Feb 05, 2016
Nachgefragt – junge Wissenschaftler im Portrait: Konfliktdiskurse als Forschungsfeld – jüngste Entwicklungen in Russland
Für die Reihe „Nachgefragt – junge Wissenschaftler im Portrait“ sprachen wir mit Dr. Marina Scharlaj vom Institut für Slavistik. Frau Dr. Scharlaj promovierte 2010 zur metaphorischen Konzeptualisierung des Belarussischen und ist ebenfalls seit 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slavistik und dort für den Lehrbereich Russische Landes- und Kulturstudien, Fachdidaktik sowie Studienberatung verantwortlich. Wir sprachen mit ihr über ihre Heimat Belarus, ihre Zeit in Dresden und über ihre Forschungsinteressen.
Sie sind zum Studieren nach Dresden gekommen. Was waren die Gründe für die Wahl Dresdens als Studienort?
In Belarus, wo ich herkomme, ist es üblicherweise schwierig, einen Studienplatz im Ausland zu bekommen. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, als ich angefangen habe in Minsk Deutsche und Italienische Philologie zu studieren. Während des Studiums habe ich immer wieder nach etwas gesucht, was ein hohes Potential hat, erforscht zu werden. So bin ich auf den Dichter Paul Fleming gestoßen, der zur Barockzeit in Sachsen lebte. Er war einer der ersten, der im 17. Jahrhundert auf Einladung von Adam Olearius Russland bereiste und Gedichte darüber verfasst hat. Über ihn wollte ich meine Diplomarbeit schreiben. In diesem Zusammenhang habe ich mich beim DAAD um ein Stipendium beworben und so hat es mich 2002 nach Dresden verschlagen.
Und Sie sind dann hier geblieben?
Ja, in der Zeit, in der ich mein Studium in Minsk zum Abschluss brachte, nahm ich in Dresden das Zweitstudium auf und habe Literaturwissenschaft am Institut für Germanistik sowie Slavistik mit dem Schwerpunkt Polnisch studiert. Danach habe ich zu einem Thema des Belarussischen promoviert und bin nun an der TU am Institut für Slavistik für die Russischen Landes- und Kulturstudien und Fachdidaktik verantwortlich.
Möchten Sie in Dresden bleiben?
Wenn sich die Möglichkeiten ergeben, würde ich gerne in Dresden bleiben. Die Stadt habe ich sofort ins Herz geschlossen und mich hier sehr gut eingelebt. Nach 13 Jahren, die ich in Deutschland bin, kann ich mir auch immer weniger vorstellen, nach Belarus zurückzukehren. Dort hat sich Vieles in dieser Zeit geändert, Vieles kommt mir ein wenig fremd vor. Richtig zuhause fühle ich mich jetzt hier.
Nehmen aktuelle politische Entwicklungen in Ihrer Heimat Einfluss auf Ihre Arbeit hier?
Da ich mich mit dem gesellschaftlichen und damit auch mit dem politischen Diskurs in Osteuropa beschäftige, nimmt die aktuelle Situation natürlich Einfluss auf das, was ich hier tue. Das heißt, sie ist Gegenstand meiner wissenschaftlichen Arbeit.
Ihr Forschungsgebiet ist das Belarussische…
Dazu habe ich mit einer umfassenden Studie promoviert. Seitdem halte ich regelmäßig Vorträge und beteilige mich mit kleineren Beiträgen an der Beschreibung der sprachlich-kulturellen sowie gesellschaftlich-politischen Situation in Belarus. Das EU-Nachbarland stellt immer noch einen „weißen Fleck“ in der westlichen Forschungslandschaft dar, deswegen arbeite ich an dieser Thematik weiter. Im Mittelpunkt meiner derzeitigen Forschung und Lehre steht jedoch Russland.
Welche Forschungsschwerpunkte haben Sie?
Mich interessieren aktuelle Themen. Allgemein formuliert würde ich den Gegenstand meiner jetzigen Forschung unter dem Begriff „Konfliktdiskurse“ zusammenfassen. Zum einen sind es Konflikte, die auf der internationalen Ebene ausgetragen werden, wie etwa der Russland-Ukraine-Konflikt, der ja an Aktualität nicht verloren hat, obwohl darüber nicht mehr viel berichtet wird. Damit verbunden ist auch der aktuelle Wertekonflikt zwischen Russland und dem Westen. Zum anderen sind es Konflikte, die innerhalb einer Gesellschaft bestehen bzw. geschürt werden. Als Beispiele kann ich hier Homo- und Xenophobie sowie aggressiven Patriotismus nennen. Schließlich gehören dazu Konflikte in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Mein zentrales Interesse gilt dabei der Aggression. Wir beobachten heute nicht nur in Russland eine enorme Verbreitung von Hetze und Hass. Besonders sichtbar ist diese Tendenz in der Internet-Kommunikation. Mit diesem kommunikativen Bereich, genauer mit den Phänomenen wie hate speech, flaming und trolling setzte ich mich im Moment intensiv auseinander.
Wie gehen Sie solche Untersuchungen an?
Nehmen wir als Beispiel die Internet-Kommunikation. Ausgangspunkt für meine Untersuchungen sind Gruppen in sozialen Netzwerken, die durch ihre aggressive kommunikative Haltung eine bemerkenswerte Popularität erlangen. Zunächst suche ich mir einige in dieser Hinsicht repräsentativen Gruppen aus. Ich dokumentiere im ersten Schritt die Kommunikation der ausgewählten Communities. Im zweiten Schritt beschäftige ich mich mit der textuellen und visuellen Ebene der Beiträge, indem ich nach sprachlichen Mustern und argumentativen Strategien suche und/oder die Häufigkeit herabsetzender Bilder und Motive feststelle. Ausgehend von den Formen der Aggression analysiere ich die Funktionen und insbesondere die gesellschaftsrelevanten Effekte der Internet-Schmähungen. Außerdem lassen sich so die Bedingungen beobachten, die für die Intensivierung der Feindschaften in bestimmten sozialen Gruppen bzw. in bestimmten gesellschaftspolitischen Konstellationen verantwortlich sind, und von hier aus Schlüsse auf gesellschaftliche Prozesse und Dynamiken ziehen.
Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Eine schwierige Frage. Konflikte als solche sind natürlich nicht erfreulich, sie wissenschaftlich zu untersuchen finde ich aber sehr spannend. Außerdem bleibe ich durch meine Themenwahl immer am Puls der Zeit. Die aktuellen Problematiken sowohl kulturhistorisch als auch kulturtheoretisch einzuordnen macht mir Spaß. Auch die Anschlussfähigkeit begeistert mich: meine Forschung geht über eine einseitige linguistische oder kulturwissenschaftliche Perspektive hinaus und schlägt den Bogen zu den Sozialwissenschaften. Ich merke, dass dieser Ansatz auch bei den Studierenden auf Interesse stößt, und das ist mir in der Lehre sehr wichtig.
Gibt es weitere aktuelle Projekte, an denen Sie arbeiten?
Zurzeit bereite ich einige Publikationen vor. So habe ich auf dem letzten Deutschen Slavistentag, dem Kongress der deutschen Slavistik, das Panel „Angst, Aggression und Argumentation“ mitorganisiert und geleitet. Im Zentrum stand die politische Rhetorik in den Ukraine-Diskursen nach dem Euromajdan. Die Beiträge, in denen eine ukrainische, eine russische und eine belarussische Perspektive auf den Konflikt beleuchtet wurden, sollen demnächst veröffentlicht werden. An der Herausgabe des Bandes arbeite ich gemeinsam mit meinem Kollegen vom Institut für Slavistik, Prof. Kuße mit. In Zusammenarbeit mit meinen russischen Kollegen aus St. Petersburg erforsche ich neue Formen der Laienlinguistik im Internet. Ein prominentes Beispiel dafür ist die derzeit populäre russischsprachige Szene der Grammar Nazi, deren Mitglieder Vokabular und Symbolik des „Dritten Reiches“ benutzen, um radikal und zugleich bewusst inszeniert gegen die orthographischen Fehler im Russischen vorzugehen. In einem Artikel, an dem ich gerade arbeite, befasse ich mich mit den kreativen Protestbewegungen in Russland. Karnevaleske Gegendiskurse und Subkulturen sind für mich ein ausgleichendes Gegengewicht zur Aggression.
Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung, dass die Demonstranten, die Montagabend auf die Straße gehen, den deutschen Medien vorwerfen, über Russland falsch zu berichten?
Ich beobachte, dass über Russland in den deutschen Medien meistens einseitig berichtet wird. Das, was die Demonstranten äußern, ist sehr plakativ und provokativ formuliert. In meinen Augen spiegelt diese Entwicklung eine allgemeine Tendenz wider: wenn man sich von Europa und europäischen Werten distanziert, entwickelt man als Kontrahaltung eine gewisse Affinität für Russland. Das ist das „Schwarz-Weiß-Denken“, das nicht weiter differenziert.