08.09.2020
Vom Säger zum Priester
Zugesehen: Mit »Corpus Christi« von Jan Komasa startet ein nächstes starkes Kinostück aus Polen
Andreas Körner
Daniel, der junge neue Pfarrer, kann seine Schäfchen für sich und Gott wirklich einnehmen. Skeptische Blicke halten sich in der ländlichen Gemeinde nicht lange, dort wo die Alten bibelfest am guten Glauben hängen und die Jungen mit ihrem Zögern hadern, nach dem Zwischenschritt des Zweifelns den nächsten hin zur Abkehr vom starren Katholizismus nicht zu wagen. Ein Priester ihres Alters jedenfalls, der mit zum Joint und Bierchen greift und weiß, wie Rap funktioniert, könnte Entscheidendes bewirken. Daniel bewirkt es. Nur kann nicht sein, was nicht sein sollte.
Das Sägeblatt ist winklig zu führen und zwar über die gesamte Länge. Stramme Sitten herrschen in der Werkstatt, deren Jungensluft – könnte Kino riechen – von Schweiß, Span und Zigarettenatem gesättigt vor sich hin müffelt. Verlässt der Meister den Raum, werden die Sitten noch rauer, landet das Gemächt eines Auserwählten schon mal in der Werkbank. Fiese Ränkespiele im Jugendknast. Daniel kennt sie seit Jahren, doch seine Tage dort sind gezählt.
Hell leuchtet Daniels Stimme, wenn er als Messdiener zu singen beginnt und sich das Leuchten auf sein Inneres überträgt. Daniels Glaube ist hier gewachsen. Könnte er Priester werden, wenn er das Abitur nachholen würde, fragt er den Gefängnispfarrer. Kein Priesterseminar nehme Straftäter auf, lautet die Antwort. Taten und die Strafe liegen hinter Daniel, wie sein drittes Lebensjahrzehnt beginnen wird, ist diffus. Die Beschäftigung in einem auswärtigen Sägewerk soll eine erste Antwort geben. Daniel fährt hin, doch er landet – in der Kirche. Ernennt sich selbst zum Priester, lügt sich eine Ausbildung in Warschau zurecht, springt für den alkoholsüchtigen Pfarrer ein.
Wie man die Beichte abnimmt, steht in einer App. Die Messe zu feiern, Menschen zu taufen, vor ihrem letzten Atemzug zu begleiten oder des Bürgermeisters Flurstücke zu segnen, alles Handwerkszeug dafür zieht er aus sich selbst. Auch dem größten Zerwürfnis im Dorf zu begegnen, ist Daniel gegeben: Trauerbewältigung nach einem Autounfall vor Jahren, bei dem junge Menschen starben und die Ehefrau des noch immer nicht beerdigten Verursachers seitdem Spießruten läuft.
»Corpus Christi« von Regisseur Jan Komasa ist nicht nur das nächste, mithin packende polnische Kinostück, das sich die Rolle des Glaubens auflädt, um sie zu hinterfragen. Wieder geht es zuvorderst um ein Menschenschicksal, mit mutigen Blicken, inszenatorischer Kraft und starken Figuren samt Schauspielern, allen voran Bartosz Bielenia.
Der Film läuft im Programmkino Ost sowie im neuen Zentralkino im Kulturkraftwerk.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 13/2020 vom 8. September 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.