27.10.2025
Ein Blick über den Tellerrand: Hospitation an US-amerikanischen Bildungseinrichtungen
Im Rahmen ihrer Tätigkeit am ZLSB bot sich für Maria Melchior-Tunc (abgeordnete Lehrkraft für Gesellschaftswissenschaften) die besondere Gelegenheit, mehrere Wochen an unterschiedlichen Bildungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten zu hospitieren. In diesem Bericht teilt sie ihre Eindrücke und Erfahrungen, die sie während der Hospitation gesammelt hat, und zeigt auf, welche Impulse sich daraus für die Lehrkräftebildung und Unterrichtspraxis ableiten lassen.
Christian Timothy School
Eine Schule, die ich näher kennenlernen durfte, war die Christian Timothy School in New Jersey – eine private Grundschule, die sich durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl und einen ausgesprochen individuellen Förderansatz auszeichnet.
Schon am ersten Tag fiel mir auf, mit welcher Selbstverständlichkeit die Schülerinnen und Schüler aktiv in den Unterricht einbezogen werden. Eigenverantwortung, Teamgeist und kreative Problemlösung prägen den Lernalltag und werden konsequent gefördert – sowohl im Klassenzimmer als auch darüber hinaus. Besonders eindrucksvoll war die wertschätzende Haltung der Lehrkräfte, die soziales Lernen und positive Verstärkung gezielt einsetzen. Lob, Ermutigung und persönliche Zuwendung bestimmen das Unterrichtsklima.
In Gesprächen mit den Lehrkräften wurde deutlich, dass die Schule eine ganzheitliche Bildungsidee verfolgt: Neben den klassischen Fächern nehmen Musik, Kunst und soziales Engagement einen festen Platz im Stundenplan ein. So beteiligen sich die Kinder regelmäßig an lokalen Projekten oder gestalten schulweite Veranstaltungen, die das Lernen mit gelebter Gemeinschaft verbinden.
Darüber hinaus ergaben sich wertvolle Einblicke in Fragen der pädagogischen Konzeptentwicklung, Curriculumsarbeit und alternativen Leistungsbewertung. Schnell zeigte sich, dass viele Herausforderungen – etwa der Umgang mit Heterogenität, die individuelle Förderung oder die Integration digitaler Medien – international geteilt werden, sich jedoch in unterschiedlichen kulturellen Kontexten verschiedene Lösungsansätze finden.
Eine große Hilfe bei der Bewältigung der Komplexitäten ist bspw. die Verteilung der Arbeitsbelastung auf unterschiedlichen Schultern.
German School Princeton
Ein weiterer prägender Teil meiner Hospitation war der Besuch der German School Princeton, die eine einzigartige Brücke zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Bildungssystem schlägt. Ihr erklärtes Ziel ist es, die deutsche Sprache und Kultur im US-amerikanischen Kontext lebendig zu halten und zugleich zeitgemäße pädagogische Ansätze umzusetzen.
In den Unterrichtsbeobachtungen fiel mir besonders die differenzierte sprachliche Förderung auf. Die Lehrkräfte arbeiteten in kleinen, individuell zusammengesetzten Gruppen und reagierten flexibel auf unterschiedliche Lernvoraussetzungen. Diese Unterrichtsgestaltung verband strukturierte Förderung mit der Freiheit, eigene Lernwege zu entwickeln.
Das pädagogische Konzept der Schule kombiniert bewährte Elemente des deutschen Bildungssystems mit innovativen Aspekten der amerikanischen Unterrichtskultur. Offene Lernformen, eine wertschätzende Kommunikation und gemeinsame Aktivitäten prägen das Miteinander. Diese interkulturelle Lernumgebung liefert wertvolle Impulse für den Umgang mit Diversität und Mehrsprachigkeit – auch im deutschen Schulkontext. Neben der wertvollen pädagogischen Arbeit ist die German School Princeton auch ein Stück Heimat in der „Fremde“.
University of Princeton
Ein besonderer Höhepunkt meines Aufenthalts war der Besuch der renommierten University of Princeton, wo ich die Gelegenheit hatte, an dem Kurs „Introduction to Syriac“ von George Kiraz teilzunehmen. Dieser Einblick in die Welt der semitischen Sprachen offenbarte eindrucksvoll, wie eng Sprachlernen mit kultureller Verständigung, historischer Tiefenschärfe und interdisziplinärem Denken verbunden ist.
George Kiraz verstand es, seine herausragende fachliche Expertise mit didaktischer Sensibilität zu verbinden. Der Unterricht zeichnete sich durch eine offene, dialogorientierte Atmosphäre aus, die aktives Mitdenken und intensiven Austausch zwischen den Studierenden förderte. Sprachliche Phänomene wurden nie isoliert betrachtet, sondern stets in Beziehung zu kulturellen, religiösen und historischen Zusammenhängen gesetzt.
Dieser Ansatz macht das Sprachlernen als ganzheitlichen Bildungsprozess erfahrbar.
Aus bildungswissenschaftlicher Sicht zeigte der Kurs beispielhaft, wie Kontextualisierung, Interaktivität und historische Reflexion den Spracherwerb bereichern können. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Sprachbildung weit über den Erwerb grammatischer Strukturen hinausgeht: Sie fördert Empathie, kulturelle Offenheit und die Fähigkeit, Unterschiede als Lernchancen zu begreifen. Diese Erkenntnisse sind auch für die Lehrerbildung in Deutschland von hoher Relevanz – insbesondere im Hinblick auf Mehrsprachigkeit, interkulturelles Lernen und sprachbewussten Unterricht.
Fazit und Ausblick
Die Hospitation in den USA hat meinen Blick auf Unterricht, Bildungskultur und Lehrerbildung nachhaltig erweitert. Besonders bereichernd waren die vielfältigen Anregungen im Hinblick auf selbstständiges Lernen, Persönlichkeitsentwicklung und eine wertschätzende Schulkultur, die Vertrauen und gegenseitigen Respekt in den Mittelpunkt stellt.
In allen besuchten Einrichtungen begegnete mir eine ausgeprägte Willkommenskultur, die mich überall herzlich aufnahm. Diese offene und respektvolle Haltung schuf eine Atmosphäre echter Begegnung, in der Austausch und Lernen auf Augenhöhe möglich waren. Sie verdeutlicht, wie Bildungsgemeinschaft über kulturelle Grenzen hinweg gelingen kann.
Insgesamt hat die Hospitation eindrucksvoll gezeigt, dass Schule weit mehr ist als ein Ort der Wissensvermittlung: Sie ist ein Raum des Miteinanders, der Kreativität und der persönlichen Entfaltung. Internationale Perspektiven eröffnen dabei wertvolle Gelegenheiten, die eigene pädagogische Praxis kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Langfristig könnten aus diesen ersten Kontakten Kooperationen zwischen dem ZLSB und der Christian Timothy School ergeben. Denkbar sind Austausch- und Hospitationsprogramme, die Lehramtsstudierenden wie Lehrkräften neue Einblicke ermöglichen. Solche Partnerschaften fördern nicht nur interkulturelle Kompetenzen, sondern liefern zugleich frische Impulse für Unterrichtsgestaltung, Schulentwicklung und Lehrerbildung – im Sinne einer lebendigen, internationalen Bildungskooperation.