Aug 01, 2014
Ein Sechser im Lotto
Derzeit sitzt Prof. Lars Koch noch im Büro von Frau Prof. Münkler in der Wiener Straße, denn sein zukünftiges Büro in der Strehlener Straße ist noch nicht ganz fertig. Er ist einer von 10 Open Topic Tenure Track Professoren und seit Mai an der TU Dresden. Für ihn war der Ruf an die TU wie ein Sechser im Lotto: „Meine Forschung ist zwischen den klassischen Fachdisziplinen angeordnet. Zum Teil ist sie Literaturwissenschaft, zum Teil Medienwissenschaft und zum Teil Kultursoziologie. Mein Portfolio passt meist nicht auf die eher konservativen Ausschreibungen. Die Open Topic Tenure Track Professuren hingegen waren so offen, das die Interdisziplinarität, die für meine Arbeit kennzeichnend ist, sich hier sehr gut institutionalisieren lässt.“
Zur gleichen Zeit hatte Prof. Koch auch noch einen Ruf von der Universität Siegen. Er entschied sich aber für Dresden. Die Professur an der TU Dresden hat für ihn das größere Potential mit dem größeren Gestaltungsspielraum: „Wenn ich als Medienwissenschaftler zur Wahrnehmung und Kommunikation über Risiken, Gefahrenhorizonte und Großtechnologien interdisziplinär arbeiten möchte, dann ist Dresden ein guter Ort, weil hier alle Gebiete vertreten sind. Wenn ich z.B. einen Aufsatz über die Rolle der Biotechnologie im Fernsehen schreibe, dann kann ich hier theoretisch zu den Biotechnologen gehen und fragen, ob das, was ich mir auf der Fachseite angeeignet habe, überhaupt stimmt. Letztendlich war es das Gesamtpaket, das mich überzeugt hat, nach Dresden zu kommen.“
Projekte, Forschung und Fernsehen
Prof. Koch befasst sich unter anderem mit der Medien- und Kulturtheorie der Störung. Dazu bringt er den ERC Starting Grant “The Principle of Disruption. A Figure Reflecting Complex Societies“, ein mit 1,3 Mio. Euro von dem European Research Council gefördertes Forschungsprojekt, mit nach Dresden. Mit seinem Mitarbeiter, Dr. Tobias Nanz, konzipiert er außerdem gerade einen DFG-Antrag für ein Nachwuchsforschernetzwerk zum Thema „Medienkultur des Kalten Krieges“. Weiterhin sind auch ein paar kleinere Projekte wie Tagungen und Workshops in Vorbereitung. Aber das größte Projekt, das unmittelbar bevor steht, ist der Umzug von Berlin nach Dresden Mitte August: „Das wird nochmal ein Kraftakt, aber wenn dann alle Bücherkisten ausgepackt sind, die Büros eingerichtet wurden und die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz haben, dann haben wir auch wieder Freiraum, um über neue Projekte nachzudenken.“ Von seinem Team erwartet er, dass es weiterhin dynamisch und interessiert bleibt und sich vielseitig innerhalb der TU Dresden vernetzt. Dass dies erfolgreich geschehen wird, daran besteht für Prof. Koch kein Zweifel, denn „die Herzlichkeit und Offenheit, mit der wir hier in an der TU Dresden empfangen wurden, war toll“. Im Hinblick auf die zukünftige Arbeit ist für Prof. Koch ein kompletter und gründlicher Austausch mit seinem Team auf Augenhöhe über die jeweiligen Projekte essentiell. Und so sucht er auch das intensive Gespräch mit Kollegen verschiedener Richtungen und auch der Partnereinrichtungen des Zukunftskonzepts, allem voran dem Militärhistorischen Museum und dem Hygiene-Museum. „Ein Austausch etwa mit den Kommunikationswissenschaftlern ist ebenso wünschenswert wie wichtig, auch im Hinblick auf Synergien. Während ich eher auf die Produktionsseite schaue, würden Kommunikationswissenschaftler wahrscheinlich eher auf die Rezeptionsseite schauen. Rund wird die Sache erst, wenn beide Seiten miteinander ins Gespräch kommen.“
Ein Interesse für interdisziplinäre Fragen, für gesellschaftliche Konfliktlagen und für Denormalisierungen war bei ihm schon immer vorhanden. „Ich habe immer gedacht, dass symbolischen Medien wie Literatur, Film und Theater das kulturelle Forum sind, in denen Sinnprozesse ausgehandelt, Denormalisierungsereignisse durch das Geschichtenerzählen renormalisiert und in das kollektive Selbstverständnis integriert werden.“ Dem Forschungsgebiet ist Prof. Koch treu geblieben. Die Frage nach Gewalt, Gefahr und der Rolle von symbolischen Medien bei Aushandlungsprozessen hat sich sukzessive verstetigt und verbreitert. Es wechselten aber die Jahrhunderte und die Medien mit denen er sich befasst. Seine Dissertation schrieb er über die Literatur zum Ersten Weltkrieg. Gegenwärtig untersucht er unter anderem Fernseh-Serien. „Was mich sehr interessiert, sind die sozialen Krisenexperimente wie ‚The Walking Dead‘ oder ‚The Leftovers‘. Das sind Serien, die einen Experimentalraum aufbauen und erzählen, wie sich nach einer großen Krise soziale Strukturen wieder neu und oftmals anders zusammensetzen.“ Dabei interpretiert Prof. Koch die Serien nicht, er dekonstruiert sie auch nicht, sondern tritt mit ihnen in einen Dialog. Für ihn sind sie mehr als ein Spiegel der Gesellschaft, sie entwickeln einen Mehrwert, weil „solche Serien in einer gewissen Weise genauso über Gesellschaft nachdenken wie Wissenschaft auch. ‚House of Cards‘ z.B. hat ein Wissen über die Logiken der Politik, die sich gegenüber der Luhmann‘schen Einsicht zum Primat der Machterhaltung als eigentlichem Antriebsmotor aller politischen Entscheidungen nicht verstecken muss.“ Die populären Serien enthalten für Prof. Koch meist ein Moment in dem das Soziale anschaulich wird. An der konkreten Geschichte können Sachverhalte beobachtet, verhandelt und diskutiert werden, die aufgrund ihrer Abstraktheit und Komplexität aus den Spezialdiskuren heraus nicht mehr der breiten Öffentlichkeit vermittelt werden können.
Emotionen und Angst
Mit seiner dreijährigen Tätigkeit im Deutschen Bundestag kam auch das Interesse an der emotionalen Dimension von gesellschaftlichen Ereignissen und Konflikten. Als Büroleiter und Referent hat er viel über das politische Alltaggeschäft erfahren. „Mich hat es immer frappiert, wie viele Dinge aufgrund von einem ‚Dafürhalten‘ entschieden werden. Es setzt sozusagen auf einmal der rationale Diskurs aus und die jeweilige Stimmung spielt eine bedeutende Rolle. Nehmen Sie die Nuklearkatastrophe von Fukushima und den Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland. Der Ausstieg ist natürlich sehr positiv, aber die Art und Weise wie er zustande gekommen ist, war im Hinblick auf seine demokratische Legitimierung auf mehr als zweifelhafte Weise durch die emotionale Lage beeinflusst.“ Von der Untersuchung der affektiven Dimension von Ereignissen hin zur Erforschung der Angst war es für Prof. Koch nur ein kleiner Schritt. „Ich glaube, dass die Dinge, die wir für bedrohlich halten, durch kulturelle Skripte präfiguriert sind.“ Und so untersucht er vor allem wie Angst in und durch die verschiedensten Medien erzeugt, dargestellt und reflektiert wird. Dabei geht es auch um kleinteilige Beobachtungen im Text und Film und um die Herstellung einer Dialog-Situation zwischen Gegenstand und kulturwissenschaftlicher Analyse. Der einzelne Film oder das Stück Literatur wird auf der einen Seite im kulturtheoretischen Hintergrund betrachtet, auf der anderen Seite ist der historische Ermöglichungszusammenhang eine ebenso wichtige Perspektive: „Kafkas ‚Der Bau‘ ist ein wichtiger Text über die Angst. Hier lebt ein kleines Tier in einem Grabensystem und verfällt, von einem nicht lokalisierbaren Geräusch in Alarmbereitschaft versetzt, in einen paranoiden Modus. Dass der Text in etwa zeitgleich zum Ersten Weltkrieg entstand, in der das Grabensystem und die Unsichtbarkeit des Feindes eine wichtige Rolle spielen, ist kein unwesentlicher Faktor.“ Solche Austauschprozesse und Dialoge versucht Prof. Koch auch in seinen Seminaren herzustellen. Er verbindet das theoretische Wissen mit aktuellen Artefakten wie einzelne Serien, Filmen oder Texten und diskutiert mit seinen Studierenden über die kulturhistorischen Zusammenhänge, die Kontinuitätslinien und die gegenwartsanalytischen Perspektiven. Im Wintersemester wird er ein Seminar zur Theorie und Mediengeschichte der Angst und eins zur Gegenwartsliteratur anbieten.
Für seine weitere Arbeit hofft er, dass die TU Dresden und seine Kolleg/Inen seinen Ideen mit der gleichen Sympathie wie bisher begegnen und dass ein gewisser Freiraum für „wildes Denken“ erhalten bleibt.