16.03.2021
Zum 100. Geburtstag von Prof. N. J. Lehmann
Der Pionier auf dem Gebiet der Rechnerentwicklung erschuf an der TU Dresden 1963 den legendären Rechenautomaten D4a
Evelyn Paul
Am 15. März 2021 wäre Nikolaus Joachim Lehmann 100 Jahre alt geworden. Die Nachwelt kennt ihn als Pionier auf dem Gebiet der Rechnerentwicklung. Doch sein wissenschaftliches Wirken war wesentlich vielfältiger und setzte sich nach dem D4a – dem Vorläufer des modernen PCs – stetig erfolgreich fort.
Wer ist dieser Mensch, den die Dresdner Künstlerin Eva Schulze-Knabe ruhig und breit ins Bild setzte? 1964 mit dem Nationalpreis der DDR sowie 1989 mit der Konrad-Zuse-Medaille ausgezeichnet, erfährt Lehmann (gestorben 1998) schon zu Lebzeiten Würdigung. Ausstellungen betonen seine Leistungen für die ostdeutsche Rechenautomatenentwicklung. Auch an der TU Dresden ist er keinesfalls vergessen: Würdigt doch das zukünftige Lehmann-Zentrum II nicht nur namentlich den Wegbereiter der Wissenschaftsdisziplin Informatik, sondern gibt gleichfalls mit einem neu konzipierten Ausstellungsraum der durch ihn begründeten »Sammlung Rechenmaschinen« ein neues Zuhause.
Im März 1921 in Camina in der Oberlausitz geboren, besuchte der junge Lehmann zunächst die sorbische Volksschule in Radibor und anschließend bis zum Abitur 1939 die Katholische Oberschule in Bautzen. Bereits während der Kriegsjahre kann er an der Technischen Hochschule Dresden ein Physikstudium beginnen. Weil seine Diplomarbeit 1945 während der Bombenangriffe auf Dresden verbrennt, fertigt er eine zweite an – diese allerdings zu mathematischen Verfahren der Eigenwert-Berechnung. Nach Abschluss seines Studiums 1946 absolviert Lehmann in bemerkenswert kurzer Zeit die wissenschaftlichen Qualifizierungsarbeiten (1948 Promotion, 1951 Habilitation) und wird 1953 zum Professor für Angewandte Mathematik an der TH Dresden berufen.
Die Entwicklung des ersten Dresdner Rechenautomaten D1 auf Basis von Elektronenröhren unter Lehmanns Leitung (1956 fertiggestellt) vollzieht sich anfangs parallel zu seiner akademischen Laufbahn. Ein Artikel zum Rechnerriesen ENIAC von 1946 fasziniert Lehmann derart, dass er neben seiner Promotion intensiv über eine eigene »kleinere« elektronische Rechenmaschine zur Bearbeitung mathematisch-naturwissenschaftlicher Probleme nachdenkt. Trotz der nachkriegsbedingten Schwierigkeiten und mit Unterstützung durch Friedrich Adolf Willers, dem »Altmeister der numerischen Mathematik«, erforscht der junge Hochschullehrer am Institut für Angewandte Mathematik zunächst das Prinzip des Trommelspeichers und vollendet 1949 seinen Entwurf für ein vollständiges Rechen-, Steuer- und Speicherwerk auf Magnettrommel-basis.
Als Gründungsdirektor und Leiter des IMR wirkt Lehmann auf wissenschaftspolitischer und -organisatorischer Ebene sowie im Rahmen internationaler Tagungen aktiv an der Entwicklung der jungen Wissenschaft Informatik in der DDR mit. Daneben setzt er die Entwicklung der Dresdner Rechenautomaten erfolgreich fort. Den Höhepunkt bildet 1963 der Rechenautomat D4a – »NJs liebstes Kind«: einer der ersten universal programmierbaren Rechenautomaten auf der Basis von Transistoren und schon in der Grundausführung mit integrierter Ein- und Ausgabe sowie Tastatur-Bedienung. Ein günstiges »Arbeitsgerät auf dem Tisch« für den individuellen Gebrauch.
Im Zuge der 3. Hochschulreform und der daraus resultierenden Neuausrichtung des Instituts zum WB Mathematische Kybernetik und Rechentechnik an der TU Dresden verschieben sich Lehmanns Forschungsschwerpunkte. Einerseits stehen in den 1970er-Jahren Programmiersprachen als Basis einer Softwaretechnologie im Vordergrund: Lehmann ist federführend an der Entwicklung des Fachsprachensystems DEPOT beteiligt. Andererseits befasst er sich – über seine Emeritierung 1986 hinaus – mit der Computer-Analytik und gilt international als Begründer dieser Grenzwissenschaft zwischen Mathematik und Informatik.
Lehmann war eine faszinierende Persönlichkeit und durch seine hohen Anforderungen durchaus kein bequemer Hochschullehrer, erinnert sich der ehemalige Student Prof. Hantzschmann 2011. Eva Schulze-Knabe scheint mit ihrer gewählten Formensprache den imposanten Eindruck geteilt zu haben. Zugleich dokumentiert sie aber eine kleine Abweichung – eine schiefe Krawatte. Für Lehmanns Ehefrau Dolly Margareth ein Sinnbild für die den Hochschulprofessor gleichfalls auszeichnende Leidenschaft, mit der er seine Forschungen betrieb und die ihn alles herum vergessen ließ.
Dokumente und Bilder zu N. J. Lehmanns Schaffen als Hochschulprofessor an der TH/TU Dresden
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 05/2021 vom 16. März 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.