04.11.2020
Die Soziologie einer Ampelschaltung – Auftakt des ersten Fakultätskolloquiums der Fakultät Verkehrswissenschaften und des cfaed
Viele Verkehrsteilnehmende kennen diese Situation: Es gibt da jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit diese eine Ampel, an der immer alle stehen und warten … und warten – während die Verkehrsteilnehmer:innen der anderen Richtungen gefühlt immer Grün haben. Von Frust bis Wut auf die Verkehrsplaner:innen reichen dann die Emotionen der Wartenden.
Mit solchen Situationen, der Interaktion von Mensch und Technologie beschäftigt sich die Mikro- und Technik-Soziologin Susann Wagenknecht vom Institut für Soziologie an der TU Dresden. Die Juniorprofessorin stellte bei der Online-Auftaktveranstaltung des ersten Fakultätskolloquiums der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ gemeinsam mit dem Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) am 3. November 2020 Auszüge aus ihrer Forschungsarbeit vor.
Erstes Fakultätskolloquium der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“
Unter dem Titel „Verkehrswissenschaften als interdisziplinäre Domäne: Projekte, Erkenntnisse, Perspektiven“ geben im Wintersemester 2020/21 Wissenschaftler:innen der TU Dresden, der ETH Zürich, vom IÖR Dresden, dem DLR/Institut Verkehrstechnik, dem Fraunhover IVI und von UNU-FLORES interdisziplinäre und unterhaltsame Einblicke in mit Verkehr und Mobilität zusammenhängende Forschungsfelder. Interessierte aus Forschung und Praxis sind herzlich zum Diskurs eingeladen.
In ihrem Vortrag zum Thema „Ungewisse Koordination – Algorithmen als Forminvestitionen im Straßenverkehr“ ging Susann Wagenknecht darauf ein, wie Ampelanlagen die Verkehrsteilnehmenden (im Idealfall) dazu bringen, ihre Koordinationsprobleme im Straßenverkehr geplant und planbar zu lösen – und nicht nach persönlichem Ermessen („Gutdünken“) zu handeln. „Ampelanlagen mit gut eingestellten Algorithmen ermöglichen als Forminvestitionen Koordination und Ordnung. Sie machen die Dinge handhabbar und über Raum und Zeit stabil“, so die Juniorprofessorin.
Ampel-Algorithmen im Spannungsfeld zwischen flexibel-gefällig und verständlich
Dabei kommt es jedoch nicht darauf an, dass die Ampel zur „Disko-Ampel“ wird, die überflexibel auf jede kleinste Veränderung der Verkehrsströme reagiert und ständig an- und ausgeht. „Zu viel Gefälligkeit und Flexibilität können gefährlich sein“, so Wagenknecht, „wenn nämlich ein für die Verkehrsteilnehmer:innen unverständlicher Algorithmus die Autorität der Ampel unterminiert.“ Deshalb müssten „(Ampel-)Algorithmen so geformt sein, dass sie Handeln erfolgreich koordinieren. Das ist kontinuierliche Anpassungs- und Wartungsarbeit“, fasst Susann Wagenknecht zusammen.
Ihre Forschungserkenntnisse am Beispiel der Ampel-Algorithmen lassen sich auf all jene Bereiche übertragen, in denen öffentliches Allgemeinwohl auf private Annehmlichkeit stößt, so z. B. bei Debatten um den Klimawandel, die Energiewende oder auch beim autonomen Fahren. „Der vermehrte Einsatz von Algorithmen wird den öffentlichen Raum massiv umgestalten. So wird beispielsweise das autonome Fahren den Status der aktuell noch sehr rigiden Verkehrsregeln enorm verändern“, prognostiziert Susann Wagenknecht. „Durch das autonome Fahren werden heutige Spielräume für menschliches Ermessen im Straßenverkehr radikal kleiner werden hin zu mehr Technisierung. Diese ist dann hochgradig sensibel, flexibel und dynamisch.“
Fakultätskolloquium lenkt Fokus auf Verkehrswissenschaften als interdisziplinäre Domäne
Organisiert wurde das Fakultätskolloquium von Prof. Regine Gerike, Professur für Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik, und Prof. Marc Timme, Professur für Netzwerk-Dynamik, cfaed und Institut für Theoretische Physik. „Die Verkehrswissenschaften sind eine interdisziplinäre Domäne. Die Gestaltung zukunftsfähiger Verkehrssysteme kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Disziplinen (Ingenieurwesen, Ökonomie, Sozialwissenschaften etc.) eng zusammenarbeiten. Das Kolloquium soll genau diesen interdisziplinären Diskurs befördern“, erklärt Regine Gerike die Intention der Vortragsreihe.
Das Fakultätskolloquium findet an acht Dienstagnachmittagen, jeweils 16:30 bis 18:00 Uhr statt – aufgrund der COVID-19-Pandemie vorerst als Online-Veranstaltungen.
Einen Überblick über das gesamte Programm des Fakultätskolloquiums finden Sie hier: https://tud.link/yshs