Jan 20, 2016
Nachgefragt – junge Wissenschaftler im Portrait: Mathematik und der späte Heidegger – passt das zusammen?
In der Reihe „Nachgefragt – junge Wissenschaftler im Portrait“ werden regelmäßig Nachwuchswissenschaftler/innen unseres Bereichs und ihre Forschungsthemen vorgestellt. PD Dr. Rico Gutschmidt vom Institut für Philosophie wurde im Dezember 2015 an der Philosophischen Fakultät der TU Dresden habilitiert. Seine Habilitationsschrift verfasste er zum Spätwerk Martin Heideggers. Zurzeit befindet er sich, finanziert von der Volkswagenstiftung, als Visiting Scholar an der University of Chicago. Wir sprachen mit ihm über seine Forschungen, sein Verhältnis zur Philosophie Heideggers und seine Pläne für die Zukunft.
Wie sind Sie an die TU Dresden gekommen?
Ich bin nach Dresden gegangen, da mir Thomas Rentsch vom Dresdner Institut für Philosophie zugesagt hatte, mein Habilitationsprojekt zu betreuen. Vorher habe ich in Bonn zu einem Thema der Wissenschaftstheorie promoviert, habe mich dann aber entschieden, philosophisch eine neue Richtung einzuschlagen. Ich wollte mich mit dem späten Heidegger aus einer religionsphilosophischen Perspektive beschäftigen und habe verschiedene Leute angeschrieben und gefragt, ob sie ein solches Habilitationsprojekt betreuen würden. Thomas Rentsch hat sich bereit erklärt, die Betreuung zu übernehmen. Ich hatte schon einige Texte von ihm gelesen und habe mich sehr über seine Zusage gefreut. Darüber hinaus fand ich es auch schön, nach Dresden zu gehen. Zum einen ist es eine sehr schöne Stadt, zum anderen ist es nicht weit von Potsdam entfernt, wo ich ursprünglich herkomme. Ich bin dann ohne Stellenzusage nach Dresden gezogen und habe mich um Stipendien beworben. Bekommen habe ich zunächst ein Post-Doc Stipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung und anschließend die Eigene Stelle von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Sie haben erst Mathematik studiert und wurden dann in Philosophie promoviert. Wie kam es zu diesem eher ungewöhnlichen Weg?
Das Interesse für Philosophie war einfach so stark, dass ich mir nicht vorstellen konnte, in der Mathematik zu bleiben. Außerdem gab es die interessante Möglichkeit, auch ohne einen philosophischen Abschluss in Philosophie eine Dissertation anzufertigen. Das ist möglich, wenn man einen Hochschulabschluss in einem Fach hat, das zu bestimmten philosophischen Fragestellungen passt. So konnte ich zu einem Thema der Wissenschaftstheorie, genauer, zur Philosophie der Physik, promovieren. Mein Doktorvater in Bonn hatte einen ähnlichen Werdegang hinter sich, auch er hatte Mathematik studiert und wurde später zur Philosophie der Physik promoviert. Das geht aber nicht mit allen Fächern und auch nicht an allen Universitäten. Es gab auch spezielle Genehmigungen und Auflagen für diesen Vorgang.
In Ihrer Dissertation haben Sie das Reduktionsproblem in der Physik untersucht. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Dabei geht es um die Frage, wie die verschiedenen physikalischen Theorien miteinander zusammenhängen und ob man die gesamte Physik auf eine gemeinsame, grundlegende Theorie zurückführen kann. In der Wissenschaftstheorie wird gern eine stark reduktionistische Position vertreten, nach der im Prinzip sämtliche Physik aus der Elementarteilchenphysik ableitbar sei. Da alles aus Elementarteilchen aufgebaut ist, müsse man im Prinzip auch die gesamte Welt in Begriffen der Elementarteilchenphysik beschreiben können. In meiner Arbeit habe ich Argumente ins Spiel gebracht, die sich gegen diese Im-Prinzip-Behauptung wenden. Etwas verkürzt gesagt: es gibt verschiedene Beschreibungsebenen mit jeweils eigenständigen Theorien, die immer nur für bestimmte Bereiche geeignet sind. Dabei gibt es zwar Theorieüberlagerungen, für die ich den Begriff der „Theoriennachbarschaft“ eingeführt habe, aber eben nicht eine Weltformel für alles.
Neben Wissenschaftstheorie und Philosophie der Physik zählen auch die Philosophie des 20. Jahrhunderts sowie Heidegger und Wittgenstein zu Ihren Forschungsinteressen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Zunächst bin ich von der Mathematik in die Wissenschaftstheorie gewechselt. Ein deutlich größerer Sprung war dann der Wechsel von der Wissenschaftstheorie zu Heidegger. Dahinter stand wieder ein starkes persönliches Interesse. Ich habe schon während meines Mathematikstudiums Heidegger gelesen und fand seine Texte sehr anziehend. Dazu kamen bestimmte religionsphilosophische Fragen, die mich faszinierten und ich hatte den Eindruck, dass Heidegger hier etwas Wichtiges zu sagen hat. Das wollte ich in einem größeren Projekt untersuchen, was mich dann zu meinem Habilitationsvorhaben führte.
Was fasziniert Sie an dem Thema Heidegger?
Thematisch geht es ja um den Zusammenhang zwischen Heidegger und der Religionsphilosophie. Ich bin in einem atheistischen Umfeld aufgewachsen und wollte immer verstehen, worum es in den Religionen geht. An Heidegger hat mich dann vor allem fasziniert, dass er eine Art philosophische Religiosität entwickelt, die sich konfessionsübergreifend verstehen lässt und die nicht einmal auf einen theistisch verstandenen Gott bezogen sein muss. In meiner Habilitationsschrift habe ich das als „post-theistische Religiosität“ ausbuchstabiert. Dabei geht es aber nicht nur um ein allgemeines Verständnis des Religiösen, sondern auch um ein angemessenes Verständnis des Menschen in der Welt. Etwas vereinfacht gesagt ist jeder Mensch mit der Unbegreiflichkeit des In-der-Welt-seins konfrontiert und das steht ja auch in den Religionen im Mittelpunkt.
Gibt es aktuelle Forschungsprojekte, an denen Sie gerade arbeiten?
Mein Habilitationsprojekt zu Heidegger ist soweit abgeschlossen und ich möchte nun weitere Wege ohne direkten Bezug zu Heidegger einschlagen. Das hat auch damit zu tun, dass Heidegger durch die jüngst publizierten antisemitischen Äußerungen zu einem schwierigen Thema geworden ist. Außerdem ist es für die akademische Laufbahn strategisch sinnvoll, sich nicht so sehr auf einen Autor zu fokussieren. Ich möchte das, was ich mit Heidegger verstanden habe, auch in anderen Kontexten weiterentwickeln und anwenden. So werde ich in Chicago Zusammenhänge zwischen Skeptizismus und negativer Theologie untersuchen. Es handelt sich hier um ganz verschiedene Traditionen, die sich aber darin ähneln, dass man sich den Grenzen des Denkens nur praktisch-performativ und jedenfalls nicht in theoretischen Sätzen nähern kann. In der Antike wird die Skepsis als eine Praxis der Irritation aufgefasst, die zu einem neuen Weltverhältnis führt, was sich so ganz ähnlich beim späten Wittgenstein findet. Auch die negative Theologie versteht sich nicht als Theorie, sondern als „via negativa“, also als ein Weg zu einem neuen Verhalten. Diese Strukturanalogien möchte ich in ein produktives Verhältnis setzen und damit die Grenzen des Denkens besser verstehen.
Und was bedeutet „negative Theologie“?
Grob gesagt behauptet die negative Theologie, dass man Gott nicht begreifen kann. Er ist uns unvorstellbar entzogen. Die negative Theologie hatte ihre große Zeit in der Spätantike und in der Mystik des Mittelalters und lässt sich etwa mit dem Gedanken „Gott ist immer mehr – Deus semper maior“ auf den Punkt bringen. Indirekt spielen solche Gedanken in der Philosophie des 20. Jahrhunderts wieder eine große Rolle, etwa bei Adorno oder postmodernen Autoren. Die Verbindung von Skeptizismus und negativer Theologie möchte ich dann auch auf die Philosophie im Allgemeinen anwenden.
Kann Ihnen das Mathematik-Studium bei der Beantwortung solcher Fragen behilflich sein?
In gewisser Weise schon, denn ich finde die Mathematik sehr wichtig für das klare Denken. Bei einem mathematischen Beweis muss jedes Detail stimmen, weshalb hier ein äußerst präzises Vorgehen verlangt ist. Ich arbeite zwar schon lange nicht mehr in der Mathematik, profitiere aber immer noch von meiner akademischen Sozialisation in einem Fach, in dem strukturiertes Arbeiten und klares Argumentieren in ganz besonderem Maße erfordert werden. Diese Präzision ist gerade bei der Beschäftigung mit Heidegger sehr wichtig gewesen. Einer der Ansprüche meiner Arbeit mit Heidegger war die klare Rekonstruktion, besonders von Heideggers späten, hermetischen und kryptischen Texten.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Naja, ich würde schon gerne irgendwann einmal einen Lehrstuhl bekommen. Soweit ist es aber im Moment noch nicht (lacht). Die Stellensituation ist ja, wie in anderen Fächern auch, nicht besonders rosig. Es gibt deutlich mehr Habilitierte als Professorenstellen. Aber wenn man es nicht versucht, kann es auch nichts werden. Und im Moment setze ich ganz auf diese Karte.
Welche Erinnerung an Ihre Zeit in Dresden wird Ihnen besonders im Gedächtnis bleiben?
Ich wohne in Dresden etwas außerhalb und habe einen Kies-See in Fußnähe. Das ist im Sommer perfekt zum Baden, ich konnte immer mit einem Handtuch über der Schulter zum Schwimmen gehen. Das werde ich sicher vermissen. Das Glück kann so einfach sein, da braucht es keine großen Dinge.
Werden Sie nach Ihrem Aufenthalt in den USA wieder nach Dresden zurückkehren?
Das ist sehr unwahrscheinlich. Nach dem Auslaufen meines DFG-Projekts zu Heidegger gibt es hier keine Stelle für mich. Und gegen die Bewerbung auf einen Dresdner Lehrstuhl spricht die Hausberufungsregel, nach der man nicht berufen werden kann, wo man habilitiert wurde, zumindest nicht, wenn es die erste Berufung ist. Was nach Chicago kommt, ist im Moment noch völlig offen. Bei der Gelegenheit: Ich möchte mich sehr herzlich bei den Project Scouts der TU Dresden bedanken, die mir bei meinen Anträgen viel geholfen haben. Das aktuell laufende Projekt für Chicago musste ich zum Beispiel bei der Volkswagenstiftung in Hannover vorstellen und ich konnte meine Präsentation vorab bei den Project Scouts üben. Die Anregungen, die ich nach meiner „Generalprobe“ dort erhielt, haben mir echt weitergeholfen..
Vielen Dank für das interessante Gespräch.