Jan 04, 2016
GenderLectures - Interview „Was ist Selbstverständlich?“
Das „Genderwissenschaftliche Triple-Projekt“ ging im Wintersemester 2015/16 in die zweite Runde. Den Auftakt machte in der Reihe GenderLectures am 29. Oktober 2015 die Bielefelder Soziologin Prof. Dr. Tomke König mit ihrem Vortrag „Geschlecht erleben – Einige theoretische Überlegungen zum Eigensinn des Leibes und der Materialität von Geschlecht“. Frau König sprach in ihrem Vortrag über die Wiederentdeckung des Körpers als wichtige Dimension menschlicher Existenz. „Dadurch entstand ein Paradigmenwechsel in der Geschlechterforschung. Der Fokus in der Geschlechterforschung lag lange Zeit auf Prozessen, in denen Individuen vergeschlechtlicht und die Geschlechtsdifferenzen naturalisiert wurden“, erklärte Tomke König. Der Körper wurde aus der Forschung ausgeklammert. Der sogenannte „body turn“ veränderte zwar die Forschung, lässt aber verschiedene Aspekte offen: Zum einen wird der Körper häufig nur als Gegenstand oder Objekt untersucht, zum anderen werden Körper und Leib meist in ihrer Funktion für die Reproduktion thematisiert. Dabei wird aber der „Eigensinn des Leibes“ als ein wichtiges Moment übersehen. „Der Leib ist Wirklichkeit und ich kann mich dem nicht entziehen. Jeder erlebt ihn unmittelbar und oft unwillkürlich. Manchmal reagiert er anders als ich das eigentlich möchte. Dieser Eigensinn ist wichtig, denn somit kann der Leib ein Ort für Veränderungen sein“, erklärt Tomke König. Wir sprachen mit ihr über ihren Besuch in Dresden und ihre Forschung.
Herzlich Willkommen in Dresden und an der TU. Sind Sie zum ersten Mal in Dresden?
Ja, ich bin das erste Mal in Dresden und auch an der TU. Ich finde die Stadt sehr spannend, vor allem dieses Gemisch aus Historienkulisse und dem Durchscheinen der alten DDR-Bauten und den Touristen. Überrascht hat mich die Freundlichkeit der Menschen in Dresden. Von der Uni habe ich leider noch nicht viel gesehen. Ich komme aber sehr gern wieder um sie besser kennenzulernen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der TU Dresden zustande gekommen?
Meine Kollegin an der Uni Bielefeld, Heide-Marie Winkel, war vorher in Dresden und hat mir einiges über die TU erzählt. Mein Kontakt zur Uni in Dresden ist aber eher zufällig entstanden. Stefan Horlacher war zu Gast bei seinem Literaturwissenschaftlerkollegen Walter Ehrhart, mit dem ich viel zusammenarbeite. Nach einem Vortrag waren wir noch gemeinsam Abendessen und ich habe ihm von meinen aktuellen Forschungsprojekten erzählt. Daraufhin hat er mich nach Dresden eingeladen.
Ihr Forschungsschwerpunkte sind Geschlechterforschung, Familie, soziale Ungleichheit, Eliten. Was fasziniert Sie an diesem Themen?
Es gibt eine Schnittstelle zwischen den Themen und das ist der Zusammenhang von Privatheit und Öffentlichkeit oder Erwerbssphäre und Privatsphäre. Dies taucht in meinem Arbeiten immer wieder auf. In Bezug auf Familie interessiert mich vor allem die Arbeitsteilung und darin die Geschlechterordnung. Das ist auch ein Thema welches ich in Bezug auf die Eliten verfolge. So zum Beispiel, wenn ich in meinem Buch „Gattinnen. Die Frauen der Elite“ untersucht habe, wie die nicht berufstätigen Ehefrauen von Topmanagern dazu beitragen, dass sich das hohe soziale Milieu reproduziert.
An der Geschlechterforschung selber fasziniert mich am meisten das reflexive Wissenschaftsverständnis. Selbstverständliches wird immer wieder hinterfragt. Dabei wird nicht nur die Selbstverständlichkeit von zwei „natürlichen“ Geschlechtern hinterfragt, sondern auch die Selbstverständlichkeit wissenschaftlicher Objektivität sowie die eigenen blinden Punkte, die sich aus dem jeweiligen Standpunkt der Wissenschaftlerin ergeben. Das begeistert mich wirklich. Es geht immer wieder darum die im Alltag unhinterfragten Gewissheiten zu hinterfragen: die der Anderen, die Eigenen und die der Wissenschaft. Das meine ich mit einem reflexiven oder auch kritischen Wissenschaftsverständnis. Dazu gehört auch, die Geschlechterverhältnisse als Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu analysieren. Mich interessiert, wie es sein kann, dass eine Gesellschaft so stabil ist und es nicht zu mehr Veränderungen und Wandel kommt. Was sind die Mechanismen, die die Gesellschafts- und Geschlechterordnung immer wieder abstützten?
An welchen Projekten/Forschungen arbeiten Sie zurzeit?
Ein nächstes Projekt, das ich gemeinsam mit Andrea Maihofer aus Basel und Birgit Sauer aus Wien bei der DFG beantragen werden, ist zu „Macht und Geschlecht“. Wir wollen politische und wirtschaftliche Eliten untersuchen. Dabei gehen wir der Frage nach, wie sich durch die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse der Eliten die Berufsfelder verändern. Nicht nur die Frauen passen sich den Männern an, wenn sie in Führungspositionen arbeiten, es werden auch die Männer beeinflusst. Sie haben jetzt nicht nur zu Hause mit Frauen zu tun, sondern auch im beruflichen Alltag. Uns interessiert wie diese neuen Verhältnisse das Berufsfeld, aber auch das wirtschaftliche und politische Feld beeinflussen.
Wie finden Sie das Veranstaltungsformat „gender³“ und wie fanden Sie die Veranstaltung GenderLectures?
Ich finde es fantastisch, dass mit den wenigen Mittel, die es hier für die Geschlechterforschung gibt, so etwas gemacht wird. So etwas ist nur möglich, wenn viele Menschen Arbeit und Engagement hinein stecken. Die Lesenacht ist ein sehr interessantes Format. Das kannte ich bis jetzt noch nicht. Man kommt mit vielen Materialen in Kontakt, denen man sich sonst nicht begegnen würde bzw. die man selbst nicht lesen würde.
Die Geschlechterforschung ist nicht nur ein spezifischer Gegenstand in den einzelnen Disziplinen, sondern sie arbeitet transfakultär und transdisziplinär. Die Interdisziplinarität gehörte als Anspruch von Anfang an zur Geschlechterforschung dazu. Das kann nur sichtbar werden, wenn sich Personen jenseits der Fakultäten zusammenschließen und etwas gemeinsam tun. Und hier zeigt sich das sehr schön an der GenderConceptGroup und deren Veranstaltungen. Man merkt wie sehr das gewollt ist.
Können Sie sich vorstellen ein Projekt mit der GenderConceptGroup der TU Dresden zu machen?
Ja, auf jeden Fall. Aber ich weiß auch, dass Kooperationen viel Zeit brauchen, die wir als Professorinnen und Professoren oft nicht haben. Die Erwartungen und Anforderungen an uns werden immer höher. Und es ist nicht so einfach, trotz allem die Lust am Forschen zu behalten. Bei der GenderConceptGroup spüre ich das intrinsische Motiv. Die Lust etwas herauszufinden und gemeinsam an etwas zu arbeiten, ist offensichtlich. Aus diesem Grund kann ich mir gut vorstellen mit der Gruppe auch zukünftig gemeinsam etwas zu machen.