18.06.2017
Auf den Spuren der Reformation
Vom 15. bis 31. Mai 2017 fand im Rahmen der Aktivitäten des Zentrums für Mittelalter- und Renaissancestudien ein interdisziplinäres Seminar für US-amerikanische und deutsche Studierende mit dem Titel “Faces of Faith. Late Medieval and Reformation Germany“ statt.
Den Anstoß, ein derartiges interdisziplinäres und internationales Summer Seminar zu entwickeln, gab für Prof. Dr. Timothy Johnson (Flagler College, Florida) und PD Cristina Andenna (Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte – FOVOG der TUD) das Luther-Jahr 2017. Die Reformation und ihre Auswirkungen haben nicht nur die religiöse, politische und kulturelle Landschaft Europas maßgeblich beeinflusst, sondern prägen auch bis heute die USA und ihre Gesellschaft. Cristina Andenna und Timothy Johnson haben mit Unterstützung von Prof. Dr. Gert Melville und Sebastian Mickisch (Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien der TUD) und in Kooperation mit Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, TUD) sowie mit der Hilfe von Kolleg*innen aus verschiedenen Fakultäten der Technischen Universität Dresden und darüber hinaus eine Serie von Lectures mit breitem Themenspektrum organisiert.
PD Dr. Cristina Andenna gelang es, gemeinsam mit Prof. Dr. Gerd Schwerhoff das Summer Seminar im Lehrangebot des Institut für Geschichte zu verankern und dadurch für Teilnehmer*innen der TU-Dresden zu öffnen. Dieses innovative und internationale Lehrformat ermöglichte den Studierenden nicht nur Einblicke in die aktuelle europäische Forschungslandschaft zum Thema „Reformation“, sondern bot auch Anlass, die jeweils unterschiedlichen Lehr- und Lernkulturen kennenzulernen. Mit Hilfe der zahlreichen spannenden Beiträge aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der beteiligten Fachrichtungen konnten die Studierenden nach und nach ein Puzzle zusammensetzen, das der Komplexität der Reformation, ihrer Implikationen und Auswirkungen Rechnung trug. Dies zeigte sich unter anderem in den Diskussionen und dem regen Austausch der Studierenden untereinander - aber auch mit den Lehrenden, die im Laufe der drei Wochen an Lebhaftigkeit und Tiefe gewannen.
Neben den Lectures gehörten für die Studierenden Tagesexkursionen zu den wichtigsten Stätten der Reformation, also nach Wittenberg, Eisenach, Eisleben und Torgau zum Programm. Diese boten, wie Prof. Timothy Johnson berichtete den Teilnehmer*innen die Gelegenheit „sich auf die Spuren von Martin Luther und seinem Umfeld zu begeben“ und so eigene und direkte Erfahrungen mit diesen Schauplätzen des Reformationsgeschehens zu machen. Dazu gehörten auch die beiden nationalen Sonderausstellungen „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ in Wittenberg und „Luther und die Deutschen“ auf der Wartburg. Doch sollte der Blickwinkel nicht auf den der neuen Konfession beschränkt bleiben, weswegen u.a. von Herrn Prof. Henrik Karge (Kunstgeschichte) eine Führung durch die Ausstellung „Ein Schatz nicht von Gold. Benno von Meißen – Sachsens erster Heiliger“ angeboten wurde, dessen Verehrung in Sachsen von katholischer Seite als „Gegengewicht“ zur Reformation gefördert worden ist.
Die Veranstaltung wurde am 15. Mai in festlichem Rahmen durch den Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen im Rektoratssaal der Universität eröffnet. Im Anschluss hielt Prof. Gerd Schwerhoff (Geschichte der frühen Neuzeit) eine Lecture mit dem Titel „Faces of Unfaith. Blasphemy in Old Europe“ hielt. Professor Hans-Georg Lippert (Baugeschichte) führte die Teilnehmer*innen durch Frauen- und Hofkirche und stellte insbesondere deren Architektur- und Raumkonzepte vor dem Hintergrund konfessioneller Fragen in den Vordergrund. Über Martin Luthers Romreise als Mönch und deren spätere Umdeutung im Kontext der Reformation referierte PD Cristina Andenna (Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte). Im Rahmen der Lectures von Herrn Prof. Johnson und Herrn Dr. Breitenstein (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) befassten sich die Studierenden mit der Frage, wie viel „Mittelalter“ in der Reformation und der Figur Martin Luther steckte, wie sich das Gebets- und Theologieverständnis des Reformators von früheren Scholastikern wie Bonaventura von Bagnoregio bzw. das „lutherische“ Konzept von Gewissen von dem des Mittelalters unterschied. Dass die Reformation keineswegs „Männersache“ war, auch wenn die Forschungsgeschichte diesen Eindruck erweckt hat, bewies Frau Prof. Schattkowsky (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde) in ihrer Lecture über sächsische Prinzessinnen und deren Rolle(n) und Gestaltungsspielräume in der Reformationszeit. Ebenso komplex gestaltete sich, wie Herr Prof. Lindemann (Evangelische Kirchengeschichte) ausführte, das Verhältnis zwischen der Reformation und den Juden, das auch aufgrund der nach und nach immer heftiger gewordenen Aussagen Luthers, die in seinem Werk „Von den Juden und ihren Lügen“ ihren unrühmlichen Höhepunkt fanden, zu regen Diskussionen Anlass bot. Auch in Prof. Marina Münklers (Ältere und frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur) Lecture wurde deutlich, dass Martin Luther ein „Kind“ seiner Zeit war und sein Wirken und Werk nicht ohne Berücksichtigung der mittelalterlichen Geschichte und deren Tradition denkbar ist. Sie referierte über Luthers Bibelübersetzung und ihre mittelalterlichen Vorgänger. Den Abschluss der Lecture-Reihe gestalteten Prof. Bruno Klein (Kunstgeschichte) und Sebastian Mickisch, die über die Kirchenarchitektur der Reformation und ihre Ausstattung mit besonderer Berücksichtigung des Verständnisses von Liturgie, Raum und Sakralität sowie die Frage nach einer Abgrenzbarkeit gegenüber der katholischen Kirchenarchitektur (die sich alles andere als einfach gestaltet) sprachen.
Das Summer Seminar war die erste gemeinsame Aktivität der Mitglieder des Zentrums für Mittelalter- und Renaissancestudien Dresden. Es handelt sich dabei um eine Kooperationsplattform für mit Mittelalter- und Renaissance befasste Wissenschaftler*innen sowie Studierende und den wissenschaftlichen Nachwuchs an der TU-Dresden, die darüber hinaus auch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit außeruniversitären Einrichtungen in Dresden und Sachsen – analog zu Dresden Concept – fördern soll.
Die Veranstaltung wurde finanziert aus Mitteln des Programms Studienpraktika des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und des Flagler-College (St. Augustine, FL).