11.06.2025
Nachhaltigkeit im Fokus: Internationaler Workshop zur Lebenszyklusanalyse im Maschinenbau
von Dr.-Ing. Robert Kupfer, Leiter Fachgruppe Neutralleichtbau am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik, Fakultät Maschinenwesen
Wie gelingt es, Nachhaltigkeit in der Hochschullehre nicht nur zu thematisieren, sondern aktiv zu leben? Die TUD verfolgt in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in allen Studiengängen zu stärken – auch durch innovative Lehrformate, die interdisziplinäres Denken, systemische Zusammenhänge und globale Perspektiven vermitteln.
Internationale Workshops und Summer Schools bieten hier ein ideales Experimentierfeld: Sie ermöglichen es, neue didaktische Ideen in einem offenen Lernumfeld zu erproben, zu evaluieren und bei Erfolg institutionell zu verstetigen. Besonders englischsprachige Formate leisten dabei nicht nur einen Beitrag zur Nachhaltigkeitsbildung, sondern fördern zugleich die Internationalisierung von Lehre und Forschung. Sie bieten so sowohl einen Raum für akademischen Austausch als auch die Möglichkeit, Nachhaltigkeit als Querschnittsthema konkret in der Hochschullehre zu verankern.
Vom 12. bis 15.05.2025 fand an der TUD die General Assembly des HERITAGE-Netzwerks statt. Das Netzwerk bringt führende europäische und indische Hochschulen zusammen, die sich mit Fragen nachhaltiger Entwicklung, technischer Bildung und internationaler Zusammenarbeit befassen.
Im Mittelpunkt der General Assembly stand das Thema Global Education. Vertreter:innen der Mitgliedseinrichtungen diskutierten über die Weiterentwicklung des Netzwerks und über Strategien zur Förderung von transnationaler Lehre und globaler Verantwortung in der Hochschulbildung.
Parallel dazu wurde ein Workshop für Promovierende durchgeführt, der sich mit der Anwendung von Life Cycle Assessment im Maschinenbau beschäftigte. Ziel war es, junge Forschende für Umweltwirkungen entlang des Produktlebenszyklus zu sensibilisieren und methodische Grundlagen praxisnah zu vermitteln.
Die TUD ist Mitglied im HERITAGE-Netzwerk und im Steering Committee durch Maike Heitkamp-Mai, Referentin Nachhaltigkeitsmanagement, vertreten. Prof. Ercan Altinsoy, Lehrstuhlinhaber für Akustik und Haptik sowie Internationalisierungsbeauftragter des Bereichs Ingenieurwissenschaften, wurde auf der diesjährigen General Assembly für sein langjähriges Engagement als Ehrenmitglied in das Steering Committee aufgenommen. Die thematische Ausrichtung des Netzwerks ergänzt die Nachhaltigkeitsstrategie und die Internationalisierungsziele der TUD.

Dr. Robert Kupfer beim Workshop "Life Cycle Assessment in Mechanical Engineering"
Besonders in den Ingenieurwissenschaften eröffnet dies wertvolle Chancen, neue Perspektiven auf technologische Entwicklungen mit gesellschaftlicher Verantwortung zu verbinden. Maschinenbau beispielsweise zeichnet sich durch einen starken Fokus auf technische Fragestellungen und innovative Detaillösungen aus. Dabei bleibt jedoch oftmals das Wissen über die Umweltwirkungen technischer Produkte lückenhaft – insbesondere, wenn es um die komplexen Wechselwirkungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus geht. Um dem Anspruch gerecht zu werden, dass auch Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen eine zentrale Verantwortung für eine nachhaltige Gesellschaft tragen, müssen diese Zusammenhänge stärker in die Ausbildung integriert werden.
Ein Ansatzpunkt dafür war der internationale Workshop „Life Cycle Assessment1 in Mechanical Engineering“, der im Rahmen des Heritage Netzwerktreffens an der TUD stattfand. Ziel war es, einen Beitrag zur BNE zu leisten und den Teilnehmenden die Grundlagen des Life Cycle Thinking zu vermitteln. Dabei ging es nicht nur darum, die methodischen Schritte der Ökobilanzierung – von der Zieldefinition über die Sachbilanz bis hin zur Wirkungsabschätzung – kennenzulernen, sondern auch darum, das Bewusstsein für die weitreichenden Entscheidungen zu schärfen, die Produktentwickler:innen und Konstrukteur:innen in ihrem Arbeitsalltag treffen.

Eindrücke vom Workshop
Die Zielgruppe waren Early Career Scientists aus dem Maschinenbau – insbesondere Doktorand:innen des Heritage Netzwerks. Durch die Teilnahme von TUD-Forschenden wurde zudem der internationale Austausch gefördert. Insgesamt nahmen 16 junge Wissenschaftler:innen aus europäischen und indischen technischen Universitäten teil, die Hälfte davon waren Frauen.
Im Workshop wurden die methodischen Grundlagen zunächst in Vorlesungen vermittelt: von den Hintergründen und Normen der Ökobilanz bis hin zu praktischen Anwendungsbeispielen. Es folgten Schritt-für-Schritt Anleitungen zu den vier Phasen der Ökobilanz und ein Exkurs zu Umweltwirkungen und ihrer Quantifizierung von Klimawandel über Versauerung, Eutrophierung2 bis zu Ozonloch, Sommersmog und Toxizität3. Für die praxisnahe Anwendung wurden die Teilnehmenden in vier gemischte Teams eingeteilt, die jeweils einen Use Case aus dem Leichtbau bearbeiteten:

Ein Modell aus Spaghetti
Zunächst lernten die Teams das jeweilige Produktsystem kennen, einschließlich Fertigungstechnologien, Lieferketten, Nutzung und Entsorgung oder Recycling. Danach erarbeiteten sie systematisch die vier Phasen der Ökobilanz, erstellten Sachbilanzen und quantifizierten die Umweltwirkungen mit frei verfügbarer Software und Datenbanken. Auch Hot-Spot-, Szenarien- und Unsicherheitsanalysen wurden erprobt. Die Arbeitsergebnisse wurden regelmäßig in Diskussionsrunden vorgestellt und gemeinsam reflektiert. Die Kombination aus fundiertem Input, praxisorientierten Übungen und intensivem Austausch sorgte dabei für eine durchgehend angeregte Lernatmosphäre. Besonders spannend wurde es am letzten Tag: In einer Pitch-Session präsentierten die Teams ihre Ergebnisse auf Posterwänden vor den internationalen Gästen des HERITAGE-Netzwerks.
Für mich als Workshopleiter war es beeindruckend, mit welcher intrinsischen Motivation die Teilnehmenden drei Tage lang konzentriert am Thema arbeiteten. Die abwechslungsreiche Gestaltung – von kompakten Vorlesungen über intensive Kleingruppenarbeit bis zu lebhaften Diskussionen – hat es ermöglicht, dass sich die Teilnehmenden fachlich und persönlich weiterentwickeln konnten. Auch darüber hinaus wurde deutlich: Nachhaltigkeit ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine Frage von internationaler Zusammenarbeit, zwischenmenschlicher Begegnung und gegenseitigem Lernen.

Teilnehmende des Workshops
Eindrücklich waren auch die Rückmeldungen der Teilnehmenden. So betonte Sumitkumar aus Indien, wie wertvoll die praxisnahen Übungen zur Lebenszyklusanalyse für sein eigenes Forschungsgebiet im Bereich nachhaltiger Fertigungstechnologien waren: „Die Kombination von Grundlagenvermittlung und praktischen Anwendungen hat mir neue Perspektiven für die Bewertung von Umweltwirkungen eröffnet“, berichtete er begeistert. Bhavita hob hervor, wie relevant die erlernten Methoden für andere Ingenieurdisziplinen seien – beispielsweise auch für geotechnische Anwendungen, bei denen Materialeinsatz und CO₂-Bilanz eine immer größere Rolle spielen. Für sie zeigte der Workshop eindrucksvoll, dass LCA als Werkzeug auch in fachfremden Bereichen zu einem nachhaltigeren Ingenieurwesen beitragen kann.
Diese Stimmen zeigen, dass der Workshop nicht nur Wissen vermittelte, sondern auch neue Impulse für Forschung und Anwendung gegeben hat. Ein echtes Highlight im Unijahr – selten habe ich so viel Freude und Dankbarkeit in meiner Arbeit gespürt. Und viele Teilnehmende sagten zum Schluss: Sie hätten gerne noch ein paar Tage drangehängt, um noch tiefer in die spannenden Themen einzutauchen.
Fußnoten
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LCA = Ökobilanzierung ist ein Werkzeug zur systematischen Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produkts oder Prozesses über den gesamten Lebenszyklus.
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Anreicherung von Nährstoffen, insbesondere Stickstoff und Phosphor, in Gewässern, die zu übermäßigem Algenwachstum und in der Folge zum Sauerstoffmangel und Artensterben führen kann.
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Schädlichkeit einer Substanz für lebende Organismen, die je nach Art, Konzentration und Einwirkdauer zu gesundheitlichen oder ökologischen Schäden führen kann.