01.08.2019
Schwankungen verursachen verteilte Resonanzen in zukunftsfähigen Stromnetzen
Wissenschaftler des Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed) der TU Dresden haben gemeinsam mit Partnern von weiteren deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen am Beispiel von Stromnetzen untersucht, wie diese hochkomplexen dynamischen Systeme auf fluktuierende externe Einflüsse reagieren. Die Ergebnisse tragen zum Verständnis der Prozesse bei, die z.B. bei der wetterabhängigen und damit stark schwankenden Energieeinspeisung aus regenerativen Quellen in Stromnetze ablaufen. Sie sind jedoch auf weitere Arten von dynamischen Netzwerken übertragbar. Die Studie wurde am 31. Juli 2019 in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.
Unzählige Prozesse und Strukturen in unserer natürlichen und technischen Lebenswelt können als Netzwerke betrachtet werden. Im großen wie im kleinen Maßstab basieren sie auf der Idee, dass ähnliche Elemente auf komplizierte Weise untereinander verschaltet sind. Diese Verschaltungen sind im Normalfall redundant; zwischen zwei Knoten gibt es meist eine Vielzahl möglicher Verbindungswege. Die Dynamik oszillierender Netzwerke dominiert sowohl in natürlichen als auch in technologischen Systemen, einschließlich neuronaler und gentechnischer Regelkreise, Kommunikationsnetzen und Wechselstromnetzen. Ein ausfallsicheres Funktionieren ist für all diese Systeme unerlässlich und hängt davon ab, wie solche Netze dynamisch selbstorganisiert auf externe Signale reagieren. Zum Beispiel werden moderne Stromnetze dynamisch durch unvorhersagbare und teils zufällige Signale gesteuert, z.B. die schwankende Einspeisungsleistung aus erneuerbaren Energiequellen, Veränderungen im Verbraucherverhalten, Stromhandel oder den Ausfall von Infrastrukturen. Sie alle verursachen Schwankungen der Netzfrequenz auf eine nicht-triviale, verteilte Art und Weise.
Wie ein Netzwerk als Ganzes auf solche fluktuierenden Signale reagiert, ist bisher allerdings noch nicht vollständig verstanden. In der nun veröffentlichten Studie stellt das Forscherteam eine Theorie der dynamischen Reaktionsmuster in solchen Netzwerken vor und zeigt, wie verteilte Resonanzmuster in oszillierenden Netzwerken entstehen. Prof. Marc Timme, Inhaber des Lehrstuhls für Netzwerkdynamik am cfaed und Projektleiter, gibt Auskunft: „Die Netzwerkresonanzen sind topologiespezifisch, also abhängig vom genauen strukturellen Muster der Verbindungen im Netz. Sie entstehen bei mittleren Frequenzen der Eingangssignale und reichen von großflächigen, homogenen Reaktionen bei tiefen Frequenzen bis zu örtlich begrenzten Reaktionen bei hohen Frequenzen. Besonders interessant sind Netzwerkresonanzen, die bei mittleren Frequenzen auftreten.“ Die vorliegende Analyse zeigt, warum diese speziellen Muster entstehen und wo sie im Netzwerk am deutlichsten hervortreten. Die Ergebnisse können somit allgemeine theoretische Erkenntnisse darüber liefern, wie fluktuierende Signale Reaktionsmuster in vernetzten Systemen hervorrufen und gleichzeitig dazu beitragen, praktische Leitprinzipien für die Gestaltung und Steuerung von Netzwerken in der Praxis zu entwickeln. Xiaozhu Zhang, Erstautorin der Studie, betont den Nutzen der Ergebnisse für die Praxis: „Bezogen auf das Beispiel der Wechselstromnetze bedeutet das, dass sich nun besser vorhersagen lässt, welche Art von äußeren Störungen zu gefährlichen Reaktionen im Netz führen könnten, was im schlimmsten Fall in einem Stromausfall resultieren könnte. Mit diesem Wissen lassen sich Netze und deren Steuerung nun einfacher so gestalten, dass diese Gefahr verringert wird.“
Paper: „Fluctuation-induced Distributed Resonances in Oscillatory Networks”;
Autoren: Xiaozhu Zhang, Sarah Hallerberg, Moritz Matthiae, Dirk Witthaut, Marc Timme
Science Advances; VÖ 31. Juli 2019; Open Access
DOI: 10.1126/sciadv.aav1027
Link:https://advances.sciencemag.org/content/5/7/eaav1027
Beteiligte Institutionen:
- Professur für Netzwerkdynamik, Institut für Theoretische Physik + Center for Advancing Electronics Dresden (cfaed), TU Dresden;
- Fakultät für Ingenieurwesen und Informatik, Fachhochschule Hamburg;
- Institut für Energie- und Klimaforschung - Systemanalyse und Technologiebewertung (IEK-STE), Forschungszentrum Jülich
- Institut für Theoretische Physik, Universität Köln;
- Fachbereich Physik, Technische Universität Darmstadt
Pressegrafik: Hochauflösende Datei (Download): https://bit.ly/2yrIrk0
Bildunterschrift: Allgemeingültigkeit der Reaktionsmuster. Für zwei exemplarische Netzwerke werden die Reaktionsmuster für drei sinusförmige Signale niedriger, mittlerer und hoher Frequenzen, welche die drei Reaktionssysteme repräsentieren, durch ihre relativen Ansprechstärken (farbcodiert) angezeigt. Beide Reaktionsmuster, in einem zufälligen Baum (obere Reihe) und in der Topologie des britischen Hochspannungsnetzes (untere Reihe), werden entsprechend der grafisch-theoretischen Entfernung vom Standort der angetriebenen Einheit neu geordnet. Für beide Netzwerke wird die angetriebene Einheit in der Mitte platziert, wobei alle Einheiten auf Kreisen mit ihren Radien proportional zum topologischen Abstand (graue konzentrische Ringe in der unteren Reihe) dargestellt werden.
Pressekontakt: TU Dresden, Center for Advancing Electronics Dresden
Matthias Hahndorf
Leiter Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 (0)351 463 42847
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Prof. Marc Timme
Strategische Professur für Netzwerkdynamik
Tel.: +49 (0)351 463-43972
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