03.11.2020
Schmerzen müssen nicht chronisch werden
Dresdner UniversitätsSchmerzCentrum an Projekt PAIN2020 beteiligt
Dagmar Möbius
Im europäischen Vergleich gilt Deutschland als »Schlusslicht bei der Schmerzbehandlung« – so der Befund einer Studie aus dem Jahr 2011. Tatsächlich war diese eine Initialzündung für das bundesweite Projekt PAIN2020, an dem ein Team vom Universitäts- SchmerzCentrum beteiligt ist. Dr. Ulrike Kaiser, leitende Psychologin von Ambulanz und interdisziplinärer Tagesklinik, berichtete auf dem Deutschen Schmerzkongress 2020 über erste Erfahrungen.
Die Jahrestagung der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) fand unter dem Motto »Gleich und doch verschieden – personalisierte Schmerzmedizin« Ende Oktober mit mehr als 1400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern online statt.
Bedarfe erkennen, Therapie individuell festlegen
»Schmerzen müssen nicht chronisch werden«, betont Dr. Ulrike Kaiser, wissenschaftliche Projektleitung des Konsortialpartners Dresden. Aber: Erkrankte werden häufig nicht bedarfsgerecht behandelt, weil geltende Leitlinien zu wenig umgesetzt werden. Schmerzexperten monieren »zu viele verordnete Medikamente, zu allgemeine körperlich orientierte Therapieangebote und zu wenig Bewegungsanreize«.
Unter Leitung der Deutschen Schmerzgesellschaft untersuchen die Konsortialpartner BARMER Ersatzkasse, Universitätsmedizin Göttingen sowie Greifswald, Universitäts- SchmerzCentrum Dresden und DRK Schmerz-Zentrum Mainz, wie unter Schmerzen leidende Menschen besser und früher individuell versorgt werden können. Das Dresdner Team gestaltet die Therapiemodule »Begleitende Interdisziplinäre Multimodale SchmerzTherapie (B-IMST)« und »Edukative Interdisziplinäre Multimodale SchmerzTherapie (E-IMST)«. Insgesamt wirken deutschlandweit 26 Einrichtungen an PAIN2020 mit. Das Projekt wird durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses für drei Jahre mit rund sieben Millionen Euro gefördert.
Bisher 600 Teilnehmer am Forschungsprojekt
»Am besten wirkt eine bedarfsgerechte Therapie, wenn neben einer medizinisch professionellen und individuellen Begleitung, zielgerichtete Bewegungsund Aktivierungsangebote sowie psychosoziale Empfehlungen gegeben werden «, erklärt Dr. Ulrike Kaiser. »Diese zentralen Elemente in der Schmerztherapie werden jedoch zu wenig und zu spät eingesetzt.« Im Projekt stellen die Akteure beispielsweise fest, dass Patienten eine psychotherapeutische Behandlung besser akzeptieren.
Bisher wurden bundesweit 600 Patienten in das Forschungsprojekt eingeschlossen und diagnostiziert. Sie werden jeweils eine Stunde ärztlich, physiotherapeutisch und psychologisch diagnostiziert. Nach einer Teambesprechung der involvierten Fachrichtungen werden die Befunde ausführlich mit den Betroffenen besprochen und die Versorgung individuell besprochen und patientenverständlich dokumentiert. 70 der 600 Teilnehmer kommen aus Dresden und Umgebung. Überraschenderweise meldeten sich von den von der BARMER angesprochenen Menschen nur ein Prozent zurück. »Wir können uns vorstellen, dass viele Menschen mit dem beschriebenen Profil noch gar nicht auf die Idee gekommen sind, von einem solchen Angebot profitieren zu können«, sagt Dr. Ulrike Kaiser.
Fachärzte sollten Angebote stärker nutzen
Viele zuweisende Hausärzte und Fachärzte geben an, dass sie schlecht einschätzen können, welche Menschen das Profil erfüllen. Aus Sicht des Projektteams müsste hier verstärkt kommuniziert und geschult werden. »Vor allem Menschen mit chronischen Schmerzen kennen unser Diagnostikangebot durch ein interdisziplinäres Schmerzteam bereits. Dieses eher in Anspruch zu nehmen, wird aber noch nicht von allen Fachärzten bewusst als Chance wahrgenommen «, so Kaiser.
Die Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie ist erfreut, »dass das Angebot auch in ambulanten Schmerztherapiepraxen funktioniert, sofern dort eine multiprofessionelle Zusammenarbeit (beispielsweise in Kooperation mit niedergelassenen Physiotherapeuten und Psychotherapeuten oder in Praxisgemeinschaft) vorhanden ist.« Über den vorwiegend positiven Zuspruch und den Wunsch vieler Einrichtungen, diese Versorgungsform des interdisziplinären multimodalen Assessments in die Regelversorgung zu bringen, ist das Dresdner Team positiv überrascht. »Netzwerke sind für diese Art der Versorgung sehr wichtig, nach innen und nach außen bedarf es einer Konstanz im Team, der Personaldecke und der zeitlichen Abfolge«, betont Dr. Ulrike Kaiser. Noch ist der innovative Ansatz relativ teuer, unter anderem, weil drei Professionen an einem Patienten arbeiten.
Das Projekt PAIN2020 läuft noch bis März 2022. Mit veröffentlichten Ergebnissen wird danach gerechnet. An einer Teilnahme interessierte Schmerzpatienten können sich noch melden. Seit Kurzem ist das auch für alle gesetzlich Versicherten möglich.
Kontakt PAIN2020 über:
UniversitätsSchmerzCentrum
Interdisziplinäre Schmerztagesklinik
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden
Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Tel.: +49 351 458-5981 oder -19040
https://www.pain2020.de
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 17/2020 vom 3. November 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.