15.08.2014
Dresden Fellow: "Eine Frage der Identität"
Sind Sie ja nicht zum ersten Mal hier. Wann waren Sie das erste Mal in Dresden und wie gefällt es Ihnen heute?
Ich war vor 10 Jahren schon einmal in Dresden, als Fulbright Professor. Das war auch der Beginn der gemeinsamen Arbeit mit Prof. Gert Meville. Seitdem sind wir immer in Kontakt geblieben und haben einige Projekt zusammen durchgeführt. Es ist wirklich sehr schön, dass ich wieder in Dresden sein kann. Ich fühle mich sehr wohl hier. Dresden gefällt mir sehr gut, es ist nicht zu groß und nicht zu klein.
Wie ist die Zusammenarbeit mit der TU Dresden entstanden?
An der University of Michigan findet jedes Jahr der „International Congress on Medieval Studies“ statt. Als ich vor 15 Jahren an dieser Konferenz teilgenommen habe, lernte ich eine Gruppe aus Dresden kennen. Sie erzählten mir von ihrem Sonderforschungsbereich 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" und der Arbeit von Prof. Melville. Das hat mich sehr fasziniert, und ich wollte mehr darüber erfahren. Mit Hilfe des Fulbright Scholar Program war es mir dann möglich, 2004 nach Dresden zu kommen. Aus diesem ersten Gespräch auf der Konferenz ist eine langjährige Zusammenarbeit entstanden.
Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?
Ich habe in München studiert und dort Deutsch gelernt. Meine Arbeit befasst sich mit Mittelalter, Geschichte, Theologie und Spiritualität und meine Dissertation habe ich über den Franziskaner Bonaventura da Bagnoregio geschrieben. Dafür bin ich nach Italien an die Pontifical Gregorian University in Rom gegangen. In Deutschland wurde schon immer über die Franziskaner, das Mittelalter und Theologie geforscht und so ergab es sich, dass ich einige Jahre in München studieren konnte. Ich habe die Verbindungen nach Deutschland immer sehr geschätzt.
An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?
Ich arbeite an verschiedenen Projekten. Aktuell gibt es ein Forschungsprojekt mit Prof. Melville. Es befasst sich mit den Franziskanern, die im spanischen Grenzland missioniert haben. Wir untersuchen welche Rolle die Franziskaner bei der Verbreitung des christlichen Glaubens auf dem Nordamerikanischen Kontinent gespielt haben. Dazu haben wir letztes Jahr das Buch „From La Florida to La California: Franciscan Evangelization in the Spanish Boderlands“ veröffentlicht. In einem Jahr werden wir noch ein Buch veröffentlichen und in ein paar Jahren soll es dazu eine Konferenz geben.
Seit 2013 bin ich Vorsitzender des wissenschaftlichen Kuratoriums des Franciscan Institute der Saint Bonaventure University (New York). Dort arbeiten wir an einem großen Forschungsprojekt, bei dem es um verschiedene Themen in der Geschichte der Franziskaner geht. Es geht um Theologie, soziale Fragen, um die Identität von Frauen im Mittelalter usw. Wir befassen uns aber auch mit der Frage nach Armut und Reichtum. In den USA wird das Thema sehr stark diskutiert, und wir wollen zeigen, dass das keine neue Frage ist. In der Geschichte gab es viele Personen, die zu diesem Thema gesprochen, geschrieben und geforscht haben, wie z.B. der Franziskaner Peter John Olivi. Dabei ist es für uns interessant herauszufinden, wie wir die Quellen, die uns zur Verfügung stehen und die Geschichte nutzen können, um einen aktuellen Bezug herzustellen, und wie wir so mit der Gesellschaft ins Gespräch kommen zu können.
Ihre Forschungsthemen befassen sich hauptsächlich mit der franziskanischen Gelehrtengeschichte. Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Die Weltanschauung der Franziskaner hat mich schon immer fasziniert. Es geht um Theologie, Spiritualität, aber auch um Kunst und Architektur. Die Franziskaner haben eine eigene Kultur, Architektur, Literatur, Musik usw., die ich sehr interessant finde. Die Verbindung zwischen Geschichte, Theologie und Spiritualität hat mich schon immer interessiert. Glaube und Religion sind für mich sowohl auf der Forschungsebene als auch im persönlichen Bereich sehr wichtig.
Sind Sie als Dresden Senior Fellow auch an der Lehre eingebunden? Haben Sie schon einen Vorlesung oder ein Seminar gegeben?
Ich habe einen Vortrag über „Roger Bacon and the Interreligious Study of Monastic Cultures“ bei einer Tagung des Graduierten-Kollegs der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG - Dresden) gehalten. Dabei habe ich versucht das Thema „The West is the Best“ in den Vergleich mit dem Forschungen des Kollegs zu bringen. Das Gradierten-Kolleg untersucht die Weltreligionen und monastisches Leben im Westen und im Osten. Der Franziskaner Roger Bacon ist dafür ein sehr guter Einstieg, denn er hat viel über andere Religionen geschrieben. Weiterhin habe ich noch einen Vortrag zum Thema „Agamben, Bonaventure and the Poverty of Prayer“ gehalten. Das ist ein sehr philosophisches und theologisches Thema. Ich erkläre den Studierenden des Graduierten-Kollegs wie man die Postmoderne[1] für das Studium von alten Quellen nutzen kann. Der italienische Philosoph der Postmoderne Giorgio Agamben ist dafür sehr gut geeignet, denn er hat sich mit der Identität von Menschen befasst. Er hat geschrieben, dass es bei Franziskus einen außerordentlichen Moment gibt, ab dem Identität ganz anders verstanden wird. Franziskus Identität war „keine Identität“: Er definiert sich dadurch, dass er nichts hatte, keine Frau, keine Familie und kein Geld. Das steht im kompletten Gegensatz zur heutigen westlichen Identität, die geprägt ist von „Haben“: Ich habe Kinder, eine Frau, einen Job, ein Haus usw. Die Idee von Identität, die wir in den franziskanischen Quellen gefunden habe, erforschen wir weiter und vergleichen sie mit buddhistischen, hinduistischen, ostchristlichen und anderen Lehren.
Wie finden Sie das Dresden Fellowship Programm? Ist es eine gute Initiative?
Ja, ich finde es sehr interessant und wichtig. Dresden macht das, was andere machen sollen und wollen. Es ist wichtig Studenten, Mitarbeiter und Professoren in die Welt zu schicken. So können Sie nicht nur einmalige Erfahrungen sammeln, sondern auch Kontakte knüpfen und Netzwerke aufbauen. Ich habe in den letzten 10 Jahren sehr viel geforscht und hätte ich mich nicht entschieden nach Dresden zu gehen, dann wäre meine Forschung bestimmt anders verlaufen. Die Erfahrungen, die ich während meiner Auslandsaufenthalte machen konnte, haben mich und meine Arbeit sehr stark beeinflusst. Dass ich jetzt nochmal für sechs Wochen mit dem Dresden Fellowship Programm hier sein kann, finde ich sehr gut. Es bereichert meine Arbeit. Ich hoffe, dass ich nochmal nach Dresden kommen kann. Das wäre sehr schön.
Und zum Schluss: Was würden Sie zukünftigen Theologie-Studierenden mit auf den Weg geben?
Es ist wichtig, dass man ein Studium wählt, das einen interessiert und das für einen selbst wichtig ist. Zukünftige Studenten sollten nicht nur danach fragen, welches Studium den besten Job verspricht. Es ist verständlich, dass die Studenten und die Eltern nach den Berufschancen fragen. Gerade in den USA, wo ein Studium sehr teuer ist. Wenn man aber Theologie oder Religionswissenschaften studiert, dann studiert man auch die Geschichte, die Kultur und die Gesellschaft. Und wenn die Studenten mit dem Studium fertig sind, dann haben die meisten eine sehr interessante Weltanschauung entwickelt. Sie denken nicht mehr nur an ihren zukünftigen Job, sondern befassen sich auch mit Themen wie Frauen, Kraft, Dienst in der Kirche, Sprachen lernen und andere Länder bereisen. Sie haben eine Idee von der Welt, die sehr offen ist. Und das ist wichtig. Die Studenten haben gelernt, selbständig zu denken, schreiben und sprechen. In der heutigen Zeit muss man nicht alles ganz genau können und wissen, um einen Job zu finden, aber jeder sollte offen für neue Ideen sein und immer bereit um Neues zu lernen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Höhnisch im August 2014.
[1]In der Postmodernen Philosophie steht die Rekombination und neue Anwendung von vorhandenen Ideen im Vordergrund. Die Welt wird pluralistisch, zufällig, chaotisch betrachtet und die menschliche Identität gilt als unstabil und durch viele, teils disparate, kulturelle Faktoren geprägt.