Nov 13, 2024
Lehrkräfteausbildung im hohen Norden
Finnland, im World Happiness Report 2024 auf dem ersten Platz, immer wieder vordere Platzierungen in der Pisa-Studie, ein Lehrerbildungssystem, welches von Anfang an Theorie und Praxis verzahnt, ein Schulsystem, das auf langes gemeinsames Lernen setzt und den Anspruch hat, Mehrsprachigkeit zu leben. Welche Inhalte sich hinter diesen Slogans verbergen und wie die Protagonist:innen der finnischen Lehrkräfteausbildung diese beschreiben und leben, wollten wir in unserem Erasmus+ staff mobility Aufenthalt in Vasa und Turku im Oktober 2024 erfahren.
Die gastgebende Åbo-Akademi ist eine schwedischsprachige Universität an der Westküste Finnlands und gibt schwedischsprachigen Finninnen und Finnen, die fünf Prozent der finnischen Bevölkerung stellen, die Möglichkeit, in ihrer Erstsprache zu studieren. In den zwei Standorten in Vasa und Turku werden unter anderem Lehrkräfte als Klassenlehrer:innen (für 1. - 6. Klasse) und Fachlehrer:innen (ab 7. Klasse) ausgebildet. Beiden Universitätsstandorten sind Ausbildungsschulen zugeordnet, in denen die dort tätigen Lehrkräfte sowohl alltäglichen Lehrer:innenaufgaben nachgehen als auch in Zusammenarbeit mit den Universitätsdozent:innen stetig mit Studierenden arbeiten, die Schritt für Schritt – häufig im Team-Teaching – Unterricht übernehmen.
In Begleitung unserer Gastgeberin Marina Bendtsen, University Lecturer der Faculty of Education and Welfare Studies, konnten wir im Unterricht zweier Studierender an der Vasa Övningsskola hospitieren und die Schule kennenlernen. Nach dem Prinzip des integrierenden Lernens von Inhalt und Sprache war dieser Naturkundeunterricht der kombinierten 5./6.Klasse englischsprachig. Die Kinder sprachen ihre Lehrerin, gleichzeitig Ausbildungslehrerin der unterrichtenden Studierenden, in Finnisch, Schwedisch oder Englisch an, sie antwortete in der entsprechenden Sprache.
Am nächsten Tag konnten wir im Deutschunterricht an der weiterführenden Schule der Vasa Övningsskola hospitieren, der wieder mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Schwedisch) gestaltet war, was mit den verschiedenen zur Verfügung stehenden Abschlüssen zusammenhängt. Im Gespräch mit der stellvertretenden Schulleiterin Diane-Christine Blusi erfuhren wir noch mehr über die Geheimnisse der Lehrkräfteausbildung, dem finnischen Schulsystem im Allgemeinen und vor allem über das well-being, das als Ziel sowohl für die Schüler:innen als auch für die Lehrkräfte gilt. Prägnant formulierte sie vielleicht ein Element des Erfolges: „Der Staat vertraut den Lehrkräften, die Lehrkräfte vertrauen den Schüler:innen.“ Was ebenfalls zum Wohlfühlen an finnischen Schulen einlädt, sind neben einer Schuleinrichtung wie flexiblen Möbeln in den Klassenräumen, liebevoll gestalteten Fluren und dort angesiedelten Stillarbeitsbereichen samt Sofas auch ein Schulessen, das für alle kostenlos ist, von uns getestet und für lecker befunden wurde.
Im größeren Universitätsstandort Turku begleiteten wir Hanna Acke, University Lecturer an der Faculty of Arts, Psychology and Theology, Languages and Minority Research, in ihren Lehrveranstaltungen zu deutscher Sprache und Literatur für zukünftige Deutschlehrer:innen und waren anschließend zu Gast im Deutschunterricht bei Maren Patzelt, Doktorandin an der finnischsprachigen University of Turku.
An der Ausbildungsschule des Standorts Turku in Pargas, der Sarlinska Skorlan, hatten wir schließlich die Möglichkeit, neben Physik, Mathematik und Englisch auch an einer Unterrichtsstunde in „Hälsokompetens“, also Gesundheitsbildung, teilzunehmen. Dieser Unterricht findet ab Klasse 9 verpflichtend statt und umfasst Inhalte wie Wissen über physische und psychische Gesundheit, Lebensstil, Umgang mit Stress und Lebenskrisen oder sexuelle Gesundheit. Somit bietet dieser obligatorische Unterricht also eine Grundlage dafür, das persönliche Glück zu beeinflussen.