von 1935 und »Viktor und Viktoria« von 1933. Beenden mochten ISGV und SLUB die Reihe mit dem Film, der für Klemperer und seine Frau den Kinogenuss gewaltsam zum Stillstand brachte: »Die 4 Gesellen« von Carl Froelich aus dem Jahre 1938. Nachdem das NS-Regime den Lebensspielraum der Juden immer mehr eingeschränkt hatte, war dieses Werk »der letzte Film, den wir noch sehen durften« – im November 1938 verbot das Regime den Juden, Theater, Kinos, Konzerte, Vorträge und Ausstellungen zu betreten. Andreas Rutz formuliert es so: »Ein trauriger Schlusspunkt der Reihe, der aber wichtig ist, um an die unerträglichen Umstände zu erinnern, unter denen Victor Klemperer und seine Frau in den 1930er- Jahren lebten und – immer seltener – ins Kino gingen.«
Nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes konnte Victor Klemperer die Kinos, die unzerstört geblieben waren oder nach und nach neu entstanden, wieder besuchen. Auch seine Laufbahn an der Technischen Hochschule nahm der Wissenschaftler wieder auf. Sie war unterbrochen gewesen, nachdem Gauleiter Mutschmann ihn, der 1920 als Romanistik-Professor an die TH Dresden berufen worden war, im Jahr 1935 in den Zwangsruhestand geschickt hatte. 1945 kehrte Klemperer an die Hochschule zurück und erhielt 1951 dort die Ehrendoktorwürde. Außer dem besagten Saal in der SLUB ist noch ein weiterer Raum nach ihm benannt: der Victor-Klemperer-Hörsaal am Weberplatz.
Mehr Informationen unter: www. isgv.de/aktuelles/veranstaltungen
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 2/2022 vom 1. Februar 2022 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.