21.11.2016
Bildungsforschungs-Kooperation mit Nibinamik First Nation (Kanada)
Im Oktober reiste Dr. Michael Hecht (Professur für Schulpädagogik: Schulforschung) nach Nibinamik. In dieser ca. 500km nördlich von Thunder Bay gelegenen, nur per Flugzeug zu erreichenden Gemeinde in Nord-West-Ontario leben ca. 400 Angehörige der Oji-Cree First Nation. Zweck der ungewöhnlichen Reise war die Anbahnung eines internationalen, kulturvergleichenden Bildungsforschungsprojekts. Es werden Schnittstellen zwischen traditioneller, non-formaler Bildung und dem westlichen formalen Bildungssystem untersucht.
Dr. Michael Hecht forscht u.a. zum Verhältnis von informellem und formalem Lernen in sogenannten Entschulungsprojekten und zur Herstellung von Öffentlichkeit und Privatheit in Kreisgesprächen. Zu beiden Themen bestehen aus (europäischer) erziehungswissenschaftlicher Perspektive unmittelbare Anknüpfungspunkte für kulturvergleichende Forschung. Bildungsforschung mit den indigenen Völkern Kanadas, den First Nations, gelingt jedoch nicht, indem man mit einem ausgearbeiteten Forschungs- und Kooperationsvertrag im Reservat einfliegt, Daten erhebt und dann in Dresden einen Aufsatz veröffentlicht. Aufgrund vielfältiger negativer Erfahrungen mit „weißer Wissenschaft“, die ihre Gemeinden als exotische Forschungsobjekte missbraucht haben (u.a. für medizinische Versuche) stehen die First Nations von außen an sie herangetragenen westlichen Forschungsideen verständlicherweise ablehnend gegenüber. Ein großes Interesse besteht hingegen an gemeinsam geplanten und kooperativ durchgeführten Untersuchungen zu aktuell drängenden Entwicklungsthemen der Gemeinde. Prof. Judy Finlay von der Ryerson University Toronto konnte als Kooperationspartnerin gewonnen werden und stellte gleichzeitig den Kontakt zur Nibinamik Gemeinde her. Das Ziel dieser ersten Anbahnungsreise war die gemeinsame Konkretisierung eines Forschungsthemas im Themenfeld formelle-informelle Bildung. Dazu bedurfte es zunächst des Aufbaus eines persönlichen Kontakts und eines Vertrauensverhältnisses zu den Schlüsselpersonen aus der Gemeinde (u.a. Häuptling und seine Stellvertreterin, Stammesälteste, Aboriginal Education Director, Youth Activator Schulleiter und seine Stellvertreterin)
Während des Aufenthaltes in Nibinamik taten Michael Hecht und seine Kolleginnen und Kollegen von der Ryerson University in Sachen Bildungsforschung zunächst scheinbar gar nichts. Das multiprofessionelle Team war einfach nur „da", veranstaltete Mittagessen für die Elders (Stammesältesten), einen Jugendabend, ein Festessen für die ganze Gemeinde, sowie ein Gespräch bei einem Elder. Es ging um Kontaktaufnahme, Vertrauensbildung, vielfältige Gespräche, ankommen und angenommen werden. Daraus entwickelten sich konkrete Kontakte und Gespräche, mehrere Schulbesuche, dann auch zunehmend Gespräche über Bildungsformen jenseits von Schule. Nun konnten Möglichkeiten diskutiert werden, welche Themen konkret Gegenstand eines gemeinschaftlichen Forschungsprojektes sein könnten. Diese sollten zugleich für die Nibinamik Gemeinde einen Mehrwert darstellen. Als Themen wurden die Dokumentation eines „home made curriculum" avisiert, in dem indigene Lernplaninhalte und die Schnittstelle von westlicher Schule und indigenen Bildungsformen beschrieben sind. Zudem sollen traditionelle Bildungsinstitutionen der Nibinamik First Nations rekonstruiert und revitalisiert werden. Dazu wird in einem ersten Schritt ein Veranstaltungsformat untersucht, das „youth-elder summer retreat“ genannt wird und bei dem Stammesälteste in einer Art Sommerschule Jugendliche in traditionelle Praktiken und Kultur einführen. Die endgültige Entscheidung über das Forschungsprojekt ist abhängig von einer erfolgreichen Einwerbung von Fördermitteln und der Zustimmung der Stammesvertretung. Diese hat Michael Hecht bereits zu einem nächsten Besuch eingeladen. Als weitere Idee wurde ein Studierenden-Austausch angedacht. So wäre beispielsweise eine Reise mit Studierenden in die Gemeinde zur teilnehmenden Beobachtung von „aboriginal education programs“ denkbar. Hier wäre eine Kooperation mit anderen Fachbereichen der TUD wünschenswert.
Die Idee zu diesem kultursensiblen „Searching together“-Projekt im Bildungsbereich entstand während des internationalen Symposiums „Learn Something – The concepts of Bildung and Intervention in residential care“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 2014 in Toronto.
Gefördert wird die Forschungsanbahnung durch die Programmlinie cooperations@TUD im ZUK-Förderprogramm zur Umsetzung der Internationalisierungsstrategie „TU Dresden – Mit der Welt verbunden“, finanziert aus der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder.
Dr. Michael Hecht
Professur für Schulpädagogik: Schulforschung