Arne Katzmann
Standsicherheit einer tiefen Baugrube - Einfluss der Stoffgesetze auf FEM-Berechnungen
Einleitung
Im Rahmen der in der Bundesrepublik neu eingeführten, auf dem neuen Sicherheitskonzept basierenden DIN 1054, als untergeordnete Norm des in Europa gültigen Regelwerkes Eurocode 7, ist nachzuweisen, dass die Grenzzustände der Tragfähigkeit (GZ1) und der Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZ2) mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind.
Auf Grund dieser Forderung, besonders des GZ2 erfolgen der Entwurf und die Nachweisführung bei geotechnischen Projekten zunehmend mit Hilfe von numerischen Methoden (FEM). Der Einsatz der FEM und damit der Einsatz von physikalisch-mathematischen Modellen setzt jedoch ein komplexes Wissen in vielen Bereichen der Bodenmechanik, der Kontinuumsmechanik und der numerischen Mathematik voraus.
Am 20. April 2004 kam es in Singapur zu einem tragischen Versagensfall an einem Baugrubenverbau in unmittelbarer Nähe des „NICOLL HIGHWAYS“. Als Hauptursache für das Versagen wurde durch einen Untersuchungsausschuss die nicht fachgerechte Anwendung eines Stoffgesetzes bei der numerischen Nachweisführung der Baugrube herausgestellt. Ausgehend von der beschriebenen Problematik wurden anhand des Randwertproblems „Baugrube NICOLL HIGHWAY“ entsprechende Vergleichsrechnungen mit dem damals verwendeten Stoffgesetz sowie mit weiter fortgeschrittenen Stoffgesetzen durchgeführt, um die Unterschiede im berechneten Sicherheitsniveau darzustellen. Es wurde die Qualität der eingesetzten Stoffgesetze an ausgewählten Punkten im Boden anhand von Spannungspfaden und Arbeitsdiagrammen demonstriert.
Vergleichsrechnung
Zur Betrachtung des Sicherheitsniveaus wurden numerische Vergleichsrechnungen an Hand des Randwertproblems „Baugrube NICOLL HIGHWAY“ (Abb.1) mit unterschiedlichen Stoffmodellen durchgeführt.
Namentlich sind dies das ideal-plastische Mohr-Coulomb Model sowie das elasto-plastische Hardening-Soil Model und Soft-Soil Model. Für die Gegenüberstellung und Diskussion der Ergebnisse bei dräniertem und undräniertem Bodenverhalten wurden in der Berechnung drei Beobachtungspunkte im Boden ausgewählt, welche im Anschluss ausgewertet wurden. Auszüge dieser Auswertung sind in Abb. 2 und Abb. 3 dargestellt.
Gegenüberstellung des Sicherheitsniveaus
Durch die Vergleichsrechnung konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse bei dräniertem Bodenverhalten für alle eingesetzten Stoffgesetze ein vergleichbares Sicherheitsniveau aufweisen (Abb. 2). Der unterschiedliche Verlauf des Spannungspfades für das Hardening-Soil Model lässt sich durch die geänderte Lage der Scherzone bei diesem Stoffgesetz erklären. Dennoch ist deutlich ein Spannungs-abfall nach der Ausbildung der Scherzone zu erkennen. Im Gegensatz dazu kommt es durch den Einsatz des Mohr-Coulomb Model unter undränierten Bedingungen zu einer Fehleinschätzung des Bodenverhaltens und folge dessen zu einer Überschätzung des vorhandenen Sicherheitsniveaus.
Da das Mohr-Coulomb Model bis zur Bruchgrenze mittels linear-isotroper Elastizität formuliert ist, besteht das Problem, dass eine Änderung unter Scherbeanspruchung zwar Scherdehnungen erzeugen, diese jedoch keinen Einfluss auf die volumetrischen Dehnungen haben. Dies liegt an der Entkopplung von Scherdehnungen und volumetrischen Dehnungen in der isotropen Elastizität. Auf Grund dieser Tatsache muss die mittlere effektive Spannung einem konstanten Lastpfad im Spannungspfaddiagramm (Abb. 3) folgen.
Die Folge ist die Überschätzung der im Boden wirkenden effektiven Spannungen. Das Versagen des Bodens tritt bei einer Scherspannung auf, welche die wirklichen undränierten Spannungen überschätzt.
Der zuvor beschriebene Effekt tritt bei der Nutzung eines höherwertigen Stoffgesetzes nicht auf, sofern dieses mittels elasto-plastischen Materialverhaltens formuliert wurde.
Beide Stoffgesetze, sowohl das Hardening-Soil Model wie auch das Soft-Soil Model weisen diese Eigenschaft auf. In Abb. 3 ist deutlich die Abnahme der mittleren effektiven Spannungen und damit die Reduzierung der Schubspannung während der Belastungsphasen zu erkennen. Dies zeigt, dass beide Stoffgesetze in der Lage sind das wirkliche Bodenverhalten unter undränierten Bedingungen realitätsnäher abzubilden, als dies mit dem Mohr-Coulomb-Model möglich ist.
Parameterstudie
Im ersten Teil wurde der Einfluss der Stoffgesetze auf das Sicherheitsniveau der Berechnungen betrachtet. Abschließend wurde überprüft, welchen Einfluss streuende Bodenparameter auf das Sicherheitsniveau einer Berechnung haben können.
Es zeigte sich, dass ein Boden bei Unterschätzung seiner Steifigkeit in natura jedoch zu einem spröden Versagen neigt und damit das Sicherheitsniveau erheblich verändern kann. Das damit verbundene Problem liegt in dem spontanen Versagen des Bodens.
Anders bei einer Fehleinschätzung des Reibungswinkels im Boden. Hier zeigt sich der erwartete Einfluss auf die maximale Bruchspannung. Wie bei der falschen Einschätzung der Steifigkeit kann es bei der Fehleinschätzung des Reibungswinkel auch zu einer Herabsetzung des Sicherheitsniveaus kommen, jedoch kündigt sich dieses in natura durch wesentliche Bodenverformungen an und geschieht nicht spontan.
Ergebnis
Mit der durchgeführten Untersuchung ist der starke Einfluss der richtigen Wahl eines Stoffgesetzes herausgestellt worden.
Es konnte gezeigt werden, dass das Arbeiten mit Stoffgesetzen hohe Ansprüche an die Kenntnisse in der theoretischen Bodenmechanik, der Kontinuumsmechanik und der numerischen Mathematik stellt. Es zeigte sich, dass das Vertrauen auf die richtige Erfassung des Materialverhaltens, selbst bei vertrauenswürdigen Stoffgesetzbezeichnungen, wie die des Mohr-Coulomb Model, unbegründet ist.
Weiter konnte gezeigt werden, dass die Bodenparameter ebenfalls einen Einfluss auf das Sicherheitsniveau haben, so dass eine richtige Bestimmung der Bodenparameter notwendig ist, um die naturgemäßen Streuungen der Parameter im Boden zu erfassen.
Es wurde deutlich, dass es durch eine unsachgemäße Anwendung zu einer Überschätzung des vorhandenen Sicherheitsniveaus kommen kann und dies dramatische Folgen, wie in Singapur geschehen, haben kann.
Bearbeitungszeitraum:
09/2006 - 12/2006
Wissenschaftliche Betreuer:
Head of Institute of Geotechnical Engineering
NameUniv.-Prof. Dr.-Ing. habil. Ivo Herle
Head of Chair of Soil Mechanics and Foundation Engineering
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Chair of Soil Mechanics and Foundation Engineering
Visiting address:
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Dr. M. Arnold, Technische Universität Dresden