Brückenbauexkursion 2024 – Großbritannien
Inhaltsverzeichnis
Überblick der 2024er Exkursion
Die Brückenbauexkursion ist seit 2007 ein integraler Bestandteil des Lehrprogramms am Institut für Massivbau der TU Dresden. Sie wird jedes Jahr im Sommer, nach Abschluss der Prüfungsphase, mit Studierenden des 8. Semesters des Diplomstudiengangs Bauingenieurwesen durchgeführt. Das übergeordnete Ziel der Exkursion ist die praxisnahe Vertiefung und Erweiterung der im Rahmen der Lehrveranstaltungen zum Stahl- und Massivbrückenbau erworbenen theoretischen Grundkenntnisse. Gleichzeitig bieten die Exkursionen den Studierenden wertvolle Einblicke in die internationale Brückenbaukultur.
Die diesjährige Exkursion führte 19 Studierende unter der Leitung von Prof. Steffen Marx und drei wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen zu ausgewählten Ingenieurbauwerken in Nordengland, Schottland und Wales. Der Exkursion ging eine knapp sechsmonatige Planungsphase voraus, in der die Studierenden die Organisation der Route, der Unterkünfte und der Mobilität sowie die Akquise von Spendengeldern übernahmen. Durch die eigenständige Planung erfolgte bereits im Vorfeld der Exkursion eine intensive Auseinandersetzung mit dem Reiseziel und den zu besuchenden Bauwerken. Zudem stärkte die gemeinsame Vorbereitung das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt der Gruppe.
Im August 2024 machte sich die 23-köpfige Exkursionsgruppe schließlich auf den Weg nach Manchester, den Start- und Endpunkte der Exkursion durch Großbritannien. Anders als in den Jahren zuvor erfolgte die An- und Abreise für den Großteil der Gruppe mit dem Flugzeug. Lediglich zwei Studierende nahmen den beschwerlichen Weg von Dresden nach Manchester und wieder zurück mit einem Kleinbus auf sich, um das Gepäck, die Campingausrüstung sowie einen Grundstock an Verpflegung zu transportieren. Vor Ort legten wir die rund 2500 km lange Strecke von Manchester über Newcastle upon Tyne, Edinburgh und Inverness bis in die schottischen Highlands sowie zurück über Glasgow und Liverpool mit drei Kleinbussen zurück (Bild 1). Auf dem Weg besichtigte die Exkursionsgruppe insgesamt 22 Brückenbauwerke, darunter die Brücken über den Firth of Forth, historische Stahlbrücken Thomas Telfords und Robert Stephensons sowie weitgespannte Spannbetonbrücken in den schottischen Highlands. Ergänzt wurde das Programm durch drei Baustellenbesichtigungen. Ausgewählte Highlights der Exkursion werden nachfolgend vorgestellt.
Brücken in Großbritannien
Ingenieurbaukunst an der Meerenge von Menai

Bild1: Übersicht der Exkursionsroute mit ausgewählten Bauwerken
Die Exkursion begann mit der Besichtigung zweier Meisterwerke der Ingenieurbaukunst, der Menai-Hängebrücke und der Britanniabrücke. Beide Brücken überspannen die Menaistraße, eine schmale Meerenge zwischen dem walisischen Festland und der Insel Anglesey.
Als Ende des 18. Jahrhunderts eine feste Querung der Meerenge zur Verbindung der englischen Hauptstadt London mit der walisischen Hafenstadt Holyhead auf Anglesey erforderlich wurde, entwickelte der Ingenieur Tomas Telford einen visionären Brückenentwurf. Dieser sah eine Hängebrücke mit einer Kettenkonstruktion aus schmiedeeisernen Augenstäben zur Überspannung der Meerenge vor (Bild 2). Der Bau der Brücke begann im Jahr 1820 und wurde nach einer Bauzeit von nur sechs Jahren abgeschlossen. Mit einer Hauptspannweite von 177 m war die Menai-Hängebrücke die längste Brücke ihrer Zeit und wurde bei ihrer Einweihung im Jahr 1826 als technisches Meisterwerk gefeiert [1]. Im Laufe der Zeit führten starke Stürme und das über die Zeit zunehmende Verkehrsaufkommen zu Schäden an der Brücke. Um ihre Stabilität und Tragfähigkeit zu gewährleisten, wurden zahlreiche Anpassungen an Telfords ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Diese umfassten die Verstärkung der Kettenstruktur, den Austausch der ursprünglichen schmiedeeisernen Ketten durch Stahlketten sowie verschiedene Erneuerungen des Brückendecks [2]. Trotz dieser Eingriffe bleibt die Menai-Hängebrücke ein ikonisches Bauwerk und ein Zeugnis für Telfords Pioniergeist.

Bild 2: Thomas Telfords Meisterwerk – die Menai-Hängebrücke
Knapp zwei Jahrzehnte nach der Fertigstellung der Menai-Hängebrücke stellte sich Robert Stephenson der Herausforderung, eine zweigleisige Eisenbahnbrücke über die Meerenge zu bauen. Als Standort wählt er eine Stelle ca. 1,6 km südlich der Menai-Hängebrücke, wo ein kleiner Felsen im Wasser als Fundament für eine Zwischenauflagerung dienen konnte. Da hängende Konstruktionen für diesen Anwendungsfall als zu weich galten und Bogenkonstruktionen durch die Forderung der Admiralität nach Freihaltung des gesamten Lichtraumprofils ausschieden, entstand die innovative Idee, zwei Hohlkastenträger aus Schmiedeeisen zu errichten [3]. Zunächst bestanden Bedenken an der Tragfähigkeit dieser neuartigen Konstruktion. Diese Zweifel konnten jedoch durch einen Großversuch im Maßstab 6:1 ausgeräumt werden [4]. Die Brücke wurde zwischen 1846 und 1850 errichtet und besitzt eine Spannweitenkonfiguration von 70 + 140 + 140 + 70 m. Die Brücke war bis 1970 unter Verkehr, bis die Hohlkastenträger durch einen Brand nahezu vollständig zerstört wurden. In der Folge wurde der Überbau rückgebaut und durch eine Stahlfachwerkbogenkonstruktion für eine kombinierte Eisenbahn- und Autonutzung ersetzt [5]. Heute benötigt der Betrachter viel Fantasie, um den innovativen Entwurf Stephensons in der neuen Brücke wiederzuerkennen (Bild 3).
Brücke der Superlative

Bild 3: Nicht mehr die Alte - die Britanniabrücke
Als eine der längsten Hängebrücken der Welt überspannt die Humber-Brücke den gleichnamigen Ästuar Humber. Die Brücke dient für Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Fußgänger als Verbindung zwischen den Städten Hessle und Barton-upon-Humber. Vor ihrer Eröffnung 1981 betrug die Fahrstrecke zwischen den beiden Orten rund 80 km. Nach ihrer Fertigstellung war sie für 17 Jahre die längste Hängebrücke der Welt. Die Pylonen der Brücke bestehen jeweils aus zwei 155,5 m hohen Stahlbetonpfeilern mit quadratischen Hohlprofilquerschnitt. Die Pfeiler verjüngen sich von der Gründung bis zur Spitze von 6 m auf 4,5 m Seitenlänge und sind mit vier Querriegeln verbunden (Bild 4). Die Brücke war zur damaligen Zeit die erste Hängebrücke in dieser Größenordnung, bei der Stahlbeton anstelle von Stahl für die Pfeiler genutzt wurde. Eine Besonderheit bei einer Brücke ist, dass die Spitzen der jeweils senkrecht auf der Erdoberfläche gegründeten Pylonen

Bild 4: Die weit-gespannte Humber-Brücke
aufgrund der Erdkrümmung 36 mm verschoben zueinander sind. Die Tragseile der Brücke haben einen Durchmesser von 68 cm und bestehen aus 14948 einzelnen, 5 mm dicken Drähten. Die Trägerseile haben jeweils ein Gewicht von 19400 t. Das an den Hängern befestigte Brückendeck besteht aus 124 einzelnen Segmenten. Die Stahlkastenprofile haben eine Höhe von 4,5 m und eine Breite von 22 m. Sie sind wie ein umgedrehter Flugzeugflügel geformt, um bei hohen Windkräften eine stabilisierende Wirkung zu erzielen [6].
Newcastles Brückenlandschaft

Bild 5: Newcastles Brückenlandschaft mit der Tyne-Brücke im Vordergrund
Die Stadt Newcastle upon Tyne im Nordosten Englands bot für die Exkursionsgruppe einen eindrucksvollen Zwischenstopp. Zur Verbindung der Städte Newcastle, am Nordufer, und Gateshead, am Südufer des Tyne, wurden bereits vor Jahrtausenden Brücken gebaut und auch heute noch lassen sich in kurzer Distanz viele unterschiedliche Bauwerke bestaunen. Aufgrund der militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Region, wird davon ausgegangen, dass die erste Brücke über den Fluss Tyne bereits im Jahr 122 n. Chr. erbaut wurde [7]. Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Holz- und später auch Steinbogenbrücken errichtet, welche jedoch die zunehmend größer werdenden Schiffe behinderten. Heute steht an dieser Stelle eine Bogenbrücke aus Stahl mit abgehängter Fahrbahn, welche 1928 eröffnet wurde und eine vierspurige Straße überführt (Bild 5). Mit einer Stützweite von 162 m und einer lichten Höhe von 26 m können Schiffe den Fluss unterhalb der Tyne-Brücke problemlos passieren.

Bild 6: Kippbar – die Gateshead Millenium Brücke
Nur wenige Meter flussabwärts befinden sich viele weitere Brückenbauwerke. Auf die Tyne-Brücke folgt eine drehbare Brücke mit einer Stützweite von 85,5 m, die bereits 1876 in Betrieb genommen wurde [8]. Ein weiteres Brückenhighlight in Newcastle ist die Gateshead Millenium Brücke, welche sich am Ende der Brückenreihe befindet. Sie besteht aus einen bogenförmigen Fußgängerdeck, das durch einen zusätzlichen Bogen mit Seilen stabilisiert wird (Bild 6). An den Entwurf wurden sehr konkrete Anforderungen gestellt. So wurde beispielsweise eine Durchfahrtshöhe von mindestens 25 m gefordert, während an den Kais, welche den Fluss auf einer Höhe von 4 bis 5 m säumen, keine baulichen Maßnahmen vorgenommen werden sollten. Außerdem musste eine Spannweite von 126 m überbrückt werden [9]. Die Brücke zeichnet sich dadurch aus, dass sie die weltweit erste Brücke ist, die sich um ihre Längsachse kippen lässt und somit die Durchfahrt von Schiffen sowie die fast ebenerdige Überquerung des Tyne ermöglicht. Die 900 t Gesamtgewicht werden durch acht Elektromotoren in nur 4,5 min um 40°gekippt. Das Bauwerk wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet [10].
Firth of Forth: eine Chronologie des Brückenbau
Von Newcastle fuhren wir über Edinburgh zur Meeresbucht Firth of Forth, die nicht nur für ihre landschaftliche Schönheit, sondern auch für ihre herausragenden Brückenbauwerke bekannt ist. An keinem anderen Ort der Welt kann die geschichtliche Entwicklung des modernen Großbrückenbaus von der industriellen Revolution bis zur Gegenwart so eindrücklich nachvollzogen werden wie in Queensferry, wo innerhalb von 2 km drei Brücken aus drei verschiedenen Jahrhunderten den Firth of Forth überspannen.

Bild 7: Eine Ikone des Brückenbaus – die Forth Brücke
Die Forth Brücke ist die älteste Brücke des Trios und wurde von 1883 bis 1890 gebaut. Ihre Entwerfer John Fowler and Benjamin Baker hatten nach dem Einsturz der Tay-Brücke im Jahr 1879 die anspruchsvolle Aufgabe, eine Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth zu bauen, die das Vertrauen der Menschen in den Brückenbau wiederherstellt [11]. Als Resultat entstand eine der berühmtesten Stahlbrücken der Welt (Bild 7). Die 2,5 km lange, als Auslegerbrücke mit Gerberträgern konzipierte Tragwerk besteht im Strombereich aus drei Waagebalken, die über 105 m lange Einhängeträger gekoppelt sind. Die resultierenden Spannweiten der Mittelöffnungen betragen 521 m [12]. Zur Betonung des Kraftflusses wurden die druckbeanspruchten, Bauteile als röhrenförmige Hohlprofile und die zugbeanspruchten Bauteile als aufgelöste Strebenfachwerke ausgebildet. In den Vorlandbereichen gehen die Ausleger der Strombrücke in Viadukte aus parallelgurtigen Fachwerksträgern über. Nach ihrer Fertigstellung war die Forth Brücke die weitgespannteste Brücke der Welt. Erst 1917 wurde sie von der baugleichen Quebec Brücke in Kanada mit einer Spannweite von 549 m übertroffen [13].

Bild 8: Jahrhundertbrücken– die Forth-Straßenbrücke (vorne) und Queenferry Crossing (hinten)
Mit dem Aufkommen des Autos als wichtiges Transportmittel für Personen und Güter wurde in den 1920er Jahren der Bau einer zweiten Querung über den Firth of Forth forciert. Nach Jahrzehnten der Vorbereitung begannen im Jahr 1958 die Bauarbeiten für die Forth-Straßenbrücke, die nach acht Jahren Bauzeit fertiggestellt wurde. Die 1964 eröffnete Hängebrücke besitzt eine Hauptspannweite von 1.006 m und zwei 408 m lange Nebenspannweiten. Die Hauptkabel haben einen Durchmesser von 600 mm und bestehen aus 11.618 verzinkten Drähten [14]. Die Brücke wurde nach dem Vorbild amerikanischer Hängebrücke aus dieser Zeit mit einem 8,4 m hohen und 23,8 m breiten stählernen Versteifungsträger gebaut, wobei dieser deutlich leichter und ressourceneffizienter als bei vergleichbaren Bauwerken in den USA ausgebildet wurde. Im Vergleich zur 1964 fertiggestellten Verrazano Narrows Hängebrücke, die eine Hauptspannweite von 1298 m besitzt, konnte durch die Weiterentwicklung der transatlantischen Bauweise 75% des Eigengewichtes eingespart werden. Damit war sie die erste europäische Hängebrücke, die den amerikanischen Fortschritt einholte und neue Maßstäbe im Großbrückenbau setzte [15].
Seit der Eröffnung der Forth-Straßenbrücke hat sich das jährliche Verkehrsaufkommen erheblich erhöht, von vier Millionen Fahrzeugen im Jahr 1964 auf über 24 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2009 [16]. Daher entschieden sich die zuständigen Behörden für den Bau einer weiteren Brücke über den Firth of Forth (Bild 8). Die im Jahr 2017 eröffnete Queenferry Crossing erstreckt sich über 2,7 km und ist eine dreihüftige Schrägkabelbrücke mit zwei Hauptspannweiten von 650 m, wobei die Stabilität des mittleren Pylon durch sich überlappende Schrägkabelebenen sichergestellt wird [17]. Der Überbau ist eine Stahl-Beton-Verbundkonstruktion. Die Brücke wurde unter Berücksichtigung der extremen Witterungsbedingungen des Firth of Forth für eine Lebensdauer von 120 Jahren konzipiert. Zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit wurden zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, z. B. die Verwendung von Hochleistungsbetonen für die Fahrbahnplatte, der Einsatz von Edelstahlbewehrung in den Spritzwasserzonen und die Installation eines Entfeuchtungssystems, das Korrosion innerhalb des geschlossenen Stahlverbundüberbaus sowie an den Kabelverankerungen verhindert [18]. Zusätzlich wurde an der Brücke ein umfangreiches Monitoringsystem installiert, welches der schottischen Straßenbauverwaltung kontinuierlich Zustandsinformationen bereitstellt. Das System umfasst über 2.000 Sensoren zur Messung von Verformungen, Vibrationen, Korrosion, Temperatur sowie Wind- und Verkehrslasten [19].
Massive Brücken in imposanter Landschaft

Bild 9: Perfekt auf die Umgebung abgestimmt – die Kylesku-Brücke
Die imposante Landschaft in den schottischen Highlands bietet Platz für eindrucksvolle Bauwerke, die sich mit Farbe und Form in ihre Umgebung einfügen. Ein Beispiel hierfür ist die Kylesku-Brücke (Bild 9). Sie überführt mit einer Länge von 277 m eine zweispurige Straße über einen Meeresarm des Loch á Chàirn Bhàin. Um die Brücke harmonisch in ihre Umgebung einzufügen, wurde die Brücke in einer leichten Kurve geführt [20]. Der Überbau besteht aus einem Spannbetonhohlkasten. Die Pfeiler besitzen eine V-Form und sind monolithisch mit dem Überbau verbunden. Die Brücke ersetzte mit ihrer Eröffnung im Jahr 1984 eine seit Beginn des 19. Jahrhunderts existierende Fährverbindung. Aufgrund ihrer Architektur, technischen Innovation sowie regionalen Bedeutung steht die Kylesku-Brücke seit 2019 unter Denkmalschutz [21].

Bild 10: Ein Highlight für alle Harry-Potter-Fans - das Glenfinnan-Viadukt
Obwohl alle zuvor genannten Brücken herausragend sind, ist wohl keine so bekannt wie das Glenfinnan-Viadukt in der Nähe von Fort William. Berühmt durch seine Auftritte in mehreren Harry-Potter-Filmen ist es ein Besuchermagnet. Vor allem bei der Überfahrt des historischen Dampfzuges „The Jacobite“ tummeln sich viele Interessierte auf den Aussichtspunkten rund um die Brücke. Das Viadukt wurde 1897 erbaut und gehört damit zu den ersten Bauwerken aus Stampfbeton. Heute zählt die Brücke zu den größten, noch erhaltenen Bauwerken dieser Bauweise. Sie hat eine Gesamtlänge von 380 m und besteht aus 21 aneinandergereihten Bögen mit Stützweiten bis zu 15 m [22].
Brücken im Bau
Baustellenbesichtigungen sind ein fester Bestandteil der Brückenbauexkursionen. Sie verdeutlichen den Studierenden die praktischen Herausforderungen, die mit der Umsetzung von Bauvorhaben verbunden sind. Auf der Exkursion hatten wir die Möglichkeit Einblick in drei verschiedene Bauvorhaben zu erhalten: den Neubau der neuen Wear Brücke in Sunderland, die Instandsetzung der Erskine Brücke bei Glasgow und die Generalüberholung der 1831 eröffneten Whorlton Hängebrücke im Nordosten Englands.

Bild 11: Neue Brücke über den Fluss Wear
Der Neubau der Wear Brücke in Sunderland ist ein Beispiel für eine anspruchsvolle Großbaumaßnahme in innerstädtischer, bereits stark verdichteter Lage. Die 250 m lange und 30 m hohe Fußgängerbrücke in Stahlverbundbauweise soll zukünftig ein neues Stadtviertel und das Fußballstadion des Sunderland AFC mit dem Stadtzentrum verbinden und die bestehende Brückeninfrastruktur entlasten [23]. Ziel des Brückenentwurfes war es, die Eingriffe in das Flussökosystem so gering wie möglich zu halten, wozu aufwendige Gründungsmaßnahmen am Flussufer erforderlich waren. Der stählerne Brückenhohlkasten wurde in Belgien gefertigt, auf Pontons über die Nordsee und den Fluss Wear zur Baustelle transportiert und mit einem 1.350-Tonnen-Kran auf die Pfeiler gehoben (Bild 11) [24]. Vorausgegangen waren aufwendige Planungsphasen und bauzeitliche Ertüchtigungsmaßnahmen, bei denen auch der Tidenhub der Wear von bis zu 4,5 m genau berücksichtigt werden musste. Das Team der Baufirma VolkerStevin empfing uns herzlich mit Sandwiches, Kuchen und Tee auf der Baustelle. Nachdem der Hunger gestillt war, wurde uns das Projekt vorgestellt und anschließend die Baustelle besichtigt.
Die Sanierung der Erskine Bridge bei Glasgow ist ein Sinnbild für die alternde Brückeninfrastruktur in Europa. Bei dieser Brücke handelt es sich um einen Patienten, der am schlagenden Herzen operiert wird. An der 1967 eröffneten stählernen Schrägseilbrücke werden derzeit unter Verkehr Ermüdungserscheinungen an der weit auskragenden Fahrbahnplatte des einzelligen Hohlkastens saniert, Querträger verstärkt und der Korrosionsschutz erneuert. Die mit diesen Arbeiten beauftragte Baufirma Spencer Group lud uns ein, die Baustelle zu besichtigen. Dazu teilte sie uns in kleine Gruppen zu je sechs Personen ein. Die Kleingruppen wurden über ein Hängegerüst an die Unterseite des Stahlhohlkastens geführt. Am Bauwerk und bei laufendem Verkehr wurde die Vorgehensweise der handnahen Bauwerksprüfung ausführlich erläutert, die Rissdetektion demonstriert und das Sanierungskonzept vorgestellt. Das Für und Wider der kleinteiligen, fast detektivischen Arbeit an dem 1,3 km langen und 58 Jahre alten Bauwerk beeindruckte und beschäftigte das Exkursionsteam nachhaltig für den Rest der Reise.

Bild 12: Brückenpuzzle – die Whorlton Hängebrücke
Ein weiteres Highlight war die Besichtigung der 1831 eröffneten Whorlton-Hängebrücke in Nordengland. Die 194 Jahre alte Brücke ist von der nationalen Denkmalbehörde „Historic England“ in die zweithöchste Denkmal-Kategorie eingestuft und soll deshalb Stück für Stück abgebaut, denkmalgerecht restauriert und wieder aufgebaut werden. Dazu wird jedes der 1.800 Einzelteile der Brücke nummeriert und kategorisiert. Für die Restaurierung der Brückenteile wurde in unmittelbarer Nähe des Tragwerks eine Feldfabrik errichtet, in der alle Brückenteile aufwendig restauriert werden [25; 26]. Mit dieser Maßnahme sollen Wege verkürzt und Kosten gespart werden. Zum Zeitpunkt unseres Besuches war die Bestandsaufnahme aller Bauteile einschließlich deren Schadensanalyse im zusammengebauten Zustand bereits abgeschlossen. Das Fazit des Bauleiters war typisch britisch trocken: „If you like jigsaws, then that's the perfect job for you“.
Weitere Aktivitäten

Bild 13: Blick auf die gotische Stadtsilhouette Edinburghs
Der fünfte Exkursionstag führte uns in die Hauptstadt Schottlands. Edinburgh mit seinen gotischen Bauwerken und den kopfsteingepflasterten Straßen der Altstadt wird oft als Anwärterin auf den Titel der schönsten Stadt Großbritanniens gehandelt. Dieser Einschätzung wollen und können wir uns als Gruppe uneingeschränkt anschließen. Am späten Mittag parkten wir unsere Bullis auf einem Campingplatz am Stadtrand und fuhren mit einem Doppeldeckerbus in die Stadt, typisch britisch! Ein Student aus der Gruppe organisierte eine lehrreiche Stadtführung, die uns zu allen Highlights der Stadt führte. Bei nicht typisch britischem Wetter, Sonnenschein und blauem Himmel, konnte die Gruppe wunderbare Fotos von der Altstadt, dem Castle Rock und der St. Giles’ Cathedral machen (Bild 13). Die Stadtführung endete auf dem Friedhof Greyfriars Kirkyard, auf dem sich J. K. Rowling für ihre Harry-Potter-Romane inspirieren ließ. Die Gruppe machte sich auf Erkundungstour und schnell waren die Namen Tom Riddle alias Lord Voldemort, McGonagall und Moody gefunden. Nach einer 12 km langen Tour durch die von Touristen überquellende Stadt freuten sich alle auf die Rückkehr zum Campingplatz.
Am siebten Tag stand eine Wanderung durch die schottischen Highlands auf dem Programm, bei der wir uns durch sumpfiges Gelände auf die Suche nach dem besten Blick auf den Wasserfall Eas a' Chual Aluinn machten, der mit 200 m Fallhöhe der höchste Wasserfall im Vereinigten Königreich ist. Schon nach kurzer Zeit versperrte ein Bach, der durch vorangegangene heftige Regenfälle im Westen Schottlands zu einem Fluss angeschwollen war, den Weg. Ein Teil der Gruppe krempelte die Hosen hoch und bezwang die Fluten. Der andere Teil der Gruppe machte einen großen Bogen um die Gefahrenstelle und besuchte einen weiteren, nicht weniger spektakulären Wasserfall. Nach jeweils zweistündigem Marsch durch morastiges Gelände wurden beide Gruppen mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Durchweichte Wanderschuhe und leichte Stürze im rutschigen Gelände waren danach vergessen. Nach diesem intensiven Erlebnis bei typisch windigem und regnerischem Wetter der britischen Inseln war der Teamgeist der Gruppe ausgezeichnet. Die nächsten Aufgaben konnten kommen!
Die Suche nach dem Ungeheuer von Loch Ness am nächsten Tag gestaltete sich schwieriger als erwartet. Nicht nur das trübe, graue und regnerische Wetter in den schottischen Highlands erschwerte die Sicht auf das nur 1,5 km breite „Loch“. Auch ein kräftiger Wind aus nordöstlicher Richtung sorgte für einen hohen Wellengang auf dem 37 km langen See. Unregelmäßigkeiten auf der Wasseroberfläche waren so kaum zu erkennen. Für eine mutige Gruppe war die Schlussfolgerung aus diesem Szenario einfach: Nur durch einen Sprung in die 11 Grad kalten Fluten bestand noch eine Chance, Nessi in dem bis zu 230 m tiefen See zu entdecken. Leider war auch dieser Versuch vergeblich, keine Spur des Ungeheuers in der Nähe der Badestelle. Die waghalsige Badeaktion der Dresdner Studierenden wurde jedoch zur absoluten Attraktion für die zahlreichen Touristen am Loch Ness und zu einem beliebten Fotomotiv an diesem Vormittag. War das die Geburtsstunde eines neuen Mythos?
Eine gute Gruppendynamik entsteht durch tolle gemeinsame Erlebnisse oder gemeinsame Interessen, wie beispielsweise Brücken, aber auch gutes Essen schweißt zusammen. Und gerade die gute Verpflegung war ein wesentlicher Eckpfeiler für das Gelingen der diesjährigen Brückenbauexkursion. Das Küchenteam scheute weder Mühe noch Wetter oder fehlende Küchengeräte. Es wurde immer frisch und viel für die hungrige Meute gekocht. So war es die Regel, dass die für das Abendessen geplanten Soßen nicht etwa aus der Packung oder aus dem Glas gekocht wurden. Mit Mut und Tatendrang wurde die Aufgabe angegangen, genügend Suppengrün, Gewürze und Zeit eingepackt und die Bouillon frisch zubereitet. Die Gruppe merkte schnell, dass ein bloßes Antreiben des Küchenteams nicht half, sondern nur das gemeinsame Anpacken zu einer sinnvollen Überbrückung der Kochzeit führte. Ebenso schnell lernte die Gruppe, dass eine Stirnlampe neben Teller, Schüssel und Essbesteck wichtig ist, um die zubereiteten Köstlichkeiten nach ausreichender Garzeit auch noch lange nach Sonnenuntergang auf dem Campinggeschirr erkennen zu können.
Die Exkursion in Zahlen
- 19 Studierende, Prof. Steffen Marx und drei wissenschaftliche Mitarbeiter:innen des Institutes für Massivbau
- 22 Brücken und 3 Brückenbaustellen
… und unvergessliche Erinnerungen!
Dank
Wir möchten und bei allen Unterstützern bedanken, die diese Reise ermöglicht und unvergesslich gemacht haben. Vielen Dank an ITG Ingenieur-, Tief- und Gleisbau GmbH (Stralsund), BPM Ingenieurgesellschaft mbH (Freiberg), MKP GmbH (Weimar), STRABAG AG (Köln), Schüßler-Plan GmbH (Düsseldorf), Adam Hörnig Baugesellschaft mbH & Co. KG (Aschaffenburg), Eisermann Ingenieure (Leipzig), BBV Systems GmbH (Bobenheim-Roxheim), CARBOCON GmbH (Dresden), Ingenieurkammer Sachsen (Dresden), Ingenieurbüro für Bau- und Tragwerksplanung Inh. Katrin Klausnitz-Gurk (Hohenbocka), Ingenieurbüro Schulze & Rank Ingenieurgesellschaft m.b.H. (Chemnitz), Hentschke Bau GmbH (Bautzen), Implenia Deutschland GmbH (Raunheim), Ingenieurgesellschaft KEMPA mbH (Ludwigshafen am Rhein), BUNG GmbH (Heidelberg), LEONHARD WEISS GmbH & Co. KG (Satteldorf), Planungsgruppe Brücken-, Ingenieur- und Tiefbau Partnerschaftsgesellschaft mbB (Kesselsdorf), Sächsische Bau GmbH (Dresden), Sika Deutschland CH AG & Co KG (Stuttgart), DYWIDAG-Systems International GmbH (Unterschleissheim), IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG (Weimar), Fakultät Bauingenieurwesen der TU Dresden.
Besonderer Dank gilt dem Freunde des Bauingenieurwesens der TU Dresden e. V., der ganz wesentlich bei der Vor- und Nachbereitung der Exkursion unterstützt hat.
Literatur
[1] Day, W. (2007) Telford's Menai and Conwy suspension bridges, Wales In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Civil Engineering 160, H. 5, S. 26–30.
DOI: 10.1680/cien.2007.160.5.26
[2] Day, W. T. (2012) Menai Suspension Bridge: a history of maintenance and repair In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Engineering History and Heritage 165, H. 1, S. 9–19. DOI: 10.1680/ehah.2012.165.1.9
[3] Ryall, M. J. (1999) Britannia Bridge: from concept to construction In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Civil Engineering 132, S. 132–143.
DOI: 10.1680/icien.1999.31738
[4] Addis, B. (2020) Models used during the design of the Conway and Britannia tubular bridges in: Addis, B. [Hrsg.] Physical Models: Their historical and current use in civil and building engineering design. Wiley, S. 187–203.
[5] Husband, H. C.; Husband, R. W. (1975) Reconstruction of the Britannia Bridge. Part 1: Design. Part 2: Construction In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers 58, H. 1,
S. 25–66. DOI: 10.1680/iicep.1975.3883
[6] Fisher, D. (1982) Design and construction of the Humber Bridge In: Physics Education 17, H. 5, S. 198–203. DOI: 10.1088/0031-9120/17/5/302
[7] Mackenzie, E. Public buildings: The Tyne Bridge [online]. https://www.british-history.ac.uk/no-series/newcastle-historical-account/pp204-215 [Zugriff am: 9. Jan. 2025].
[8] Historic England Swing Bridge over River Tyne [online]. https://historicengland.org.uk/listing/the-list/list-entry/1390930?section=official-list-entry [Zugriff am: 10. Jan. 2025].
[9] Curran, P. (2003) Gateshead Millennium Bridge, UK In: Structural Engineering International 13, H. 4, S. 214–216. DOI: 10.2749/101686603777964496
[10] Gateshead Council The Gateshead Millennium Bridge [online]. https://www.gateshead.gov.uk/article/4594/The-Gateshead-Millennium-Bridge
[Zugriff am: 10. Jan. 2025].
[11] Sooman, D.; Andrew, J. (2015) Forth Bridge: the restoration challenge. In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Bridge Engineering 168, H. 2, S. 150–162.
DOI: 10.1680/bren.14.00003
[12] Paxton, R. (2001) The Evolution of the Forth Bridge and Its Engineering Significance. in: Rogers, J. R.; Fredrich, A. J. [Hrsg.] Third National Congress on Civil Engineering History and Heritage. Houston, Texas, United States. Reston, VA: American Society of Civil Engineers, S. 50–58.
[13] Mehlhorn, G.; Curbach, M. (2014) Brückenbau auf dem Weg vom Altertum zum modernen Brückenbau. Aktuelle Entwicklungen in: Mehlhorn, G.; Curbach, M. [Hrsg.] Handbuch Brücken. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 1–165.
[14] Colford, B. R. (2008) Forth Road Bridge – maintenance and remedial works. In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Bridge Engineering 161, H. 3, S. 125–132. DOI: 10.1680/bren.2008.161.3.125
[15] Brown, D. J. (1993) Bridges - Three Thousand Years of Defying Nature. Reed International Books Limited.
[16] Jacobs U.K. Limited and Ove Arup & Partners International Limited (2009) Forth Replacement Crossing – DMRB Stage 3 Scheme Assessment Report - Part 2: Engineering, Traffic and Economic Assessment. https://www.transport.gov.scot/media/3715/frc_stage_3_scheme_assessment_report__part_2__v3_final.pdf
[Zugriff am: 7. Jan. 2025].
[17] Hussain, N.; Hornby, R.; Minto, B.; Carter, M.; Kite, S. (2019) Queensferry Crossing, UK: scheme, specimen and definition designs. In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Bridge Engineering 172, H. 2, S. 92–112. DOI: 10.1680/jbren.18.00013
[18] Riches, O.; Hill, C.; Baralos, P. (2019) Queensferry Crossing, UK: durability, maintenance, inspection and monitoring. In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Bridge Engineering 172, H. 2, S. 175–188. DOI: 10.1680/jbren.18.00020
[19] Cousins, D. P.; McAra, D.; Hill, C. (2022) Monitoring of the Queensferry Crossing, Scotland. In: Proceedings of the Institution of Civil Engineers - Bridge Engineering, S. 1–15. DOI: 10.1680/jbren.22.00018
[20] Nissen, J.; Falbe-Hansen, K.; Stears: H. S. (1985) The Design of Kylesku Bridge In: The Structural Engineer 63A, H. 3, S. 69–76.
[21] Hannan, M. (2019) Kylesku Bridge given A-list status and legal Gaelic renaming [online]. https://www.thenational.scot/news/17434139.kylesku-bridge-given-a-list-status-legal-gaelic-renaming/ [Zugriff am: 10. Jan. 2025].
[22] The National Trust for Scotland Glenfinnan Viaduct [online]. https://www.nts.org.uk/visit/places/glenfinnan-monument/highlights/viaduct [Zugriff am: 10. Jan. 2025].
[23] VolkerStevin New Wear Footbridge [online]. https://www.volkerstevin.co.uk/en/projects/new-wear-footbridge [Zugriff am: 17. Jan. 2025].
[24] Victor Buyck Steel Construction New Wear Footbridge LIFT 1 & 2 Install [online]. https://www.victorbuyck.be/en/blog/new-wear-footbridge-lift-1-2-install [Zugriff am: 17. Jan. 2025].
[25] VolkerLaser Whorlton Suspension Bridge [online]. https://www.volkerlaser.co.uk/en/projects/whorlton-suspension-bridge [Zugriff am: 17. Jan. 2025].
[26] Manning, J. (2024) Piece by piece rebuild of 193-year-old bridge [online]. https://www.bbc.com/news/articles/c4gz2x642klo [Zugriff am: 17. Jan. 2025].