27.06.2014
Im Schatten des Meisters - Tagung "Sabotaging 'Hitchcock'"
Eliot Stannard, Robert Burks, Ernest Lehman – wer diese Namen zuzuordnen weiß, darf sich zu den Eingeweihten im Großen Einmaleins der Filmgeschichte zählen. Und doch ist wohl jeder mit ihren Ideen vertraut, denn sie alle haben das Kino eines Mannes geprägt, der mit seiner imposanten Gestalt alle Mitstreiter und Ideenlieferanten gelegentlich zu überragen wusste und im Mittelpunkt einer dreitägigen Tagung stand, die vergangene Woche von der Professur für Englische Literaturwissenschaft an der TU Dresden veranstaltet wurde: Alfred Hitchcock.
In seinem Eröffnungsvortrag würdigte Englands bedeutendster Hitchcock-Spezialist, Charles Barr, den Regisseur als Ausnahmeerscheinung in der Filmgeschichte, der mit seinem Schaffen Stumm- und Tonfilm, europäisches und amerikanisches Kino, Schwarzweiß und Farbe sowie eine Fülle von Genres bediente und sich dabei mit den besten Szenaristen, Schauspielern, Kameramännern und Storyboard-Zeichnern umgab. Deren Leistungen wurden in individuellen Vorträgen gewürdigt – so widmete sich Ralf H. Heinke der Bedeutung von Hitchcocks Kameramännern, betonte Nadine Seligmann die Rolle von Hitchcocks PR-Abteilung bei der Erschaffung der omnipräsenten Kunstfigur des gleichen Namens in Film und TV, und untersuchte der in London arbeitende Historiker Mark Glancy die Rolle der Filmstudios für das Erscheinungsbild von Hitchcocks politischen Thrillern. Immer wieder wurde im Lauf der durch die Fritz-Thyssen-Stiftung sowie durch den British Council geförderten Tagung, die sich auch dem britischen Werk Hitchcocks sowie seinen literarischen Vorlagen widmete, die Kluft zwischen Hitchcock (der historischen Person) sowie 'Hitchcock', der Sammelbezeichnung für das tradierte Werkbild deutlich. Dass die historische Kontextualisierung einem intensiven Genuss der Filme keineswegs im Wege steht, sondern dass auch diesen noch eine Fülle von Facetten abzugewinnen ist, verdeutlichten u.a. Eckhard Pabst mit seiner detailreichen, regelrecht detektivischen Spurensuche in den vermeintlichen Anschlussfehlern von "Vertigo", Willem Strank mit einem Querschnitt durch die unkonventionellen Enden der Hitchcock-Filme, sowie Marcus Stiglegger, der das makabre, späte Meisterstück "Frenzy" als doppelbödiges Werk der Seduktion würdigte, d.h. als einen Film, der den Leser regelrecht in die Falle lockt und zum Schulterschluss mit einem Mörder verführt. Hitchcock-Remakes aus dem asiatischen Raum kamen (in einem Vortrag von Stefan Borsos) ebenso zur Sprache wie Hitchcocks Plotschemata, für die Hans-Ulrich Mohr ein Strukturmuster vorstellte.
Der Großmeister des Spannungsfilms hält sein Publikum weiterhin in Atem und taugt übrigens auch mehr als 50 Jahre nach Sensationserfolgen wie "Psycho" noch immer als Publikumsmagnet – dass am Donnerstag über 120 Besucher den im Rahmen der Tagung im Ufa-Kristallpalast gezeigten Film "Das Fenster zum Hof" der zeitgleich laufenden Fußball-WM vorzogen, ist dafür ein wunderbarer Beleg.
Weitere Informationen unter www.tu-dresden.de/slk/hitchcock
Autor: Wieland Schwanebeck