21.09.2021
Nachruf auf Prof. Kurt Biedenkopf
Am 12. August 2021 verstarb der Staatsmann, Wissenschaftler und DIU-Gründungspräsident 91-jährig
Achim Mehlhorn
In einer Universitätszeitung eines verstorbenen Ministerpräsidenten zu gedenken, ist eher unüblich. An einer Universität achtet man auf Staatsferne, betont seine Autonomie und die Freiheit von Lehre und Forschung allein auf dem Boden des Grundgesetzes. Dass der Staat zuverlässig, wenn auch immer zu knapp, die universitären Kassen füllt, gilt nicht als Grund für dankbares Wohlverhalten, sondern als partnerschaftlicher Auftrag, den besonders veranlagten Teil der jungen Generation zur wissenschaftlich fundierten Arbeit auszubilden, deren Ergebnisse maßgeblich mithelfen, die staatlichen Kassen immer wieder aufs Neue zu füllen.
Bei Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen von 1990 bis 2002, der mit 91 Jahren am 12. August 2021 in Dresden gestorben ist, liegen die Dinge etwas anders. Das hat, insbesondere für die TU Dresden, drei Gründe.
Zum Ersten kam Kurt Biedenkopf ins Amt des sächsischen Ministerpräsidenten nach einer Revolution, einem Zusammenbruch einer gescheiterten Gesellschaftsordnung. Er musste einen völlig neuen Anfang setzen, der mit der Wiedergründung des Freistaates Sachsen begann, um sich dann einer drastischen Umstrukturierung der gesamten Wirtschaft und aller staatlichen Einrichtungen zuzuwenden. Dazu gehörten natürlich auch die Universitäten und Hochschulen. Schon in der Zeit der DDR ist der sächsische Raum ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Entwicklung gewesen. Neben Ostberlin befand sich hier die höchste Dichte an Hochschulen aller Art und Profilierung und viele Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR. Das galt insbesondere auch für Dresden.
Diese Institutionen hatten gemeinsam, dass dort viele leistungsfähige Wissenschaftler und Techniker tätig waren, deren Forschungsthematiken aber häufig auf autonome Bedürfnisse des alten Staates gerichtet waren und die vielfach ohne ausreichende internationale Kontakte auskommen mussten. Gemeinsam war ihnen auch, dass sich der Gerätepark und die Bausubstanz in einem erbarmenswürdigen Zustand befanden.
Anders als in der Industrielandschaft Sachsens wurde aber nicht die Axt angelegt, um die Strukturen radikal auszudünnen, sondern man bemühte sich um eine kraftvolle Reform, die das Bewahrenswerte erhielt, das Bestehende neu ordnete und durch bedeutende Investitionen die Bau- und Ausstattungssubstanz konsolidierte und erweiterte, dass sich die ostdeutsche Wissenschaftslandschaft allmählich an die westdeutsche und die internationale Szene angleichen konnte.
Das galt – in der Richtlinienkompetenz des damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und seines wackeren, aufopferungsvoll kämpfenden Wissenschaftsministers Hans Joachim Meyer – auch und in besonderem Maße für unsere Universität. Sie wurde nicht nur durch die Zuordnung der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« und wichtiger Teile der Hochschule für Verkehrswesen »Friedrich List« sowie der Pädagogischen Hochschule in thematischer Breite und wissenschaftlicher Qualität gestärkt. Es wurden auch fünf neue Fakultäten im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich gegründet. Damit wurde aus der früher ingenieur- und naturwissenschaftlich ausgerichteten Hochschule eine Volluniversität plus Klinikum mit fantastischen Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Von diesen Möglichkeiten sind aus heutiger Sicht viele genutzt worden und haben entscheidend dazu beigetragen, dass die TU Dresden zu den elf deutschen Exzellenz-universitäten gehört. Die gleichzeitig einsetzende Bau- und Reparaturtätigkeit hat nicht nur eine Konsolidierung der schönen Altbauten Martin Dülfers ermöglicht, sondern auch zu zahlreichen Neubauten geführt, die man heute bei einem Gang durch den Campus in der Südvorstadt oder des Klinikums in der Johannstadt staunend bewundern kann. Es scheint mir notwendig, daran zu erinnern, dass ein großer Teil dieses Aufbauwerks unter der Richtlinienkompetenz von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf entstanden ist.
Ein Zweites. Auch als Politiker hat Kurt Biedenkopf, der in den 70er-Jahren Gründungsrektor der Universität Bochum gewesen ist, seine Nähe zur Wissenschaft nie vergessen. Er ist immer ein Forschender geblieben, der seine politischen Strategien gern mit eigenen Untersuchungen und Erkenntnissen begründen wollte. Er erkannte die großen Fragen unserer Zeit, die Konflikte und langzeitlichen Folgen, die er scharfsinnig und stringent formulieren konnte. Einmal im Jahr bat er die Rektoren aller sächsischen Hochschulen zu sich in die Staatskanzlei, um mit ihnen strategische Probleme und Tagesfragen zu diskutieren. Das habe ich aus keinem anderen Bundesland gehört. Auch nach seiner Zeit als Ministerpräsident hatte er immer ein offenes Ohr für die Rektoren der TU Dresden und war jederzeit bereit, sie zu beraten und zu unterstützen. Er folgte auch gern Einladungen zu großen, aber auch mittleren Veranstaltungen, wenn ihn die Thematik interessierte. In Erinnerung blieben die Ehrenpromotionen von Václav Havel, dem tschechischen Schriftsteller und Staatspräsidenten, und dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Er war auch aufmerksamer Gast bei der Vergabe der Ehrensenatorwürde an Nobel-Preisträger Günter Blobel, bei der die Entwicklung der Lebenswissenschaften im Raum Dresden thematisiert wurde – heute eine der wichtigsten Profillinien von DRESDEN-concept.
Ein Drittes soll nicht unerwähnt bleiben: Er war Gründungspräsident der DIU Dresden International University GmbH, einer Ausgründung der TU Dresden aus dem Jahre 2003, um das Problem einer berufsbegleitenden Weiterbildung akademischer Fachkräfte anzugehen. Dieses Projekt war damals keineswegs unumstritten, wurde als unternehmerisches Hobby des damaligen TUD-Kanzlers Alfred Post missverstanden, während der wirkliche Zweck und die hochkompetent entworfene Geschäftsidee und deren Umsetzung für viele konservative Kritiker im Verborgenen blieben. Kurt Biedenkopf erkannte die Bedeutung sofort und wurde mit 74 Jahren noch Senior-Start-Up–Unternehmer, der sich für den Ruf und die innere Atmosphäre der neuen Institution unvergessliche Verdienste erwarb. Von 2003 bis 2006 führte er die junge Institution, die heute ein An-Institut der TUD ist, durch die schwierigen Anfangsjahre, sorgte für deren schnelle staatliche Anerkennung und trug letztlich dazu bei, dass die DIU auch wirtschaftlich auf einen gesicherten Weg kam. Dabei scheute er sich nicht, die TUD-Fakultäten zu besuchen, Missverständnisse auszuräumen und das Wesen der neuen Einrichtung als Partner, nicht als Konkurrent der TU Dresden zu erläutern.
Nun ist Kurt Biedenkopf nach einem langen, erfüllten und bis zuletzt mit vielfältigen Aktivitäten bestückten Leben gestorben. Er war Staatsmann, Wissenschaftler und ein großartiger Mensch zugleich. Nicht nur Sachsen, auch die TU Dresden verdankt ihm viel und sollte seinen Namen in ihre Geschichte ehrenvoll einbinden.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 14/2021 vom 21. September 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.