Sep 19, 2019
"#GENDERTROUBLED": Zwei Fragen an die Referentinnen
Franziska Schutzbach (Basel) und Juliane Lang (Berlin/Marburg) äußern sich zu Antifeminismus in unserer Gesellschaft. Beide nahmen als Referentinnen am Vortrags- und Diskussionsabend "#GENDERTROUBLED: Antifeminismus und Mobilisierungen gegen 'Gender'", der vom SFB 1285 in Kooperation mit dem Institut für Soziologie veranstaltet wurde, teil.
Geschlechterordnungen sind umkämpft und Polemiken gegen feministische Positionen und Personen, die sich gegen geschlechterbezogene Diskriminierungen wehren, sind historisch kein neues Phänomen. Warum ist die Auseinandersetzung mit Antifeminismus gerade heute besonders wichtig?
Franziska Schutzbach: Antifeminismus und Anti-Gender-Rhetorik spielen bei der „Einmittung“ rechter Weltanschauungen eine zentrale Rolle. Sie machen rechte Denkweisen in der gesellschaftlichen Mitte salonfähig und ermöglichen es Teilen der Gesellschaft, nach rechts zu rücken, ohne dass es rechts aussieht. Antifeminismus hat also eine zentrale Funktion rechter Politik. Es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen und die Mechanismen zu durchschauen.
Juliane Lang: Weil antifeministische Ressentiments anschlussfähig sind für unterschiedliche politische Lager und Milieus. Und weil sie in Teilen von einer Unsicherheit darüber zeugen, wodurch sich Geschlechterordnungen und Geschlechterrollen heute auszeichnet. Aus der Geschlechterforschung wissen wir, dass die landläufige Annahme von Geschlecht als etwas „Natürlichem“, Naturgegebenem so nie gestimmt hat. Und doch geben Geschlechterrollen Orientierung in einer als zunehmend unübersichtlich wahrgenommenen Welt. Rechte und andere antifeministische Gruppen greifen diese Unsicherheit auf und setzen der Vieldeutigkeit von Geschlecht und Geschlechterrollen traditionelle Bilder fürsorgender Frauen und kämpfender Männer entgegen. Die gezeichnete Geschlechteridylle bleibt dennoch aggressiv: weil sie die Lebensrealitäten von Frauen*, von homo-, trans- und intergeschlechtlichen Menschen ebenso ausblendet wie die Ablehnung die Männer* erfahren, die nicht dem klassischen Bild des soldatischen Mannes entsprechen (wollen).
Was zeichnet aktuelle antifeministische Positionen - auch in Abgrenzung zu älteren Formen aus - und wie schätzen Sie Tendenzen weiterer Entwicklungen ein?
Juliane Lang: Frühere Bewegungen lehnten noch ganz klassisch die Emanzipation und Selbstbestimmung von Frauen* ab, sie versagten Frauen* das Wahlrecht oder den konsequenten Schutz vor männlicher Gewalt. Heutige Antifeminist*innen dagegen beziehen sich positiv auf all jene Errungenschaften von Frauen*bewegungen – und nehmen durchaus Bezug auf die Kämpfe unserer Mütter und Großmütter, behaupten sich gar in einer Kontinuität mit ihnen. Sie wählen sich gleichzeitig heutige (queer-)feministische Bewegungen als Feindbild aus. Im Mittelpunkt ihrer Mobilisierungen steht die Vielfalt sexueller, geschlechtlicher und familialer Lebensweisen – und sie lehnen die Sichtbarkeit und eine damit einhergehende Anerkennung derselben ab. In starken Bildern und Emotionen wird behauptet, man müsse Kinder schützen, man müsse die (heterosexuelle) Familie verteidigen gegen eine Auspluralisierung von Lebensweisen. Gezeichnet wird ein Bild einer machtvollen „Gender-Lobby“, die Familien zerstöre und Kinder sexualisiere. Nichts davon ist der Fall, geht es Feminist*innen doch nicht darum, Menschen in ein neues Zwangskorsett zu stecken – sondern um ein gleichberechtigtes Leben für alle, unabhängig von geschlechtlichen Normen.
Franziska Schutzbach: Zentral sind in neo-reaktionären Politiken auch die Verbindungen von Antifeminismus und Wissenschaftsfeindlichkeit. Die Gender Studies werden massiv angegriffen, darin zeigt sich eine Abwehr kritischer Forschung insgesamt. Auch stehen die Gender Studies für die verhassten staatlichen Insitutionen und nicht zuletzt sind dort viele Frauen tätig. Hier verbinden sich Anti-Etatismus, Misogynie und Wissenschaftsfeindlichkeit/Antiintellektualismus. Ich denke, dass diese Anfeindungen aber auch auf einen Wandel reagieren. Gerade weil Frauen, queere Menschen und viele andere minorisierte Menschen heute so laut für ihre Belange einstehen, verlieren andere an Definitionshoheit. Ehemalige Selbstverständlichkeiten und Privilegien, männliche Suprematie usw. stehen ganz massiv unter Druck. Das Patriarchat ist, mal salopp gesagt, am Ende. Die Entwicklungen lassen sich nicht mehr zurückdrehen, die Pluralisierung von Lebensformen, die Präsenz von Frauen in Machtpositionen und öffentlichen Debatten geht nicht mehr zurück. Genau das spürt man, und genau deshalb sind die Reaktionen so aggressiv. Es ist wie bei einem angeschossenen Tier, das in diesem Zustand am gefährlichsten ist.
Das Interview führte Dr. Jana Günther und Dr. Sonja Engel (Institut für Soziologie)