May 18, 2015
2. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung
Am Dies Academicus, den 06. Mai 2015 fand das 2. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung statt. Ins Leben gerufen wurde es von der GenderConceptGroup der TU Dresden, in der sich Professorinnen und Professoren des Bereichs Geistes- und Sozialwissenschaften zusammengeschlossen haben, um der Geschlechterforschung innerhalb der Universität Sichtbarkeit zu verschaffen. Zur Förderung des Nachwuchses werden in regelmäßigen Abständen die besten Abschlussarbeiten im Kolloquium vorgestellt. Nachdem Prof. Dr. Susanne Schötz mit einführenden Worten die Veranstaltung eröffnete, stellte sie die GenderConceptGroup, das Gender³-Projekt des WS 2014/15 sowie den Tagungsband des 1. Nachwuchskolloquiums „GenderGraduateProjects I – Geschlecht, Fürsorge, Risiko“, der ab Mai im Leipziger Universitätsverlag erhältlich ist, vor. Von den Mitgliedern der GCG im Wechsel moderiert, standen anschließend die Studierenden und Absolventen/innen im Mittelpunkt:
Lena Steinjan beschäftigte sich in ihrer Staatsexamensarbeit mit dem Thema Mächtige Männer – ohnmächtige Frauen? Machtkonzeption und Geschlecht in den spätantiken Texten zur Diakonin Olympias von Konstantinopel. Olympias, die als „Superreiche der Antike“ gelten kann, lebt asketisch, um sich dem Machtraum Staat zu entziehen. Im Machtraum Kirche gewinnt sie als Diakonin Einfluss, ihre ökonomischen Mittel setzt sie für die Gründung eines Frauenklosters ein. Frau Steinjan untersuchte außerdem, wie in der Kirchenväterliteratur ein Olympiasbild entworfen wird, das Macht und Weiblichkeit getrennt halten kann (Vermännlichung, Exeptionalisierung). Unter dem Titel „Questo sesso leggiero sempre s‘appiglia al suo peggior pensiero“. Ironische Darstellung des Frauenbildes in einer Männerwelt. Das verborgene Manuskript einer italienischen Autorin des ausgehenden 17. Jahrhunderts in der SLUB stellte Marie Christin Piotrowski einen Teil ihrer Masterarbeit vor, in dem sie ein bisher unbekanntes Libretto von Vigina Bazzani Cavazzoni edierte. In diesem klassischen Liebesdrama in drei Akten, das die Beziehung zwischen Mann und Frau thematisiert, nimmt der Diener eine besondere Rolle ein, wenn er mit Augenzwinkern die Geschlechter charakterisiert. Einen Vergleich zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer geisteswissenschaftlichen Kultur zog Martin Teich in seiner Abschlussarbeit, der er den Titel Von Ingenieuren und Philologen. Zur genderfizierten Semantik der zwei Kulturen in Raabes Alte Nester und Pfisters Mühle. gab. Darin stellte Herr Teich eine Zwei-Kulturen-Typologie in den beiden Werken Wilhelm Raabes heraus. Dem männlichen Ingenieur als Wirtschaftsbürger steht der männliche Philologe in Gestalt des Bildungsbürgers gegenüber. In der Analyse der Figuren wurden die Muster von Männlichkeit und Weiblichkeit kritisch hinterfragt.
„Gerne will ich wieder ins Bordell gehen…“ – unter diesen auf den ersten Blick etwas streitbar anmutenden Titel stellte Anne S. Respondek ihre Masterarbeit und bearbeitete darin ein bisher noch recht wenig beachtetes Kapitel der NS-Herrschaft. Mit Hilfe der Wehrmachtsakten von Maria Kowalska rekonstruierte sie ihren Lebens- und Leidensweg und schärfte den Blick dafür, dass keine Rede von einer freiwilligen Meldung ins Wehrmachtsbordell sein kann.
Nach der Mittagspause wurde der Förderpreis der Reihe „Dresdner Beiträge zur Geschlechterforschung in Geschichte, Kultur und Literatur“ an Alexandra Schein durch Prof. Dr. Stefan Horlacher verliehen. Frau Schein befasste sich in ihrer Dissertation mit der Darstellung irischer Identität im heutigen Alltag der USA und untersuchte dabei nicht weniger als 72 Filme und 11 Fernsehserien. Sie stellte in ihrer Arbeit die geerdet dargestellte Männlichkeit irischer Männer in Kontrast zur postmodernen Wirklichkeit in den USA, in deren Zusammenhang der Feminismus immer stärker zum Vorschein gekommen ist.
In der ersten, von Prof. Dr. Gudrun Loster-Schneider moderierten Sektion am Nachmittag referierte Nancy Walter die Resultate ihrer Masterarbeit, die sich mit der Rezeption Rosa Menzers einem Stück Dresdner Regionalgeschichte widmete. Unter dem Titel „Viele Generationen lernen Geschichte aus Büchern, wir stehen inmitten großer Ereignisse“ – Rosa Menzer als Jüdin und Kommunistin im Dresden der 1920er und 1930er Jahre hat Frau Walter das zu DDR-Zeiten einseitige Bild Menzers als Antifaschistin relativiert, ohne jedoch deren Leistungen für den Widerstand gegen das NS-Regime herabzuwürdigen und für eine ergänzende Erinnerung an die Jüdin Rosa Menzer plädiert. Mit einem zeitgenössischen und außereuropäischen Kontext beschäftigte sich die Masterarbeit von Anna Zorn. Am Beispiel von Zanele Muholi kontextualisiert Frau Zorn Zeitgenössische queere Kunst in Südafrika. Sehr genau kommt dabei der Widerspruch zwischen der nach außen getragenen scheinbaren Toleranz für Homosexuelle oder Transgender und den ständigen Bedrohungen zu Ausdruck. Die Fotografin Muholi wendet sich in ihrem Werk konsequent gegen das überholte Bild, Homosexualität bedrohe die traditionelle afrikanische Familie und zeichnet das Land am Kap als modern, tolerant und jung, weist aber auch eindrücklich auf die dreifache Diskriminierung in Form von weiblich, schwarz und homosexuell hin. Die Soziologin Sophie Ruby untersucht in ihrer Magisterarbeit Sachbücher zur Geschlechterfrage und kann darin die Entwicklungen des Feminismus nachzeichnen. So wird nach einer Phase der Kritik am Feminismus, der zu wenig sehe, dass Frauen für gesellschaftliche Veränderungen auch selbst verantwortlich sind, seit etwa 2011 der Stand der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen erneut kritisiert. Literarischen Stoff erlebten die Zuhörer bei Franziska Kühn, die Christa Wolfs „Medea“ zum Thema ihrer Masterarbeit machte. Unter dem Titel Christa Wolfs Medea und Girards Opfer- und Sündenbocktheorie im Dialog über gewalttätige Frauen, geopferte Knaben und den Mythos von der bösen Zauberin arbeitet die Germanistin die Bedeutung der Girard’sche Sündenbocktheorie für Christa Wolfs Medea heraus. Unter dem Titel „The Straight Mind“: Monique Wittig, Heteronormativität, Patriarchat und falscher Universalismus stellte Jenny Seibicke die Theorien Monique Wittigs vor und ordnete sie in den feministischen Theoriediskurs ein.
Am Ende der Tagung lauschten die Zuhörer, zwei Vorträgen zur Populärkultur in Gestalt von US-Fernsehserien. Bei der Amerikanistin Gesine Wegner stand die Arztreihe „Grey’s Anatomy“ im Mittelpunkt, in der sie unter dem Titel Geschlecht: Behindert? – Zur Konstruktion von Weiblichkeit und Ability im US-amerikanischen Medical Drama den Zusammenhang zwischen der Weiblichkeit der Protagonistin und ihrer körperlicher Behinderung untersucht. Sechs aktuelle TV-Produktionen untersuchte Dominic Schmiedl in seiner Dissertation unter dem Gesichtspunkt der Rückkehr des Western-Helden in zeitgenössischen amerikanischen Fernsehserien. So kam er zu dem Schluss, dass in vielen Serien die Hauptprotagonisten über kurz oder lang eine Genese zum klassischen Western-Helden in Form eines Gary Cooper durchlaufen. Die Ursache hierfür sieht er in der Selbstidentifikation der Vereinigten Staaten in Zeiten unsicherer Wirtschaft und Politik.
Das Kolloquium machte nicht nur die große Themenvielfalt, die verschiedenen Forschungsansätze und die vielen Perspektiven der Genderforschung deutlich. Das Kolloquium zeigte auch, dass Geschlechterforschung von Studierenden als Gegenstand ihrer Interesses aufgegriffen wird, und das zum Thema Geschlecht an der TU Dresden mit zunehmender Nachhaltigkeit in vielen Fächern gelehrt und geforscht wird, so dass wohl einem 3. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung, das selbstverständlich allen Fächern offen steht, nichts entgegensteht, wie Prof. Dr. Maria Häusl, Mitorganisatorin des Kolloquiums, abschließend konstatierte.
Der ausführlichen Tagungsbericht von Doreen Franz, Steffen Heidrich und Franziska Scholze gibt einen Einblick in die Vielfalt der Geschlecherforschung.